Erstellt am: 20. 7. 2013 - 20:01 Uhr
Mit Highton im Häfn
Diese Geschichte hier hat zwei Anlässe:
- dass die Audioversion davon aus meinem letzten Heartbeat noch bis Dienstagmittag hier anzuhören ist.
- dass Alex Highton sein erstes Österreichkonzert am Sonntag, 21. Juli - also zur Zeit der Veröffentlichung dieser Story MORGEN - im Seeschloss Gmunden spielt. Der Kartenpreis (siehe Link) ist zwar festwochengemäß geschmalzen, aber er ist es wirklich wert.
Ehrlich gesagt war ich nicht wirklich eingeladen. Wenn der Koestler Trust die Jury für seine Awards zusammenstellt, dann kommen da eher so etablierte Künstlernamen wie Jeremy Deller, Sarah Lucas oder Grayson Perry ins Spiel.
Aber dieser Kunstpreis, der vom Ölgemälde über Filme bis zur Skulptur eine Unzahl verschiedener Ausdrucksformen prämiert, hat heuer zum ersten Mal die Kategorie Songwriting mit im Programm, und der als Juror ernannte, von mir hochgeschätzte Singer-Songwriter Alex Highton fühlte sich von der ihn erwartenden Aufgabe etwas überfordert. Also bot er mich den Veranstaltern als potenziellen Ko-Juror an, und die waren einverstanden.

Robert Rotifer
So kam es also, dass ich mich vorige Woche mit Alex vor den Toren von Wormwood Scrubs, jenem so treffend düster benannten, berüchtigten West-Londoner Gefängnis wiederfand, in dessen einschüchternder Umgebung ich irgendwann Ende der Achtziger einmal einen Sommer verbracht hatte (es gab da früher einmal eine Zeltstadt für No-Budget-TouristInnen, aber das ist eine ganz andere Geschichte).

Robert Rotifer
Im Unterschied zu anderen Kunstpreisen werden die Koestler Trust Awards nicht offen ausgeschrieben, sondern ausschließlich an Insassen von Haftanstalten oder geschlossenen Krankenanstalten vergeben. Nachdem Großbritannien die größte Gefängnisbevölkerung Westeuropas aufweist, ergibt das immer noch einen Kreis von mehr als 84000 möglichen GewinnerInnen.
Der Koestler Trust, eine Wohltätigkeitsorganisation zur Förderung der Kreativität von Häftlingen, wurde in den 1960ern von Arthur Köstler ins Leben gerufen. Der in Budapest geborene Schriftsteller, Spanienkämpfer und Intellektuelle war selbst im Krieg vor den Nazis nach England geflohen und hatte dort als "enemy alien" sechs Wochen im Pentonville Prison in Nord-London verbracht.

Robert Rotifer
Passenderweise befindet sich das zur Unterbringung der vom Koestler Trust im ganzen Land gesammelten, prämierten und an die Öffentlichkeit verkauften Arbeiten zuständige Koestler Arts Centre im ehemaligen Wohnhaus des Gefängnis-Gouverneurs von Wormwood Scrubs, direkt vor den Toren der Strafanstalt.
Als Alex und ich ins Innere dieses knarzigen, weitläufigen, Stockwerk um Stockwerk mit Bildern und Skulpturen gefüllten Hauses vorgelassen wurden, standen uns beiden erst einmal eine Stunde lang die Münder offen.
Nicht, dass alles, was da an den Wänden hing und auf dicht gefüllten Regalen stand, als große Kunst durchgegangen wäre, aber die schiere Vielfalt und natürlich auch das Wissen, wo sie herkam, waren einfach unfassbar.

Robert Rotifer
Ria vom Koestler Trust zeigte uns zuerst zwei dicke Mappen voller Songtexte, die wir durchzuackern hatten. Davor nahm sie uns aber zur Einstimmung noch auf einen Rundgang durch die Sammlung mit.
Manche der Bilder und Skulpturen hatten scheinbar überhaupt nichts mit dem Alltag im Gefängnis zu tun.
Andererseits ist es nicht schwer, den eskapistischen Subtext von Motiven wie Sonnenuntergang und Inselidyll zu erkennen, oder Superhelden, die sich fliegend über die Grenzen alles Menschenmöglichen hinwegsetzen, oder einem Schulkind, das sich zu Captain Kirk auf die Brücke der Enterprise beamt.

Robert Rotifer
Nachvollziehbar auch das populäre Motiv Amy Winehouse, unsterbliche Verkörperung des Ideals der treuen Häftlingsbraut.
Eine Skulptur, die Alex und mich gleichermaßen verunsicherte, war der Muskelmann mit nacktem Oberkörper, der mit Hammer und Meißel auf das Wort "Sex Offender" ("Sexualstraftäter") einschlägt. Das kann man so oder so deuten.
Ziemlich unmissverständlich dagegen zum Beispiel die naiv geformte Keramikfigur des mit in die Hände vergrabenem Kopf auf seinem Bett sitzenden Hälftlings vor vergittertem Fenster, während hinter ihm orange-gelbe Flammen die Wand hochklettern.

Robert Rotifer

Robert Rotifer

Robert Rotifer

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Den stärksten Eindruck hinterließ eine in etwa kindgroße, gänzlich aus zusammengeleimten Hühnerknochen bestehende, auf einem Tisch kauernde Figur mit dem Titel "The First Hour", die laut Ria das Gefühl der ersten Stunde nach der Einlieferung in die Haftanstalt ausdrücken soll.
Das durchs Fenster zwischen die Knochen hindurch strömende Sommersonnenlicht verlieh der Skulptur eine beklemmend geisterhafte Ausstrahlung.

Robert Rotifer
Den Rest des Tages verbrachten Alex Highton und ich mit den gesammelten Texten der Häftlinge. Die Qualitätsspanne reichte, wie abzusehen, von unterirdisch bis großartig. Es fühlte sich gleichzeitig anmaßend und konstruktiv an, Geldpreise in verschiedenen Kategorien und Höhen zu vergeben.
Bei den erschütternden Geschichten häuslicher Gewalt, die durch einige der Texte durchklangen, musste ich zwangsläufig an einen von Alex' stärksten Songs aus seinem hervorragenden Album "Woodditton Wives Club" denken:
"Stupid", die Geschichte eines ungewollten Kindes, gesungen aus der Perspektive seiner alleinstehenden Mutter, inspiriert von den Geschichten, die Alex' Frau, eine Volkschullehrerin, ihm aus der Schule erzählt.
Oh shut you stupid get
Your life it is my one regret
Your teachers they all say you’re thick
I’m not surprised they think you’re sick
You know I ain’t got time for this
I’ve got to go out on this piss
And if you think living here is bad
Why don’t you go live with your dad
You’ll find him drinking with his mates
He lives up on the top estate
When did he ever buy you clothes
Well all his cash goes up his nose
There ain’t much love around here
Your days just disappear
On and on and on it goes
They laugh at us on TV shows.
I had you at just fifteen
They kicked me out I caused a scene
But I was always acting up
When really I was not that tough
Funny how your life depends
On charity from mums of friends
And there ain’t much love around here
Your lives just disappear
But as far as I’m concerned
I’m passing on what I have learned
So come on pass your mum a light
‘Cos I might not be back tonight
I met that fella down The Swan
You know I’m hoping he’s the one
He said that he’d look after us
So could you not kick up a fuss
As there ain’t much love around here
Your lives just disappear
But as far as I’m concerned
I’m lashing out as I’ve been burned

Robert Rotifer
Hier ist der Song auf Alex' Bandcamp-Site.
Und das ist ein Bild von ihm mit unserem Gewinnersong, dessen Titel ich natürlich noch nicht nennen darf. Ende August werden alle Koestler Awards verlautbart und im September in einer von Speech Debelle kuratierten Ausstellung der Öffentlichlkeit präsentiert.
Und Alex Highton spielt am Sonntag, 21. Juli, sein erstes Österreich-Konzert im Seeschloss zu Gmunden. Nicht gerade Wormwood Scrubs.