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Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

30. 5. 2013 - 09:18

Außenseiter im diplomatischen Dienst

Wolfgang Petritsch ist von der zweiklassigen Volksschule in Glainach in den diplomatischen Dienst gegangen. Zur Zeit ist er Österreichs Vertreter bei der OECD in Paris. In einem Doppelzimmer Spezial kritisiert er die aktuelle EU-Politik und verteidigt Bruno Kreiskys Einstellung zur Staatsverschuldung.

FM4 Doppelzimmer Spezial

Mit dem Diplomaten Wolfgang Petritsch, am Donnerstag, den 30. Mai, von 13-15 Uhr und als Stream on Demand.

Es ist kalt in Paris. Und meine Turnschuhe, die auf einen frühlingshaften Ausflug eingestellt waren, haben das Regenwasser der letzten Tage aufgesogen und wollen es nicht mehr hergeben. Die S-Bahn überquert die Seine. Der Eiffelturm winkt herüber und versucht von diesem Regentag zu retten, was zu retten ist.

Eifelturm bei Regen

elisabeth scharang

Wolfgang Petritschs Wohnung liegt oberhalb des Büros der österreichischen Vertretung der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und in einem der noblen Bezirke der Stadt; auf der Straße alte Damen mit alten Hunden und Männer in großen Autos.

Petritsch trägt immer Anzug und Krawatte. Ich habe ihn noch nie ohne diese Diplomatenuniform gesehen. Heute, an diesem kühlen Maifeiertag, steht er in kariertem Flanellhemd in der Tür und begrüßt uns freundlich. Seit 2008 lebt er mit seiner Frau und seinem mittlerweile 14-jährigen Sohn in Paris. Davor waren es Genf, Sarajewo, Belgrad, New York. Der Kärntner Slowene war Botschafter, EU-Sonderbeauftragter, Friedensverhandler und Vertreter bei der UNO - und Ende Juni packt er wieder einmal seine Bibliothek ein und siedelt um. Diesmal nicht in eine neue Botschafterwohnung, sondern an die Elite-Uni Harvard. Ein Pensionsjob, wie er seinen Lehrauftrag in den USA für das nächste Jahr kurz umreißt. Nach einer langen diplomatischen Laufbahn geht Wolfgang Petritsch in Pension, weil das für Beamte so vorgesehen ist, nicht, weil er das so möchte und schon gar nicht, weil er sich aus dem politischen Diskurs zurückziehen will.

Wir lassen uns in Petritschs Büro nieder. Die Wände voll Bücher, afrikanischer Masken und Holzskulpturen - seine Leidenschaft und das einzige, was er in Paris die letzten Jahre aktiv betrieben hat: das Durchstreifen von Kunstgalerien, die sich auf afrikanische Kunst spezialisiert haben. Der Rest des französischen Kulturangebots musste meist Arbeitsterminen und Auslandreisen weichen. So halten wir uns auch gar nicht lange mit seinen Eindrücken von Paris auf, sondern springen mitten in die europäische Krise - mit einem Ausflug in die vergangene österreichische Innenpolitik.

"Ich habe sieben Jahre als Sekretär von Bruno Kreisky gearbeitet. Für Kreisky war Arbeitslosigkeit immer ein gesellschaftspolitisches und kein wirtschaftliches Problem, das auch nach einer politischen Lösung verlangt hat. Jetzt haben wir in Europa eine Generation junger Menschen, die wenig Chancen auf Arbeit haben. Man nimmt ihnen eine Erfahrung, die nicht mehr nachzuholen ist. Ein Irrsinn!"

Wir diskutieren über den Mangel an politischem Führungswillen in der EU und über Petritschs Vision, dass sich die EU von einer Wirtschaftsunion in eine soziale und politische Union entwickeln wird. Aber die gegenwärtige Architektur der EU, deren Organisation und Entscheidungsapparate, sei nicht geeignet , um die anstehenden Probleme zu lösen, kritisiert der langjährige Diplomat.

Ich komme auf Bruno Kreisky zurück und auf dessen legendären Satz: "Lieber eine Million Schilling Schulden als 100.000 Arbeitslose", für den er bis heute kritisiert wird. Petritsch korrigiert: "Dazu muss man wissen, dass die Verschuldung Österreichs erst in den 90iger Jahren massiv angezogen hat, lange nach Kreiskys Zeit. Und dass die im EU-Vergleich niedrige Arbeitslosigkeit in Österreich
eine Nachwirkung von Kreiskys Politik ist. Für ihn waren die Menschen immer wichtiger als das Kapital."

Wir machen einen Abstecher in Wolfgang Petritschs Kindheit. Sein Urgroßvater hatte eine Schuhmacherwerkstatt, der Großvater war Büchsenmacher und der Vater hat bis zu seiner Pensionierung in den 80igern als Werkzeugmacher gearbeitet. "Das wäre durchaus eine Option gewesen. Aus unserem kleinen Dorf in Kärnten hat damals niemand eine höhere Schule besucht. Ich bin dann doch in die Lehrerbildungsanstalt gegangen und Volkschullehrer geworden."

Der nächste Schritt war Wien und von dort war das Tor zum Rest der Welt offen. Nicht gerade der klassische Weg für einen Diplomaten. "Ich bin bis heute ein Außenseiter in meinem Berufsumfeld", lacht Petritsch. Seine Wurzeln als Kärntner Slowene mit einer Großmutter, die kaum Deutsch sprach, haben ihn wohl durch viele seiner politischen Aufgaben begleitet. Kreisky holte den jungen Petritsch, weil er einen interessanten Text über den Kärntner Ortstafelstreit geschrieben hatte, in die Diplomatie. 1997 wurde Petritsch Botschafter in Belgrad und wenige Jahre später, in Zeiten des Bürgerkriegs im zerfallenen Jugoslawien, hat man ihn Seitens der EU als Chefverhandler für einen Friedenspakt eingesetzt.

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Zielpunkt Europa. Von den Schluchten des Balkans und den Mühen der Ebene.
Eine spannende Sammlung von Aufsätzen, Kommentaren und unveröffentlichten Dokumenten wie dem Kreuzverhör von Milosevic mit Petritsch in Den Haag von Wolfgang Petritsch, erschienen im Wieser Verlag.

Veranstaltungshinweis
Am 5. Juni um 18.30 Uhr im TopKino in Wien:
Österreichpremiere von "Djamel Ameziane's Decade in Guantanamo"
Ein Dokumentarfilm über die Geschichte eines Algeriers, der ohne Anklage seit 2002 in Guantanamo festgehalten wird. 2008 wurde er zur Haftentlassung freigegeben, ist aber bis heute interniert. Anschließende Diskussion mit Youssef Amezianes (Djamels Bruder), J. Wells Dixon (Center of Constitutional Rights), Manfred Novak u.a.

Sehr gut erinnert sich Wolfgang Petritsch an die Gespräche mit dem damaligen Präsidenten Slobodan Milošević, dem er 2002 in Den Haag vor dem Menschenrechtsgerichtshof wieder gegenüberstand. Milošević als Angeklagter, Petritsch als Zeuge. Der Diplomat erinnert sich an die schwierige Aufgabe, den zivilen Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina zu verwalten und betreuen. "Es ist keine alltägliche Aufgabe zu entscheiden, wo der Friedhof für die Toten des Srebenica-Massakers erbaut wird und mit den vielen persönlichen Geschichten der Menschen vor Ort umzugehen."

Das Engagement für Frieden und Menschenrechte zieht sich durch Wolfgang Petritschs politisches Leben. Kürzlich fand in Wien die Pressekonferenz zu einer privaten Initiative statt, die Wolfgang Petritsch gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte unter der Leitung von Manfred Novak gestartet hat. 150 ÖsterreicherInnen haben 24.000 Euro gesammelt, um zwei unschuldigen Guantanamo-Insassen, die vor dem Nichts standen, ein neues Leben zu ermöglichen: Die beiden Männer haben sich in Sarajewo einen kleinen Copyshop gekauft, mit dem sie versuchen, ihr Leben zu bestreiten. Dass immer noch mehr als 150 Menschen bewiesenermaßen unschuldig in Guantanamo sitzen und kein Staat, inklusive Österreich, bereit ist, sie aufzunehmen, ist skandalös. Keine Entschuldigung, keine Wiedergutmachung für diese Menschen. Wenn man diese Situation betrachtet, verliert man leicht den Glauben an jede Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

FM4 Doppelzimmer Spezial on Demand

Am Donnerstag, den 30. Mai, von 13 bis 15 Uhr erzählt der Diplomat Wolfgang Petritsch im FM4 Doppelzimmer Spezial über sein Aufwachsen als Gasthauskind, seinen Egoismus und warum er die EU trotz aller Kritik für einen Schritt in die richtige Richtung hält.

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