Erstellt am: 25. 2. 2013 - 15:59 Uhr
Nick Cave in FM4 Heartbeat
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Ich schreibe diesen schnellen Blog hier, während ich mein Nick Cave-Interview für die heutige Sendung vorbereite. Die Sache lief nämlich so: Letzte Woche war ich auf Urlaub und die Woche davor in Berlin, um Nick Cave zu interviewen. Und heute begebe ich mich auf eine Zeitreise dorthin zurück und höre mein Ringen nach Formulierungen meiner Fragen, und sein Suchen nach den richtigen, bedachten Antworten.
Ich bin ja so einer, der findet, Interviews sollten Gespräche sein, und vorgeschriebene Listen mit Fragen wirken in diesem Kontext genauso (zer)störend und absurd, wie sie in jedem anderen Gespräch wirken würden. Sie reduzieren den oder die Befragte(n) auf die Funktion der Zitateschleuder. Ziemlich unhöflich eigentlich.
Die ersten Worte, die Nick Cave bei meinem ersten Interview mit ihm (ich glaube es war vor 12 Jahren) zu mir sagte, waren (ungefähr): „Ich sehe, Sie haben sich für dieses Interview keine Notizen vorbereitet?“
Verlegenes Stammeln meinerseits.
„Gut so“, sagte Cave.
Seitdem bin ich mit ihm immer gut ausgekommen.

Nick Cave
Ich hatte diesmal also die Nacht vor dem Interview in Berlin verbracht, bei Freundinnen und Freunden, die – wie das in Berlin so zu sein scheint – vor halb fünf, fünf nicht gern ins Bett gehen. Dann war ich aufgestanden, hatte ein Aspirin geschluckt und meine Gedanken zum neuen Nick Cave-Album „Push The Sky Away“ frisch geordnet.
Natürlich braucht man als Interviewer eine Liste von Fragen, sonst vergisst man ja die Hälfte. Aber man muss sie im Kopf verstecken, und dafür braucht man wiederum eine halbwegs klare Birne.
Meine größte Sorge waren aber Batterien für meinen Rekorder (die besorgte ich in einem kleinen Laden in der Donaustraße) und meine SD-Karte, die mein Computer neulich nicht erkennen hatte wollen. Als ich am Alexanderplatz aus der U-Bahn gestiegen war, kaufte ich mir in der unterirdischen Rossmann-Filiale eine neue. Kundschaft und Belegschaft von Berliner Drogeriemärkten widmen sich, wie ich dort erfuhr, gern längeren Kassengesprächen über die Details von Gutscheinen, Rückgaberecht und Treuekarten. Sie spielen dabei mit den Nerven des in der Schlange stehenden Interviewers, in dessen Kopf nun Sorgen über den schrumpfenden Zeitpolster mit der Ordnung der zu „Push The Sky Away“ gefassten Gedanken konkurrieren.
In welchem Song kommen die 72 Jungfrauen vor, warum der Higgs Boson Blues, warum die erste Platte nicht auf Mute, wie ist das mit Caves Parallelexistenz im Internet, mit seiner Lokalprominenz in Brighton, mit seiner Vergangenheit in Berlin? Was hält seine Frau vom Albumcover?
Undsoweiter.

Nick Cave
Ich verlief mich danach noch prompt auf dem Alexanderplatz, beantwortete den konsternierten Anruf der Promotion-Agentin auf so überzeugende Art, dass ich glatt selbst zu glauben begann, ich wüsste wo ich sei, und trabte immerhin doch noch pünktlich in der Rezeption von Nick Caves Hotel ein.
Als er wenig später erschien, hatte er ein Paar unbenützter schwarzer Lederhandschuhe in der rechten Hand, das er in der offenen Handfläche seiner Linken aufschnalzen ließ. Die Tatsache, dass er mir bei dieser Geste nicht etwa lächerlich, sondern durchaus charismatisch vorkam, ist symptomatisch für das Phänomen Nick Cave. Ich hatte in diesem Moment jedenfalls 1) wieder völlig vergessen, was ich fragen wollte und 2) das Gefühl der absoluten Gewissheit, dass alles gut gehen wurde.
Was danach passierte, ist einer der Gründe, warum wir froh sein können, dass wir es hier mit einem Radiosender zu tun haben. Wobei ich mich bemühe das Ringen nach Fragen und das Suchen nach Antworten nicht ganz wegzueditieren. Wie man an diesem Screenshot sieht, bin ich in dieser Hinsicht manchmal sehr ungeduldig, und dann wieder ganz laissez-faire. Es ist keine exakte Wissenschaft, das Interview-Schneiden.

Robert Rotifer
Das Ergebnis wird also heute, Montag, ab 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit in meiner Ausgabe von FM4 Heartbeat live im Radio und als Stream bzw. ab morgen, Dienstag, Nachmittag im Archivstream zu hören sein.
Was nicht darin vorkommen wird, ist der Moment, da ich mit dem fertigen Interview im Rekorder in der Hotelbar sitze und feststelle, dass darauf außer den ersten paar Sekunden absolut nichts zu hören ist.
Wie ich Rumpelstilzchen-mäßig unter mehrmaligem Ausstoßen der Phrase „For fuck's sake!“ von einem Bein aufs andere hüpfe, während sich in meinem Kopf die ganze potenzielle Folgenschwere dieses technischen Gebrechens abzeichnet.
Wie ich mich entschließe, die SD-Card aus dem Recorder zu ziehen und ins Laptop zu schieben, um zu sehen, ob da nicht vielleicht doch was drauf ist.
Wie sich das verloren geglaubte File meines Interviews vor meinen Augen tatsächlich magisch in eine befriedigend lange Waveform verwandelt. Das ist wie gesagt alles nicht zu hören, aber wer will, kann es sich vorstellen und die Sendung für sich damit um noch ein Stückchen spannender machen.

Nick Cave