Erstellt am: 13. 2. 2013 - 12:20 Uhr
Live aus Berlin in der FM4 Homebase
Heute in der FM4 Homebase: Übertragung des Nick Cave and the Bad Seeds Konzerts aus dem Berliner Admiralspalast
Die schlechte Nachricht zuerst: auf "Push the Sky Away", dem 15. Album der Bad Seeds, reimt Nick Cave die Wörter "catch", "match" und "snatch". Die gute Nachricht: es klingt trotzdem unglaublich gut.
Es wird schon als "Alterswerk" bezeichnet und man kann es natürlich als solches auch einordnen. Das neue Album der Bad Seeds klingt "ruhiger" und wer jetzt denkt, es wird einem ein Mikrowellen-Aufwärmgericht der Marke "Boatman´s Call" präsentiert, der und die könnte nicht schlimmer irren. Das Klavier oder die Rhythmusgitarre rückt in den Hintergrund, statt dessen gibt es viel Geige und eigenartige Klangteppiche aus der Loop-Zauberkiste. Es geht hier um Flächen statt Spitzen. Zum ersten Mal kann man sich vorstellen, dass Cave nicht die Fingerzeig-Pose als Frontmann der Bad Seeds einnehmen wird, sondern einen Schritt nach hinten macht und sich neben seine Bandkollegen stellt.
1. In einem aktuellen Interview meint Cave zur wechselnden Besetzung diplomatisch: "Bad Seeds past and present are a community rather than a bunch of ex-members!"
Seit 30 Jahren existieren die Bad Seeds in verschiedenen Besetzungen (1) und auf "Push The Sky Away" ist Grinderman Warren Ellis wieder mit an Bord. Der bärtige Mann, der seine Violine hauptberuflich bei Dirty Three in zuckender Embryonalstellung bedient, ist für diesen neuen Klangkosmos in der Bad Seeds Diskographie maßgeblich verantwortlich.
Früher, damals in den Anfangsjahren, gab es (den alles nur nicht zu unterschätzenden) Rowland S Howard (Crime&City Solution) an der Gitarre, später Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten) am Schraubenzieher (oder so) aus und dem 2009 von den Bad Seeds zurückgetretenen Mick Harvey wurde gerne die melodiöse Schirmherrschaft zugerechnet. Aber Warren Ellis heißt die aktuelle Wunderwaffe in der Bad Seeds Gemeinschaft.
Das Album beginnt mit "We No Who U R", einem Song bei dem am allermeisten ein "Geflöte" überrascht und ein Chor, der die Titelzeile besingt. Der Chor allerdings weniger gospelhaft als man es vom Doppelalbum "Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus" gewohnt ist. Man weiß sofort: hier muss man sich hinsetzen und das nicht im Vorbeigehen hören. Es gibt sehr viele Wasser-Referenzen, die man beim Durchhören aufschnappt. Wie der oben erwähnte "Mermaids"-Track mit seinem catch-match-Wortspiel. Orte und Namen werden für diejenigen genannt, die sich eine Inhaltsangabe zurechtlegen möchten. Das ist aber genau die Art des Musikhörens, die Nick Cave hasst.
2. "I don’t believe in an interventionist god
But I know, darling, that you do
But if I did I would kneel down and ask him
Not to intervene when it came to you"
Man könnte Diplomarbeiten schreiben (gibt es) und Lehrveranstaltungen abhalten (gab es) zu den Lyrics von Nick Cave. Interessant ist, dass Cave in Interviews zum neuen Album sein Unvermögen, einen "Whoah baby I love you"-Song zu schreiben, mit Bedauern auflistet. Einen Song, der ohne bildhafte Sprache zum emotionalen Kern kommt. Bedauernswert ist das nicht wirklich, denn das ist natürlich die lyrische Stärke des Herren Cave. Wer braucht "whoah baby I love you" wenn man im "Ship Song" eine Weltmetapher bekommen hat wie "come sail your ships around me" hat. Oder eine der vielen Hochzeitsgelübde-Strophen aus "Into My Arms" (2).
Oder eben auch ein ganzes Album wie die "Murder Ballads" das dem Gegenteil widmet: dem Morden und Töten. Ermordet und getötet werden.
Der Meister der Bürozeiten-Dichtung (9to5) meint dazu: "I’ve had to try and find a way over the years of writing narratively that doesn’t really require you to sit down and work out what the story’s about. You’re brought into a sequence of images that have that emotional resonance but it’s irrelevant what the actual story is and it’s taken me maybe 13 albums to work that out."
Wer nicht weiß wo anfangen, hier ungereiht sehr empfehlenswerte Songs der 15 Bad Seeds Alben:
"Saint Huck" (From Her To Eternity), "Black Crow King" (The Firstborn is Dead), "Black Betty" (Kicking Against The Pricks), "Stranger Than Kindness" (Your Funeral...My Trial), "Mercy Seat" (Tender Prey), "Ship Song" (The Good Son), "Brother My Cup Is Empty" (Henry´s Dream), "Do You Love Me" (Let Love In), "Stagger Lee" (Murder Ballads), "People Ain´t No Good" (Boatman´s Call), "Fifteen Feet Of Pure White Snow" (No More Shall We Part), "He Wants You" (Nocturama), "There She Goes My Beautiful World" (Abattoir Blues), "More News From Nowhere" (Dig Lazarus Dig), "Water´s Edge" (Push The Sky Away)

dominique issermann
Es ist also egal, um welche Jubilee Street es sich letztendlich handelt und wer eigentlich diese Mary Stanford ist? Das ist zwar ein guter Hinweis, erwirkt aber genau das Gegenteil. Man hat wieder das Gefühl wie beim ersten Mal englische Texte hören, dass man unbedingt mehr Vokabel lernen sollte, weil man will ja unbedingt rausfinden, wie man von Genf aus zu Miley Cyrus' Swimmingpool kommt! Und warum Hannah Montana auch dabei ist! Und ob sie eine universelle Erklärung vom Leben auf der Erde liefern kann, weil Higgs-Teilchen spielen da anscheinend auch eine Rolle, sonst wären sie doch nicht im Songtitel verewigt!!!
“Some people say it’s just rock‘n’roll but it gets you right down to your soul”
(3) Gut, kein Cave Album auf dem man sich nicht gewünscht hat, im Religions- oder Geschichtsunterricht mehr aufgepasst zu haben!
Es ist ein ziemliches Nussknacker-Album, dieses 15. Bad Seeds Werk. Es entwickelt mit all den lyrischen Fragezeichen (3) und den vielen orchestrierten Zwischentönen, die man nicht mehr einem einzelnen Gitarristen, Bassisten oder Drummer zuordnen kann, eine Sogwirkung, die man sich eigentlich nicht mehr erwartet hat. Nicht nach 30 Jahren. Vielleicht sprechen deswegen die deutschen Kollegen vom Alterswerk. Wenn man geglaubt hat, man hat schon alles gehört von Nick Cave, kommt ein Album mit einem gedämpften Tempo, das einen in seiner komplexen Schlichtheit umwirft.
Über die Freiluftkompetenz der neuen Songs, nämlich die Umsetzung bei den anstehenden Festivalterminen im Sommer, so zum Beispiel beim FM4 Frequency Festival, darf man noch spekulieren. Mein Tipp wäre: wenn nichts mehr geht einfach "Mercy Seat" spielen.
Aber bis es soweit ist, gilt: ab 20 Uhr 30 wird heute in der FM4 Homebase das Release-Konzert zum Album live aus dem Berliner Admiralspalast übertragen.
Davor gibt es Nick Cave im Interview mit Robert Rotifer zu hören. Das gilt es nicht zu versäumen.