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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

11. 12. 2012 - 11:00

Softwarepatente durch die Seitentür

Im EU-Parlament wurde das "Gemeinschaftspatent" heute verabschiedet. "Zu komplex, in Widerspruch zu Parlamentsbeschlüssen", sagen die Kritiker.

Heute wurde im Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg über die Einführung eines Gemeinschaftspatents abgestimmt, die Vorlage wurde mit großer Mehrheit (484:164) angenommen.

Dem vorliegenden Entwurf für ein "Unitary Patent" aber ist deutlich anzusehen, dass er auf einem mühsam ausgehandelten Kompromiss basiert, der noch dazu nicht von allen EU-Staaten mitgetragen wird.

Fortschritte, Einwände

Ein Fortschritt gegenüber dem Status Quo im Entwurf ist jedenfalls, dass es für innovative, kleine und mittlere Betriebe, wie sie etwa für Österreich typisch sind, nun deutlich einfacher und angeblich auch billiger wird, ein Patent länderübergreifend in Europa anzumelden.

In allen Staaten der Europäischen Union wird dieses Patent allerdings nicht gelten, Italien und Spanien hatten bereits im Vorfeld abgelehnt. Zuletzt hatten sich auch die Einwände von seiten Polens so gehäuft, dass auch hier mit einer Ablehnung zu rechnen ist.

Update
Diese Story wurde um das Abstimmunsgergebnis ergänzt (14:11).

Rechtliche Parallelaktionen

Mit dieser Neuregelung wird es erst wieder kein einheitliches Rechtsmittel auf EU-Ebene geben, weil hier mehrere Rechtsregimes ineinandergreifen. Je nach Instanz gelten in strittigen Fällen entweder die Europäische Patentübereinkunft als Rechtgrundlage des Europäischen Patentamts (EPA), das wiederum keine EU-Institution ist. Zudem sind nationale Patentgerichte ebenfalls zuständig. (Details dazu unten).

"Gerade bei strittigen Patenten fangen dann die Probleme an", sagte die Abgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne) zu ORF.at. Als besonders problematisch sieht die Patentexpertin, dass diese Neuregelegung eben nicht rechtlich auf EU-Ebene passiert. Gegen die Entscheidung des geplanten Europäischen Patentgerichtshofs könnten beim EuGH dann keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden, sagt Lichtenberger.

Auslagerung, Rechtskollisionen

Der Europäische Gerichtshof ist immerhin die oberste Rechtsinstanz der Union, am ehesten vergleichbar in seiner Bedeutung ist er mit einem Verfassungsgerichtshof auf nationaler Ebene.

Durch die Auslagerung des Rechts auf das europäische Patentübereinkommen, auf dem das Europäische Patentamt basiert, komme es hier unweigerlich zu Rechtskollisionen. Und obwohl zwei Beschlüsse des EU-Parlaments und deren Bestätigung durch den EuGH existieren, dass Patente auf Software grundsätzlich unzulässig sind, vergibt das EPA solche Patente.

Die Agenda der Plenarsitzung in Straßburg 10. bis 13. Dezember.

Softwarepatente durch die Seitentür

Die Steuerungssoftware für Hardware kann laut EPA mit dieser mitpatentiert werden, das aber widerspricht den Parlamentsbeschlüssen wie einem EuGH-Urteil.

Für Softwarepatente werde damit sozusagen wieder eine Seitentür geöffnet, wie auch die EU-weite Ächtung von Patenten auf Leben - also gentechnische Patente auf Lebewesen - ebenfalls relativiert werde, sagt Lichtenberger.

Die zugehörige Historie

Dass Software EU-weit nicht patentierbar ist, geht auf Beschlüsse des EU-Parlaments zurück, die ähnlich richtungsweisend waren, wie die Abschmetterung des geplanten "Anti-Piraterie"-Abkommens ACTA zuletzt.

Die Kritiker am Entwurf kommen aus ganz verschiedenen Lagern. Der konservative polnische Abgeordnete Jan Olbrycht (EPP, Polen) spricht sich ebenso klar dagegen aus wie die liberale Abgeordnete Corinne Lepage (ALDE) oder die Grünen. Bei vielen Abgeordneten dürfte der Meinungsbildungsprozess in dieser komplexen Angelegenheit noch nicht abgeschlossen sein.

Software wurde letztendlich deshalb von Patentierbarkeit ausgenommen, weil die Innovationszyklen von Code schon damals weniger als sechs Monate betrugen.
Das stimmte so gar nicht mit der durchschnittlichen Austellungsdauer eines Patents von rund 18 Monaten zusammen.

Hardware im Hintergrund

Auf Softwarepatente pochten hingegen in Europa ganz anderen Industriezweige, als nur die Software-Riesen wie Microsoft, Oracle und Co. Es ist und war in Europa die Autoindustrie, die ihre Produkte während der letzten Jahre bis ans Dach mit Elektronik hochgerüstet hat. Dazu kommt "Big Pharma", die pharmazeutischen Industrien, wo wie im Autosektor an patentiert wird, was immer nur geht.

Hier ist ein fundamentaler Unterschied zu Mittelstandsunternehmen, die in der Regel weniger als ein Dutzend Patente innehaben. Das ist etwa bei den exportorientierten österreichischen Firmen der Fall, die in sogenannten "Marktnischen"erfolgreich sind, die für hiesige Dimensiuonen denn doch eher "Markträumlichkeiten" sind.

King Kong vs. Godzilla

In der Schwergewichtsklasse der Großkonzerne spielen Patente eine völlig andere Rolle. Sie sind strategisch einsetzbare Instrumente, wenn es um die Dominanz über einen lukrativen Markt und Sektor geht.

Aktuell und nachgerade paradigmatisch dafür steht der offene Schlagabtausch zwischen Samsung und Apple auf dem Tabletmarkt. Bei dem stehen einstweilige Verfügungen, die den Vertrieb blockieren, Strafgelder, Beschlagnahmen am Zoll usw. vor Gerichtshöfen auf mehreren Kontinenten auf der Tagesordnung. Abwechselnd stehen Patente, aber auch Produktdesigns an oberster Stelle der Klegen. Wenn es solchermaßen King Kong gegen Godzilla an der Patentfront spielt, dann heißt es für alle anderen Player, bloß nicht dazwischen zu geraten.

Die mit ungebrochener Heftigkeit tobende Patentschlacht um den Smartphonemarkt war vor ziemlich genau zwei Jahren ausgebrochen. Für den Auftakt sorgten nicht die großen Smartphone-Produzenten, sondern Firmen mit einem rein parasitären Geschäftsmodell. Diese "Patent-Trolle" saßen auf je tausenden, während der Dot.com-Ära völlig wahllos vergebenen IT-Trivialpatenten, die vor ihrem Auslaufen gerichtlich "verwertet" wurden.

Max Planck Institut, Gutachten

"Das alles sorgt für Rechtsunsicherheit bei mittleren und kleinen Unternehmen und genau das kann eine Wirtschaft in der Krise überhaupt nicht brauchen", sagt Lichtenberger und verweist auf ein entsprechendes Gutachten des Max Planck Instituts für Eigentums- und Wettbewerbsrecht.

Da wird dem zur Abstimmung stehenden Vorhaben "zu hohe Komplexität" und "Unausgewogenheit" attestiert, was unweigerlich zu "Rechtsunsicherheit" führen würde. Zum bisherigen Prozedere käme damit nur ein weiteres, ohne dass die anderen Vorgänge vereinheitlicht würden.

Die Gutachter des Max Planck Instituts kommen in Folge auf vier verschiedene rechtliche Regimes, die zutreffen können, je nachdem wo das Patent unter welchen Umständen eingereicht wurde. Je nach Patentart und Instanz werden entweder das EPA oder nationale Patentgerichtshöfe zuständig sein, wovon es wiederum zwei Sorten gibt: Staaten die teilnehmen, oder solche, die wie Spanien und Italien von vornherein nicht dabei sind.

Drei Standorte

Eine solche Situation komme in erster Linie Patentanwälten zu Gute, sagt Lichtenberger, für die kleinteilige europäische Wirtschaft könne eine solche Ausgangssituation ziemlich gefährlich werden. Im Falle von Streitigkeiten mit einem Großkonzern lasse sich unschwer ausrechnen, wer von den Kontrahenten angesichts so vieler beteiligter Legislaturen ein entsprechend langwieriges Gerichtsverfahren länger durchhalten könne.

Das Rechtsgutachten des Max Planck Instituts The Unitary Patent Package: Twelve Reasons for Concern

Der europäische Patentgerichtshof wird nach derzeitigem Stand der Dinge gleich drei verschiedene Sitze haben, nämlich einen in Frankreich, sowie je einen in Großbritannien und in Deutschland. Der Grund ist, dass sich diese drei Staaten im Ministerrat nicht auf einen gemeinsamen Sitz einigen konnten.

Untote im Holzsarg

Im Juli 2005 war nach einer Lobbyingoffensive, die ihresgleichen suchte, Schluss mit den Debatten. Das EU-Parlament sprach sich damals mit überwältigender Mehrheit gegen Softwarepatente aus. "Das Parlament hat heute der Softwarepatentrichtlinie ein Begräbnis dritter Klasse im Holzsarg und ohne Blumen bereitet", hatte eine der profiliertesten Kritikerinnen, die Abgeordnete Eva Lichtenberger damals resümiert.

Lichtenberger heute: "Jetzt haben sie den Sarg halt wieder aufgemacht. Die Probleme, die man sich dadurch einhandelt, werden schon bald zu sehen sein."