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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

25. 9. 2012 - 19:17

Der Hacker mit dem Synthesizer

Wie die US-Telefonnetze um 1970 von Blinden mit Instrumenten ferngesteuert wurden, bis Captain Crunch den Synthesizer erfand - John Draper, der Schrecken von AT&T im Gespräch.

Heute in der Homebase:

Captain Crunch - der Hacker mit der Trillerpfeife
Robert Glashüttner über die Lebensgeschichte von John Draper

"Cool, da ist ja ein Saustall, kann ich den sehen, bitte?" rief der Captain und ließ sich auch durch Einwände wie Gestank oder Fliegen keinesfalls davon abbringen. "Ach was Gestank! Ich kenn' mich in Sauställen aus. Musste zwei Jahre in einem arbeiten, als ich auf Bewährung raus war", sagt John Draper, alias Captaіn Crunch, einstmals der Schrecken des Telefonnetzes von AT&T.

Draper kam von einer Veranstaltungsreihe in Norditalien in der vergangenen Woche auf einen Abstecher nach Österreich, um ein paar Tage an seinen Memoiren zu arbeiten. Die Hacks des AT&T-Netzes, in dem Draper und Co. seit den späten Sechzigern nach Belieben Gespräche schalten konnten, waren sozusagen die Version 2.0 eines Hacks, der tief in die Fünfziger zurückgeht.

Hörbare Schaltvorgänge

AT&T hatte damals begonnen, sein Telefonnetz von Handvermittlung auf automatische Schaltung umzustellen. Dabei wurden Steuertöne über die Leitung gepfiffen, am anderen Ende legte ein elektrisches Relais den entsprechenden Schalter mechanisch um.

John Draper alias Captaіn Crunch

CC www.zazie.at

John Draper alias Captaіn Crunch

Bereits Mitte der Sechziger Jahre konnte eine unbekannte Anzahl von US-Hackern in diesem Netz Ferngespräche freischalten, indem sie die Steuertöne ihrerseits in die Hörer pfiffen. Die damalige Netzarchitektur von AT&T hatte nämlich einen fatalen Designfehler ganz tief in der Struktur: Aus Kostengründen hatte man die Steuerung des Netzes über die Gesprächskanäle gelegt, wer telefonierte, konnten die Schaltvorgänge also mithören.

Generation der blinden Götter

Neben den Technikern der Firma verfügte spätestens seit 1957 eine wachsende Zahl von Personen ebenfalls über Administratorenrechte im Netz von AT&T. "Das damalige Telefonnetz war ja schon ein Computer. Und wer die Steuertöne kannte, wurde 'Root' wie auf dem UNIX-Rechner, also ein Gott", sagt Draper.

Die erste Generation dieser illegalen Götter im Netz von AT&T war samt und sonders blind. Nachdem der blind geborene, hochmusikalische Joe Engressia um 1957 aus Spaß diese Steuertöne regelmäßig in den Hörer zurückgepfiffen hatte und wieder ein Signal retour bekam, fragte er einfach in der Telefonzentrale nach und bekam sogar Auskunft. Der damals achtjährige Engressia hatte den zentralen Steuerton von 2.600 Hertz (viergestrichenes E) genau erwischt, ein längerer Pfiff und der Gebührenzähler wurde abgeschaltet. Engressia hatte eine freie Leitung für Ferngespräche.

Hacken mit der Hammondorgel

Und hier kommt Captain Crunch ins Spiel, nämlich als Draper, der als Armeetechniker quer durch USA versetzt wurde, und Engressia zusammentrafen. "Viele Kids in der Blindenschule waren sehr musikalisch", sagt Draper "Die spielten die 2.600er-Töne auf ihren Hammondorgeln in die Hörer. Das funktionierte prima, sobald man wusste, wie es ging."

Draper selbst benützte ein Plastikpfeiferl, das als Gimmick mit den Frühstücksflocken der Marke "Capt'n Crunch" daher kam - Tonhöhe exakt 2.600 Hertz. Dem Netz von AT&T aber stand da bereits die Invasion einer neuen Generation von wilden, langhaarigen Göttern kurz bevor.

Analoge Synthesizer

Der Vietnamveteran, Militärfunker und angehende Radiopirat John Draper setzte das Wissen aus der Blindenschule wenig später in elektronische Schaltkreise um.

Seine berühmte erste Bluebox war nichts anderes als ein Tongenerator oder analoger Synthesizer, mit dem immer weitere Teile des AT&T-Netzes geschaltet werden konnten. Engressia und Draper hatten zusammen immer mehr Details der Netzwerkfunktionen herausbekommen.

John Draper, alias Captaіn Crunch

CC www.zazie.at

Sobald der Captain eines Stücks Technik ansichtig wird, wie etwa dieser moderaten Kurzwellenstation, hat er es bereits in Händen. Wenig später hat er alle Bestandteile der Station bis zu zu den elektrischen Eigenschaften der Übertragerspulen an den Antennen im Kopf und fängt an, Diagramme des Frequenzverlaufs Freihand zu zeichnen. Sodann: Berechnungen, wie was zu optimieren wäre. Das letzte Mal mit Funktechnik zu tun gehabt, hatte Captain Crunch vor gut 40 Jahren.

Verräterische Lämpchen

Da das "Phreaking" ab da immer weitere Kreise zog, war ein Auffliegen irgendwann unvermeidlich. "Joe, der als einziger die Töne selbst pfiff, wurde irgendwann bequem. Wenn ihm eine Nummer mit vielen Achtern oder Neunern zu mühsam war, pfiff er sich nur zum Wählamt durch und sagte 'Hello operator, dialling assistance please'. Dann wählte der Operator eben für ihn weiter", erzählt Draper.

Gefährlich war dabei, dass auf der Anzeigentafel eine Anomalie zu sehen war, denn diese Leitung funktionierte, obwohl ein Lämpchen signalisierte, dass sie am anderen Ende abgeschaltet war.

Zweiklänge gegen Pfeifer

1968 wurde Joe Engressia verhaftet, die Phreaker hatten das FBI am Hals, AT&T aber war schon längst damit befasst, die Steuerung seines Netzes umzustellen, um die "Pfeifer" auszuschalten.

Draper und Co. focht das wenig an, denn das neue AT&T-System wurde bloß als neue Herausforderung gesehen, die man zu meistern hatte. Auch hier gaben erst die blinden Götter die Töne an, im wahrsten Sinn des Wortes: Es waren Zweiklänge, die man auch als Noten aufschreiben konnte.

Klavier und Synthesizer

"Ich habe die Noten mit nach Hause genommen und auf dem gut gestimmten Piano meines Bruders nachgespielt", danach baute Draper einen Tongenerator, durch die Kombination von fünf Tasten konnte der all diese Töne spielen.

"Hacking war damals durch und durch eine musikalische Angelegenheit" sagt Draper "und wer ein Tonbandgerät hatte, nahm die Sounds der Telefonnummern seiner Freunde einfach auf und spielte sie dann samt dem 2.600er Ton in den Hörer."

Als einer seiner Freunde beim Phreaken in einer Telefonzelle von der Polizei kontrolliert wurde, sagte der, das Kästchen sei sein Synthesizer und spielte ein paar Töne, erzählt der Captain. "Der Cop hat bloß gesagt: Mann, das Ding klingt ja ziemlich verstimmt, und hat ihn laufen lassen."

Die nächste Stufe des Hacks

Damit war es schon bald vorbei, denn die Behörden waren nun mit Hochdruck hinter der Phreakerszene her. AT&T versuchte indessen, immer höhere Hürden aufzustellen, ohne den grundlegenden Fehler im System jedoch beheben zu können. Die Netzwerksteuerung ging immer noch über denselben Kanal wie die Gespräche.

Die nächste Bluebox Drapers erfüllte die neue Anforderung, die Töne in exakt den geforderten Zeitabständen einzugeben, das Phreaking nahm immer größere Ausmaße an. Dann kam Geld ins Spiel: Da Ferngespräche teuer waren, zog das Kriminelle an, die mit der Bluebox außerdem der Telefonüberwachung entgehen konnten.

Die Party endet

Um 1970 waren Telefonkonferenzen der Phreaker quer durch die USA gang und gäbe - bis Oktober 1971 ein Artikel im "Esquire" über die Phreakerszene erschien. "Binnen zweier Tage wurden Phreaker von Seattle bis New Mexico verhaftet. Ich noch nicht, denn ich hatte meine Telefonnummer nur den allerengsten Freunden gegeben", erzählt der Captain, "die anderen kriegten eine der Testnummern von AT&T und landete in einer Tonbandschleife." Als Captain Crunch war Draper in der gesamten US-Szene bereits eine fixe bis legendäre Größe.

Steve und Steve

Deshalb hatten zwei kalifornische Studenten namens Steve Wozniak und Steve Jobs, die den Artikel ebenfalls gelesen hatten, anfangs auch Schwierigkeiten gehabt, Draper zu erreichen.

Die beiden hatten die Geheimnisse der Steuerung, also die von AT&T benutzten Frequenzen auf eigene Faust herausgekriegt. Fachbücher in der Bibliothek der Stanford University hatten den beiden Apple-Gründern den Weg zur Konstruktion der ersten digitalen Bluebox gewiesen.

Digitale Bluebox von "Apple"

"Es gab nur ein Problem, denn Steves Bluebox brauchte mindestens sechs Wählversuche. Damit stieg die Wahrscheinlichkeit enorm, erwischt zu werden. Zu der Zeit waren die Operators schon darauf geschult, Phreaker zu entdecken." erzählt der Captain, der wenig später mit den beiden Steves zusammentraf.

"Das Problem ihrer ersten digitalen Bluebox war, dass die kein sauberes Sinussignal erzeugte, sondern eine schlecht geglättete Rechteckschwingung, was zu Intermodulationsstörungen führte. Meine analoge Box funktionierte dagegen bei jedem Wählversuch", sagt Draper.

Resozialisierung im Schweinestall

Dann wurde auch er geschnappt, man hatte seine Telefonnummer bei einem ebenfalls verhafteten Freund gefunden. Draper wurde beim ersten Mal zu fünf Jahren Haft verknackt, die er relativ bald als Tages-Freigänger absolvieren konnte. Nachts musste er zurück ins Gefängnis, untertags programmierte er die ersten Anwendungen für einen Computer, dessen Protoypen die beiden Steves gerade bastelten.

Capt'n Crunch im Schweinestall

CC Erich Moechel

Laut Wunsch des hier Porträtierten sollte die Legende zu diesem Foto ungefähr so lauten: "The Captain holding a lecture at the local FBI Academy."

In diese Zeit musste Draper ein Resozialisierungsprojekt absolvieren, Delinquenten wie er misteten Schweineställe aus.

Ein fataler Rückfall

Der weitere Fortgang der Geschichte des Captain Crunch ist weitaus weniger lustig. Als Nummer Eins der Phreaker stand er unter ständiger Beobachtung durch das FBI. Ein vergleichsweise unbedeutender Rückfall mit der Bluebox endete für den Captain nahezu fatal.

Im Gefängnis versuchten Kriminelle, die Funktionsweise seiner bekannt zuverlässigen Bluebox aus Draper herauszuprügeln. Die Folge waren ein gebrochener Halswirbel und lebenslange Rückenschmerzen.

Tour um die Welt, Memoiren

Nun ist er auf einer Tour, die ihn als nächstes nach Malaysia führt, was bei Draper niemals ohne längere Aufenthalte in Hackerspaces abgehen kann. Bei seinem Österreich-Besuch waren trotz der ganzen Memoirenschreiberei wiederholte Visiten im Wiener Metalab angesagt, dito in Italien.

2008 war Draper in Wien, um eine Medienplattform namens Flyxo vorzuführen, die HD-Videos [nahezu] über sechs MBit/s Bandbreite ruckelfrei übertrug. Mit im Direktorium: Drapers alter Freund Steve Wozniak. "2010, als wir kurz vor dem Roll-Out waren, haben die Investoren den Hahn abgedreht", sagt Draper.

Denn Captain Crunch ist technisch niemals stehengeblieben, bis 2010 war er technischer Leiter einer Start-Up-Firma, die einen hochkomprimierten Streamingdienst in HD-Qualiät entwickelte. Ganz nebenbei hat er auch ein paar Apps für das iPhone geschrieben.

Piratenradio

Niemals erwischt wurde hingegen John Draper, der Radiopirat, was den Captain heute noch diebisch freut. Ausführlich wird davon natürlich in seinen Memoiren die Rede sein. Eine Ahnung davon, wie Piratenradio in Zeiten der Rebellion an den kalifornischen Universitäten wie Berkeley funktionierte, wird hierorts demnächst nachzulesen sein.