Erstellt am: 8. 9. 2012 - 06:05 Uhr
Adieu, Kunsthaus Tacheles
Am Dienstag morgen wurde in Berlin das Kunsthaus Tacheles nach 22 Jahren geräumt. Das wäre eigentlich eine traurige Nachricht, aber die Wahrheit ist: Niemand wird das Tacheles vermissen, und nicht wenige sind froh, dass das lange Siechtum und Sterben der Kunstruine ein Ende hat. Nur die Touristen werden traurig sein, für sie war das Tacheles ein wichtiger, faszinierender Ort: Unaufgeräumt, bunt, ruinös, lebendig mit einem Hauch von Anarchie. So wie man sich in den letzten Jahren überall in der Welt eben gerne Berlin vorstellte. Einheimische machten um die Ruine des ehemaligen Kaufhauses in der Oranienburger Straße schon seit Jahren einen großen Bogen, das Haus hat international mehr Freunde als in Berlin selbst.

Tacheles
Für die Berliner ist das Tacheles ein Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit. Selbst die Ex-Bewohner weinen dem Kasten keine Träne nach. Zu ermüdend waren die ewigen Machtkämpfe untereinander. Aber auch künstlerisch kam vom Tacheles seit Jahren nichts mehr, hauptsächlich Besetzer-Touristenkitsch und Kunsthandwerkliches wurde hier hergestellt, seit zwanzig Jahren die immer gleichen Schrottskulpturen zusammengeschweißt.
Das Tacheles war das letzte verbliebene Gebäude eines Kaufhauskomplexes, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts entstanden war. Im Zweiten Weltkrieg wurde er schwer zerstört, in den 1980er Jahren ließ die Ostberliner Stadtverwaltung große Teile abreißen. Nur der Kopfbau an der Oranienburger Straße blieb erhalten. 1990 zogen die ersten Besetzer, die „Ständige Vertretung“ im Tacheles war die erste Bar im Berlin-Mitte der Nachwendezeit.
Was danach kam, ist ebenso menschlich wie erbärmlich: Die sogenannte Gastro-Fraktion, die das Café und Kino betrieb und die Kunst- Fraktion, die Maler und Bildhauer, die in den Ateliers arbeiteten, zerstritten sich untereinander bis zu Handgreiflichkeiten und stellten einander sogar Strom und Wasser ab.

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1998 wurde das Gelände an eine Investorengruppe verkauft, eine kulturelle Nutzung des denkmalgeschützten Kunsthauses auf Dauer festgeschrieben. Für die symbolische Miete von 1 DM erhielt das Kunsthaus einen Vertrag über 10 Jahre. Der Investor wollte Geschäftshäuser und Wohnungen um das Tacheles auf die Brache setzen, es wurde aber nie was gebaut, dem Unternehmen drohte bald die Pleite. Grundstück und Kunsthaus wurden unter die Zwangsverwaltung der HSH Nordbank gestellt, die später selbst mit Steuergeldern vor dem Ruin gerettet werden musste.
Räumungstermine, Gerichtsverhandlungen, Revisionen, neue Urteile folgten: Jahre, Jahrzehnte wurde um das Haus gerungen gekämpft und geschachert. Zum Schluss ließen sich einzelne Bewohner der Gastro- Gruppe für hohe Summen bis zu einer Million Euro herauskaufen, andere blieben drin.
Am Dienstag morgen rückten Polizei und Gerichtsvollzieher an, die letzten Bewohner versammelten sich zum Protestfrühstück, übergaben dann freiwillig die Schlüssel, ein paar Demonstranten kamen mit Spruchbändern.

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Nun wird das Haus wahrscheinlich zwangsversteigert, die Ruine soll erhalten bleiben und irgendwie künstlerisch genutzt werden, auf der Freifläche sollen Wohnungen und die für Mitte typischen Büros und Gewerbeflächen entstehen. Das war vorher noch einer der wenigen Gründe für den Erhalt des Tacheles: Lieber das ranzige Kunsthaus und seine Besetzer als noch mehr Shopping Malls und Rechtsanwaltskanzleien.
Inzwischen ist die ganze Gegend aber derartig zur Remmidemmi-Tourismus- Fressmeile verkommen, dass es da auch nicht mehr darauf ankommt. Es gibt zum Glück immer wieder andere Orte in Berlin, an denen Kollektive operieren und Freiflächen bewahren. Der Geist vom Tacheles, der ja schon seit Jahren eher ein Ungeist war, muss nicht unnötig konserviert werden.