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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

18. 8. 2012 - 16:21

Die Rückkehr des literarischen Salons

Vor dem Ausgehen ein wenig Literatur. In Berlin sind die literarischen Salons wieder im Kommen.

Der literarische Salon ist bestimmt keine Berliner Erfindung - schon im 17. Jahrhundert kannte man diese Salons in Frankreich, im 18. Jahrhundert dann in ganz Europa. Trotzdem erlebt er in Berlin gerade eine Renaissance und zwar im Nachtleben, besser gesagt vor dem Nachtleben, im Abendprogramm der Clubs.
Die späten Neunziger waren ja die Zeit der Lesebühnen, jene zu 98 % männlich besetzen festen Autorenrunden auf der Bühne, bei denen dann das Publikum einmal wöchentlich für ein geringes Eintrittsgeld Trink- und Lachgeschichten aus Berlin hören konnten. Zeitweise konnte man an jedem Wochentag zu einer anderen Lesebühne gehen: zur Reformbühne Heim& Welt, zur Chaussee der Enthusiasten zu den Surfpoeten, zu Dr. Seltsams Frühschoppen und so fort. Die Lesebühneneuphorie ließ nach, manche Bühnen-Autoren wie Wladimir Kaminer wurden berühmt, und es schien, als habe das Publikum erst einmal genug von der Vorleserei.

Lesung im literarischen Salon Berlin

Christiane Rösinger

Die Jungs von Renates beklemmendem Literatursalon zu Gast im Katersalon

Aber nun sind die literarischen Salons im Kommen: "Renates Beklemmender Literatursalon“ residiert in der „Wilden Renate“ in Berlin-Friedrichhain und im Club Kater Holzig hat der „Katersalon“ eröffnet. Beide Salons haben sich an Orten niedergelassen, die vorher eher für elektronische Musik, Tanz und After Hour-Vergnügungen bekannt waren. Aber eigentlich ist die neue Alliance zwischen Salon und Club doch ganz logisch: Clubbetreiber und Gastronomen scheint es zu recht ein wenig sinnlos, auf Dauer nur Getränke zu verkaufen und Djs zu verpflichten, ein bisschen Buch-Kultur ziert schließlich jeden Club.

Außerdem steht das Gebäude zur Salonzeit um 20 Uhr eh leer bis die Nachtschicht kommt. Bands und Konzerte sind zwar eine schöne Sache, aber aufwändig: Gage, Verpflegung, Technik. Aber lesen und reden, das ist preiswert und geht immer. Zudem schätzt auch das junge Ausgehpublikum die etwas ruhigeren Sitzveranstaltungen, kommt in Scharen und so hat jeder was davon. Letzten Mittwoch lud also Saloneuse und Ebook-Verlegerin Christiane Frohmann zum Katersalon. „Berlin“ sollte diesmal das Thema sein. “ Im Katersalon soll nicht Kultur dargestellt werden, sondern entstehen: im Zusammenwirken von lesendem, meist aber frei sprechenden Autoren, Zuhörern und Performern . Kulturwissenschaftliche Fragen werden mit anekdotischer Unterhaltung gemischt” so steht es in den Statuten des Katersalons.

Christiane Rösinger

Wenn die andern lesen kam man auch gut draußen im Piratendorf-Ambiente rumstehen

Tatsächlich begann der Salon mit einer Art Stand-up- Performance, in der eine junge Frau Auskunft über ihre Kindheit und Jugend in München gab, wo sie sich ganz unpassend fand, weil sie sich, auch wegen des Films „Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ in Berlin viel passender gefunden hätte. Die Medienfigur Christiane F., war dann auch das Thema des nächsten Vortrags. Sollte Christiane F. tatsächlich so etwas wie ein Rolemodel für Münchner Bürgerstöchter gewesen sein? Es scheint fast so.
Für die nach 1969 geborenen, so wurde ausgeführt, bestimmte Christiane F. das Berlinbild, den Berlin Chic, den Chic des Zerfallenen, Abgewetzten, Kaputten, Morbiden.

Dass die Geschichte des Berliner Zerfalls und Undergrounds viel weiter zurück führt, bis in die Siebziger und Sechziger Jahre wurde ausgespart, aber schließlich sollte es ja um Heroin Chic gehen. Über die Heroinverklärung in Mode und Musik erfuhr man dann wenig Neues, es wurde aber die Namensliste der großen Süchtigen vorgetragen.

Publikum des literarischen Salons

Christiane Rösinger

ruhige Sitzveranstaltungen werden auch bei jüngeren Ausgehmenschen immer beliebter

Danach las der Schriftsteller David Wagner aus seinem Buch „Welche Farbe hat Berlin“ in dem er von Spaziergängen durch die sich stets wandelnde Stadt erzählt, und die literarische Figur des Flaneurs neu belebt, was ihm inzwischen schon den Ehrentitel des "neuen Franz Hessel" oder gar des "Marcel Proust von Berlin" einbrachte.
Richtig unterhaltsam wurde es, als die Jungs von „Renates beklemmendem Literatursalon“ auf die Bühne kamen. Mit einem sehr guten beatboxgestützten Berlin-Song-Potpourri eröffneten sie ihre Performance.

Dann galt es galt Romananfänge zu erraten, man konnte Alkohol gewinnen und es wurden eigene Texte vorgetragen.
Weil so ein Salon-Abend dann doch mitunter recht lang werden kann ging man zwischendurch immer wieder ins Freie und stand in der herrlichen Kulisse des liebevoll zusammen gezimmerten Kater-Holzig-Western- und Piratendorfs herum.

Der Nachteil an den literarischen Salons und Lesebühnen ist eben nach wie vor, dass diese Etablissements dem Besucher Einiges an Sitzfleisch und Ausdauer abverlangen. Trotzdem: Ein bisschen Kultur oder Literatur am Abend ist doch netter, als sich immer nur zum Saufen gehen zu verabreden.