Erstellt am: 16. 8. 2012 - 18:36 Uhr
HipHop, Metal, Techno, Pop? You name it!
Was leuchtet da? Ein Waldbrand? Nein, keineswegs. Die Bäume auf der Óbudai-Insel in Budapest sind von zahlreichen Lichterketten umrankt und sorgen dafür, dass jeder Zeltstadtbewohner den Weg in sein temporäres Polyester-Zuhause findet. Noch nie hat ein Campingplatz so gut ausgesehen! Zumindest in der Nacht, bei Tag ist er staubig wie jeder andere auch. Immerhin hält sich der Müll in Grenzen, denn Aufräum-Teams kümmern sich rund um die Uhr um die Sauberkeit beim Sziget Festival, das heuer bereits seinen 20. Geburtstag feiert.

Daniela Derntl
Um das runde Jubiläum angemessen mit den 400.000 Besuchern zu feiern, haben sich die Veranstalter einiges einfallen lassen – unter anderem die Lichterketten auf den Bäumen, neue Bühnen, sowie wassersprühende Holzinstallationen, die die erhitzen Körper kühlen sollen.
Doch nicht nur der 20. Geburtstag gibt Anlass zur Freude, sondern auch der "Best European Major Festival Award 2011". Nach vier regenfreien Tagen beim Sziget-Festival weiß man Bescheid über die Vorzüge des Festivals: auf den 60 Bühnen ist für jeden Geschmack etwas dabei - HipHop, Metal, Rock, Techno, Pop, Hungarian Folk, you name it, they got it. Das Publikum ist freundlich, friedlich und multikulturell, Besucher aus mehr als 60 Nationen sind jährlich beim Sziget mit dabei und das Festival ist beispielgebend organisiert: Es gibt z.B. eine eigene Metapay-Card, mit der man am ganzen Festival Gelände zahlen kann, was unnötige Wartezeiten und Gedränge vermeidet.

Daniela Derntl
Minuspunkte: kein gratis Trinkwasser, die Preise sind in den letzten Jahren nicht nur für ungarische Verhältnisse in die Höhe geschnellt und die Sponsoren-Brandings fallen mehr als unangenehm auf, vor allem dann, wenn das Marketing eines Duschgel-Anbieters genauso abstinkt wie seine olfaktorischen Komponenten.

Daniela Derntl
The Stone Roses
Das Überangebot an Bühnen, Konzerten und Bands drängt die Musik fast in eine Nebenrolle. Wenn es irgendwo nicht interessant genug ist, zieht man einfach weiter, wie z.B. beim peinlichen WupWup-Electro der Crookers und beim eher blutleeren Altherrenrock der Stone Roses. Zu Beginn waren sie nicht abwechslungsreicher als die schwarz-weißen Visuals im Hintergrund, und als diese dann in das Farbspektrum eintauchten, wechselten auch der Sound der Stone Roses von eckig zu funkig. Aber auch "Fools Gold" in einer Funk-Elegie epischen Ausmaßes konnte mich nicht halten. Warum bleiben, wenn Ian Browns Stimme schwächelt und den Gitarrenschwall nur mit Mühe und Not durchbrechen kann? Schade.

Daniela Derntl
Dann doch lieber zur Eastern European Funfair: dort bekommt man einen Eindruck, wie das staatlich kontrollierte Freizeitvergnügen der Ungarn in den Zeiten des Eisernen Vorhangs ausgesehen hat: Dosenschießen mit Polizeikontrolle, Retro-Rummel mit strengen Blicken und staatlichen Schikanen.
Auch nicht schlecht: das queere Variete im Magic Mirror mit der Berliner Travestie-Künstlerin Diva Tomasz inklusive Schlangenfrau, Celine-Dion-Double und Cowboy Dance Ballett.

Daniela Derntl
Korn
Während die Stone Roses eher langweilig waren, haben Korn zumindest für polarisierende Unterhaltung zwischen Kopfschütteln und Headbangen gesorgt. Macht sich der Schlagzeuger absichtlich zum Clown, wenn er zu den vom Publikum kaum goutierten Dubstep-Einlagen fortwährend mit den Drum-Sticks jongliert? Sing Jonathan Davis halbplayback? Weil es bei den Dubstep-Nummern gar nicht andern möglich ist oder weil er schwerer Asthmatiker ist? Immerhin gibt es längere Breaks zwischen den Nummern, bei denen er von der Bühne verschwindet und einmal nimmt er auch die Sauerstoffflasche auf der Bühne in Anspruch. Ein Bassist wie ein Bulldozer, ein Mikro-Ständer als Alien-Ambassador von HR Giger, ein Cover von Pink Floyd, eines von Metallica, dann Freak on a Leash mit finalen fünfminütigen Schlagzeug-Solo. Danach Feuerwerk, Confettiregen, der Gitarrist verteilt seine Plektren andächtig wie Hostien im Publikum und murmelt Danksagungen wie "We owe you everything". Ein Gig, nicht Fisch, nicht Fleisch, ein peinlich berührendes Zeitfenster in die neunziger Jahre mit vielen offenen Fragen und einem halbwegs versöhnlichen Ende.

Daniela Derntl
The XX
Das Konzert-Erlebnis der anderen Art waren die überall zu Recht hofierten und gehypten The XX. Ihre Musik sowie den Auftritt bestimmen die Pausen, die Zurückhaltung, die Stille zwischen den Noten, die schlichte Sehnsucht ohne große Gesten. The XX klingen wie die ausweichenden Blicke zwischen zwei frisch Verliebten: Offensichtlich, aber schüchtern, zwischen Hoffnung und Ahnung, dass es passieren wird. Aber es passiert, keine Frage und es ist groß!

Daniela Derntl
Two Door Cinema Club
Nach The XX bleiben vor allem die Konzerte vom Samstagabend in bester Erinnerung: Den Auftakt machte der Two Door Cinema Club. Das neue Album „Beacons“ erscheint Anfang September und die drei Jungs aus Nordirland sind sich jetzt schon sicher, damit den nächsten großen Wurf zu landen. Ebenso selbstsicher spielen sie auch ihr Set, bei dem das Luftraumaufkommen höher war als über dem Budapester Flughafen.

Daniela Derntl
Selbst die sonst auf eiserne Miene und böse Blicke abonnierten Securities können ihr Grinsen nicht mehr zurückhalten, als sie im 2-Minuten-Takt frenetische Crowd-Surfer aus der Menge fischen. Zurückhaltung herrscht auf Seiten des Publikums nur bei den vier neuen Nummern, sonst wird jede Textzeile inbrünstig mitgesungen. Sänger Alex Trimble nimmt die Begeisterung mit jugendlicher Coolness, immerhin hat er auch bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in London gesungen und weiß mit Wahnsinn umzugehen.

Daniela Derntl

Daniela Derntl
Leftfield
Unter Wahnsinn darf sich auch das Set der längst verschollen geglaubten Leftfield einordnen. In den Neunzigern produzierten Paul Delay und Neil Barnes zwei jegliche Superlative verdienende und mit Platin ausgezeichnete Alben: auf "Leftism" und "Rhythm and Stealth", ausgestattet mit prominenten Gastvokalisten wie Afrika Bambaata und Roots Manuva, formten sie aus den Elementen Dub, Breakbeat, Techno und Funk einen eigenständiges Sound und gleichnamiges Electronica-Sub-Genre. Dank der genialen Videoumsetzung von z.B. Chris Cunningham waren sie auch Lieblinge aller visuellen Abspielstationen und erreichten EDM-Fans weltweit. Nach einer Trennung war es in den letzten Zehn Jahren still um die Band, ein Best-Of sowie ein Live-Album wurden veröffentlicht, neue Töne vermisste man kläglich. Seit 2010 sind Leftfield auf der Bühne wieder vereint und ihre alten Nummern fahren noch immer in Mark und Bein. "Oh my God" jubelt das Mädchen hinter mir und auch als Atheist muss ich ihr Recht geben.

Daniela Derntl
Snoop Dogg
Ja, dann wäre dann noch Snoop Dogg. Der hat sich zum Einmarsch ganz was Neues einfallen lassen: "Also sprach Zarathustra". Aber his Snoopness darf sich auch das erlauben, er steht über allem, so hoch wie das Riesenrad, von dem aus ich den Beginn der großen Show mit DJs, Band, MCs und zwei Gogos verfolge. Er schüttelt seine Hits aus dem Ärmel wie andere Schuppen aus dem Haar. Seinem neuen Reggae-Spleen als "Snoop Lion" zollt er zum Schluss mit einem Bob-Marley-Cover Tribut. "Could you be loved?" darf lautstark mit Ja beantwortet werden.

Daniela Derntl
Es würde mich nicht wundern, wenn das jugendliche Jahrmarktstreiben am Sziget seinen Ruf als bestes Festival Europas erfolgreich verteidigt. For Shizzle my Nizzle!