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Martin Pieper

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Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

17. 7. 2012 - 22:38

"Outing Wochen" bei amerikanischen Celebrities

Was Frank Ocean, Queen Latifah und Anderson Cooper (nicht) gemeinsam haben. Und warum das den amerikanischen Hip Hop verändern könnte.

Anderson Cooper und Ben Maisani

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Anderson Cooper und Ben Maisani

Vor ein paar Wochen hat sich Anderson Cooper, smarter CNN Krisengebietsreporter und Sprössling des uramerikanischen Geldadels, als schwul geoutet. Angeblich läuten auch bald die Hochzeitsglocken. Coopers glamouröse Mutter Gloria Vanderbilt hat laut Wikipedia unter anderem folgende Beziehungen hinter sich: Howard Hughes, Frank Sinatra, Marlon Brando, Truman Capote, Gordon Parks und Bobby Short. Mal sehen, ob Anderson Coopers Beziehung zu seinem Freund Ben Maisani länger hält.

Sein „public announcement“ wurde in der Celebrity-süchtigen amerikanischen Öffentlichtkeit mit Wohlwollen bis Achselzucken zur Kenntnis genommen. Der mehrheitlich weiße schwul-lesbische Mainstream hat einen neuen Helden. Man gratuliert in den einschlägigen Foren zur neuen Offenheit und zur „Visibilty“, ein wichtiger Begriff der Homo-Emanzipationsgeschichte der USA seit den Stonewall Riots, der zur Gleichberechtigung und zum Glück für alle sorgen soll.

Kurze Zeit später meldet sich der R’n’B Sänger und Odd-Future-Mitmischer Frank Ocean via Tumblr zu Wort. In einem tagebuchhaften Eintrag beschreibt er eine unglückliche Schwärmerei, eine Liebesgeschichte mit einem Mann und ungewissem Ausgang. Sehr zart, sehr, nun ja…, poetisch. Zyniker sagen jetzt: Eh klar, grad wenn sein neues Album rauskommt, macht er sich wichtig. Die amerikanischen Hip-Hop-Fans, insbesondere die Anhänger von Odd Future der Hooligan-Truppe rund um Tyler The Creator, sind gespalten. Auf Twitter halten sich die homophoben Rülpser und die Gratulanten die Waage.

„Thank You Frank Ocean“

Schließlich meldet sich selbst der große Jay Z zu Wort. Oder besser: Der König lässt unter dem Titel "Thank You Frank Ocean" auf seinem Blog die Filmemacherin Dream Hampton einen offenen Brief schreiben. Auch sie zieht Vergleiche zum fast zeitgleichen Outing von Anderson Cooper, das in vieler Hinsicht eine ganz andere Bedeutung hat.

Denn während die weiße New Yorker Upper Class wahrscheinlich schon über die Wahl des richtigen Wedding-Planners für Cooper diskutiert, steht der junge Frank Ocean mitten in der Diskussion, ob Hip Hop und R’n’B, die Charts-dominierende Musik der letzten Jahre, seinen Ruf homophob und sexistisch zu sein, nun zu recht trägt oder nicht.

Auch Frank Oceans Buddies von The Odd Future waren in ihrer selbstgewählten Rolle als die ungezogenen Kinder der Hip Hop Geschichte sehr schnell zu Hand mit den einschlägigen Schimpfworten. Die Political Correctness Debatten der 90er Jahre wurden einfach mit ihrem ADS-Rap weggeblasen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Tylers Reaktion - alle Reaktionen und Gegenreaktionen werden in dieser Diskussion höchst öffentlichkeitswirksam über die Social-Media Kanäle gespielt - war dann folgende:

“My Big Brother Finally F***ing Did That. Proud Of That N***a Cause I Know That S*** Is Difficult Or Whatever”

Bevor es hier zu Missverständnissen kommt: queerer Hip Hop ist natürlich schon länger alive and kicking. Siehe Yo! Majesty oder (in der Bounce-Variante) Big Frieda. Und in New York dürfte sich da auch zur Zeit einiges tun. Hier ist ein schöner Pitchfork-Artikel über die aktuellen tollen Acts. Tatsächlich findet das aber, wenn man in Jay Z-Dimensionen denkt, natürlich alles in der Nische statt.

Das schwule Outing eines jungen, erfolgreichen afroamerikanischen Sängers stellt all die Stereotypen auf den Kopf, die durch all die Videos und Texte voller bitches and hoes, faggots und cocksucker scheinbar für immer mit Hip Hop verbunden waren. Ausnahmen bestätigen hier nur die Regeln oder wurden niemals mehrheitsfähig. Die Konstruktion von afroamerikanischer „masculinity“, ohnehin ein Minenfeld der Zeichen und Bedeutungen, zwischen Rassismus und Selbstbehauptung, Gangster-Klischee und Abgrenzung von allem „weiblich konnotierten“ erodiert schon länger. Vor allem an der Schnittstelle von Rap und Gesang, wie sie etwa von Drake, aber auch von Kanye West perfektioniert wurde, ist ein Raum aufgemacht worden, an dem plötzlich von Weichheit und Verstörung, Psychose und Herzblut (abseits von Schusswunden) geredet werden kann. Dream Hampton in ihrem Brief an Frank Ocean:

“You’re a Black man in America whose star is on the rise, working in hip-hop and soul, where gender constructs are cartoonishly fixed. Your colleague Drake is often attacked with homophobic slurs when he simply displays vulnerability in his music. He seems to respond by following those moments of real emotion with bars that put “hoes” in their proverbial place.”

Frank Ocean

Nabil Elderkin / CC-BY-SA-3.0

Die Hip Hop Royality vergangener Dekaden war in allergrößten Teilen versessen darauf, ihre sexuelle Identität, so eindeutig hetero wie möglich zu halten. Da wurde noch verschwitzt über die angebliche Bisexualität (samt angeblicher AIDS-Erkrankung) von Big Daddy Kane gemauschelt, und auch Queen Latifah, mittlerweile im Hollywood Establishment angekommen, hat sich zwar heuer an einer Gay-Parade beteiligt, ihre sexuelle Orientierung aber weiterhin kategorisch zur Privatsache erklärt. Das ist definitiv old-school, wenn man die Entwicklungen der letzten Zeit beobachtet.

Für die jüngere afroamerikanische Generation war das schlichte „Proud to be gay“-Sloganeering der stets weiß geprägten Homo-Bewegung bislang keine lebbare Option, die mit den Bildern schwarzer (männlicher) Identität vereinbar war. Mit Frank Ocean stellt sie sich erstmals in aller Celebrity-geilen Öffentlichkeit ihren inneren Widersprüchen, ohne sie vorerst aufzulösen. Wenn dabei so schöne Popmusik herauskommt wie bei Frank Ocean soll es uns europäischen Zaungästen dieses Diskurses nur recht sein.