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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

4. 7. 2012 - 13:07

Warum ACTA gescheitert ist

Mit der riesigen Mehrheit gegen das Anti-Piraterie-Abkommen hat das Parlament der Kommission die Quittung für die Geheimhaltungspolitik rund um ACTA überreicht. Aus Österreich kam keine einzige Pro-Stimme.

Mit 478 gegen 39 bei 165 Enthaltungen sprach sich das Plenum des europäischen Parlaments heute kurz vor dreizehn Uhr eindeutig gegen das umstrittene Abkommen aus.

Wie die danach kursierenden Abstimmungslisten zeigen, kam keine einzige der Pro-Stimmen aus Österreich. Bis auf die EVP-Abgeordneten, die sich enthielten, stimmten die österreichischen Abgeordeten aus allen anderen Fraktionen geschlossen gegen ACTA.

Die Volksparteien (EVP = EPP) hatten noch direkt davor versucht, die drohende Niederlage zu verhindern und gewarnt, dass man die Entscheidung nicht den "Geisterfahrern von der Internet-Autobahn" überlassen dürfe. Man plädierte erneut auf Verschiebung bis zum Entscheid des EUGh, ob ACTA mit den Bürgerrechten kompatibel sei.

ACTA-Berichterstatter David Martin (SPE) entgegnete darauf, dass ACTA keine "Transplantation mehr retten" könne, weil das Abkommen schon tot sei. Der EPP-Antrag auf Verschiebung wurde mit großer Mehrheit abgelehnt, das Resultat der Abstimmung aber war die Quittung der Parlamentarier dafür, dass dieses Abkommen jahrelang hinter ihrem Rücken geheim ausgehandelt worden war.

Auch langjährige Beobachter des Parlaments können sich an kein Vorhaben einer EU-Kommission erinnern, das derart spektakulär im Plenum abgeschmettert wurde.

Die Geheimhaltungspolitik

Während die Kommission sowie die Lobbyisten der Pharma- und Medienkonzerne von Beginn der Verhandlungen laufend Zugang zum Text des Abkommens hatten, wurde den Abgeordneten jede Einsicht in den Text des Abkommens während der gesamten Verhandlungsdauer verwehrt.

Das Ergebnis hatte sich - allerdings nicht in einer solchen Deutlichkeit - bereits in den Entscheidungen der Parlamentsausschüsse der letzten beiden Monate abgezeichnet. Das Abkommen wurde in den fünf beteiligten Auschüssen des Parlaments nacheinander mit immer klareren Mehrheiten abgelehnt.

Die Genese der Ablehnung

Als einzige Fraktion pro-ACTA war schließlich die EVP geblieben, wobei auch hier von vorbehaltsloser Unterstützung des Abkommens keine Rede sein konnte. Die Überbreite der Formulierungen in diesem Vertrag war auch vielen EVP-Abgeordneten zum einen unheimlich.

Andererseits kam bald zutage, dass ACTA kein einziges Problem der hochspezialisierten europäischen Hightech-Industrie, wie der Maschinen- und Anlagenbauer lösen wird. China und andere Staaten, in denen illegale Nachbauten europäischer Maschinen produziert werden, würden ACTA niemals unterzeichnen. Das war den Abgeordneten im Lauf der Diskussionen klar geworden.

Die Pharmakonzerne

Sogar die Befürworter waren sich nicht sicher, ob ACTA mit europäischen Datenschutz- und Verbraucherrechten überhaupt kompatibel sei. ACTA sollte Inhaber von Produkt-, Nutzungs- und Markenrechten beim grenzüberschreitenden Warenverkehr aber auch die Konsumenten vor Markenpiraterie und Produktfälschungen schützen. Dafür sollten Zollbeamte sorgen, die auf Zuruf sogenannter ACTA-Komitees in jedem Unterzeichnerland agieren.

Als letzter Auschuss lehnte der (federführende) Ausschuss für internationalen Handel ACTA Mit überraschend deutlicher Mehrheit ab. MEP David Martin hatte erst Anfang des Jahres die Berichterstattung übernommen, nachdem der erste Berichterstatter MEP Kader Arif (SPE) wegen der Geheimhaltungspolitik der Kommission zurückgetreten war.

Den Pharmakonzernen kam der Vertrag insofern sehr gelegen, weil er die Möglichkeit ergab, lästige aber legale Re-Importe von Markenpharmaka sowie den Vertrieb von Generika generell hintanzuhalten. Generika sind preisgünstige, völlig legale "Nachbauten" von Markenpharmaka, deren Patente nach zehn oder 15 Jahren abgelaufen sind. Generika wie Re-Importe drücken auf die Profitabilität dieser börsennotierten Umsatzriesen.

Die Praxis der Beschlagnahme

Am Montag hatte die Hilfsorganisation "Aktionsbündnis gegen AIDS" noch einmal Alarm geschlagen und eine Dokumention von 20 Fällen vorgelegt, in denen für Entwicklungsländer bestimmte, völlig legale Ladungen von Generika zumeist aus Indien beim Transit durch Europa beschlagnahmt, monatelang zurückgehalten oder an den Absender retourniert wurden. Dabei handelte es sich nicht um Kopfwehtabletten, sondern um AIDS-Medikamente, Antibiotika usw.

Als Instrument dienen dafür schon jetzt Markenrechte und Copyrights. Beschlagnahmt wird, weil die Generikapackung zwar einen völlig anderen Namen, aber einen - zusammen mit der Marke geschützten - Farbton hat. Oder, weil der Name des Generikums (völlig legal) vom internationalen Freinamen (INN) des Wirkstoffs abgeleitet ist, was weder eine Markenrechtsverletzung oder gar Fälschung darstellt. Die Falle für die Generika dabei ist, wenn der (geschützte) Markenname des Originalmedikaments dem (freien) Wirkstoffnamen ähnlich ist.

Die Unterhaltungsindustrie

ACTA hätte diese Praktiken durch die im Abkommen enthaltenen Bestimmungen für Schadenersatz und Haftung noch bedeutend verschärft. Kosten für Lagerung und Vernichtung der beschlagnahmten Güter wollte man, wenn weder Absender noch Empfänger greifbar waren, dem Spediteur oder Transportunternehmen aufbrummen.

Die absurde Geheimhaltungspolitik der Kommission und die gesamte Genese des ACTA Abkommens vom 2008 bis Oktober 2010 in über hundert FuZo-Stories. Die erste davon datiert mit 29. Mai 2008, die Abgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne) hatte die Kommission schon damals aufgefordert, den Text des Abkommens offenzulegen. Das geschah erst drei Jahre später, als ACTA ausverhandelt war.

Mit Pharma im ACTA-Bunde war und ist die Unterhaltungsindustrie, die ihr seit zehn Jahren angestrebtes Ziel, eine Sperrinfrastruktur für das Internet einzurichten, verbissen weiter verfolgt. Vor ACTA hatte man über das EU-Parlament bereits jahrelang versucht, Tauschbörsenbenutzer mit Berufskriminellen gleichzustellen, indem Uploads bei Tauschbörsen als gleichwertig mit "Produktfälschung" hingestellt wurden.

Provider und Spediteure

Das dezidiert gegen Produktfälscher gerichtete Abkommen ACTA eröffnete die Chance, analog zu den Spediteuren die Internetprovider für die transportierten Inhalte haftbar zu machen. Unauffällig weil indirekt: Indem man eine Passage unterbrachte, die eine, wohlweislich nicht näher definierte Pflicht zur diesbezüglichen "Kooperation" mit den Rechteinhabern enthielt.

Auf die hätte sich die Lobby der Unterhaltungsindustrie beim nächsten Vorstoß für Internetsperren auf EU-Ebene berufen können, nachdem ein halbes Dutzend derartiger Versuche bereits gescheitert war.

Das ACTA-Plenum am Dienstag

"Dieser Text ist gefährlich. Der Teufel steckt nämlich im Fehlen von Details", mit diesen Worten hatte der parlamentarische (Haupt)-Berichterstatter David Martin (SPE) in der ACTA-Plenardebatte am Dienstag die Vorbehalte einer großen Mehrheit von Abgeordneten gegen das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen auf den Punkt gebracht.

Die absolut sehenswerte Diskussion dauerte beinahe drei Stunden, an den weit über hundert Wortmeldungen von Abgeordneten lässt sich ermessen, wie breit und lebhaft die Debatte war.

Zeitgleich mit der Verabschiedeng des französischen Internet-Sperrgesetzes HADOPI gab es im September 2009 die ersten, indirekten Hinweise zum Inhalt von ACTA durch die Kommission. Hier wurden Produktfälscher in einem Atemzug mit Tauschbörsenbenutzern genannt. Der Inhalt des Abkommens aber blieb weiterhin geheim.

Der schottische Abgeordnete David Martin gestand freimütig ein, sich anfangs "überhaupt nicht ausgekannt" zu haben. Erst im Verlauf der Debatte sei klar geworden, was dieses Abkommen in seiner praktischen Umsetzung mit sich bringen könnte. "Unter diesem Vertrag können die Bürgerrechte nicht garantiert werden" schloss Martin und empfahl, das Abkommen abzulehnen.

Der zuständige Kommissar

Hernach las Karel de Gucht, EU-Kommissar für internationalen Handel, im Wesentlichen vom Blatt, was er bei jeder sich bietenden Gelegenheit bereits erklärt hatte. De Gucht, der vehementeste Befürworter des Abkommens in der Kommission, hatte sich nicht nur mehrfach selbst zu Sitzungen der Ausschüsse eingeladen, was möglich ist, aber unter den MEPs als nicht "besonders hilfreich" gilt.

De Gucht hatte zudem vorab erklärt, dass die Kommission auch nach der parlamentarischen Ablehnung am ACTA-Kurs festhalten werde.

Ende Dezember 2008 hatte das EU-Parlament bereits eine Resolution zur Bekämpfung von "Produktpiraterie" verabschiedet, die Überwachungspflichten für Internet-Provider und willkürliche Durchsuchungen von Laptops am Zoll ausschloss.

Die Berichterstatter

Daraufhin waren die Berichterstatter der Ausschüsse am Wort, dabei kam auch als österreichische Abgeordnete Evelyn Regner (SPE) zum Zug. Da der ACTA-Bericht Marielle Gallos (EVP) vom Rechtsausschuss abgelehnt worden war, hatte Gallo die Berichterstattung zurückgelegt, statt einer Empfehlung pro ACTA von Gallo wurde die Ablehnung von Regner verkündet.

Der Abgeordnete und Berichterstatter des Rechtsausschusses Jan Zahradil, auch er ACTA-Befürworter, musste aufgrund der Ausschussmehrheit ebenfalls eine Ablehnung empfehlen.

Plädoyers für Verschiebung

Es folgten die Plädoyers seitens der EVP für eine Verschiebung der Abstimmung, bis sich der EUGh zu ACTA geäußert hatte und hierbei kamen die EVP-Sprecher dann nacheinander in Erklärungsnot.

Bereits vor eineinhalb Jahren hatten Abgeordnete aus den anderen großen Fraktionen genau dasselbe gefordert, nämlich das Abkommen dem EUGh vorzulegen. Die verhandlungsführende Kommission, deren Gesprächspartner in den USA, Japan, den EU-Mitgliederstaaten und vor allem die privaten "Stakeholders", also die Lobbyisten der Konzerne, hatten stets Zugang zum Stand der Verhandlungen und zum Text.

Die Kommission und der Geheimniskram

Den Abgeordneten, die letztlich über ACTA entscheiden mussten, wurde jede Einsicht in den Text des Abkommens während der gesamten Verhandlungsdauer Den Abgeordneten, die letztlich über ACTA entscheiden mussten, wurde jede Einsicht in den Text des Abkommens während der gesamten Verhandlungsdauer verwehrt. verwehrt.

Der Richtlinienentwurf zur Neuregelung der Urheberrechte, vor allem was deren grenzüberschreitende Abgeltung in Europa anbetrifft, ist in der vergangenen Woche aufgetaucht. vor allem nationalen Rechteverwerter werden dabei in die Pflicht genommen. "Dieser Entwurf zielt darauf ab, die Betriebsführungs- und Transparenzstandards der Verwertungsgesellschaften so zu verbessern , dass die Rechteinhaber durch effizientere Kontrolle zu einem effizienteren Management beitragen können,", so heißt es in dem Kommissionsdokument, das Donnerstag hier veröffentlicht wurde.

Kommissar de Gucht hatte sich weiterhin standhaft geweigert, den Text den Parlamentarier vorzulegen und rief auch den EUGh nicht an. Das Abkommen wurde vielmehr ungerührt weiter ausverhandelt und von der Kommission unterzeichnet. Erst als sich immer deutlicher abzeichnete, dass die sicher geglaubte Parlamentsmehrheit dafür mehr und mehr schwand, setzte die EVP auf Verschiebung. Wie der Verlauf der spannenden, fast dreistündigen Debatte zeigte, stand die größte Parlamentsfraktion mit dieser Haltung da schon ganz allein.

Nicht nur Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke sprachen sich am Dienstag unisono gegen ACTA aus. Auch Abgeordnete der kleinen rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Fraktionen vor allem aus Mittel- und Osteuropa waren ebenso dagegen.

Die österreichischen MEPs

In der Debatte meldeten sich nacheinander mehrmals die Abgeordneten Jörg Leichtfried (SPE), der Fraktionsführer der österreichischen Sozialdemokraten, Eva Lichtenberger (Grüne) sowie Martin Ehrenhauser (fraktionslos) mit kritischen bis vernichtenden Stellungnahmen.

Der Abgeordnete Paul Rübig (EPP) plädierte zwar ebenfalls auf Verschiebung, von ihrer Substanz her aber war seine Rede die profundeste Wortmeldung aus dem konservativen Lager überhaupt.

Während sich Rübigs EPP-Kollegen darauf beschränkten, immer desperater klingende Appelle an die Mehrheit abzugeben, kritisierte Rübig die inhaltliche wie formale Vorgehensweise der Kommission. Rübig forderte sie auf, zusammen mit dem Parlament nunmehr die anstehenden Hausaufgaben zu erledigen und die Reform des europäischen Urheberrechts entschlossen anzugehen.