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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

9. 3. 2012 - 12:36

Wenn Maggie mit Mandela tanzt

Geschichte neu geschrieben: "The Iron Lady", ein Biopic als gelungener Propaganda-Coup im Kampf der Ideologien.

Ich hatte mir schon gedacht, ich hätte die erste Pointe, als ich gestern im Kino am Leicester Square ankam und an die offenbar versperrte Glastür klopfen musste, bis mich eine verwundert wirkende Angestellte einließ. Aber um ehrlich zu sein, war außer mir dann doch noch eine handvoll Leute gekommen, um sich knappe zwei Monate nach seiner britischen Veröffentlichung „The Iron Lady“ anzusehen.

Die politische Brisanz begann schon vor dem ersten bewegten Bild mit den Logos des UK Film Council (jüngst von der Konservativliberalen Regierung abgeschaffte Filmförderungsstelle) und der National Lottery (von Thatchers Nachfolger John Major eingeführte Instanz zur Umleitung des Wettgelds der Desperaten in die Kultur- und Sportförderung), unter Beteiligung von Canal Plus and Cine Plus (jawohl, Geld aus Frankreich - „Why don't you get on a boat to Calais?“, sollte Maggie Thatcher im folgenden Film ihre Europa-freundlicheren Kabinettsmitglieder anherrschen).

Kinotür

Robert Rotifer

Zur Schonung meiner Nerven hatte ich es bisher vermieden, mir Phyllida „Mamma Mia“ Lloyds nostalgische Widmung an eine „starke Frau“ anzusehen, aber für meinen Sender tu ich so einiges, und außerdem hatte mir neulich in Wien jemand erzählt, „The Iron Lady“ sei in Wahrheit eine missverstandene, harte Satire.

Diese Auslegung kann ich ja gar nicht nachvollziehen. Aber beginnen wir einmal mit der Rückblende:

Wir sehen Margaret als Jugendliche heroisch die Butter in der elterlichen Gemischtwarenhandlung vor den deutschen Bomben beschützen. Wir sehen ihren Vater eine Brandrede für den Gemeinnutzen des Unternehmertums halten. Wir sehen sie von seiner Unterstützung inspiriert ihren unkonventionellen Weg in der konservativen Partei gehen.

Meryl Streep

Concorde Filmverleih GmbH

„They'll be nationalising the air next“ - Als nächstes werden sie die Luft verstaatlichen – heißt es in den Fünfzigern beim Dinner unter Parteikollegen, eine elegante Umkehrung des in den Neunzigern von Labour geprägten Slogans gegen die von den Konservativen angestrebte (und ironischerweise später von New Labour durchgezogene) Privatisierung der Fluglotsen: „Our air is not for sale!“

Dieses manipulative Spiel mit diffusen Assoziationen stellt immerhin gleich klar, dass wir es hier mit einem gut durchdachten Propagandawerk zu tun haben.

Bald darauf lässt die junge Thatcher einen ihrer großen Merksätze ab: „A man might call it fiscal responsibility. A woman might call it good housekeeping.“
Ein Mann mag es fiskale Verantwortung nennen. Eine Frau nennt es gutes Haushalten.

Mütter protestieren gegen Thatcher, 1985

public domain

Dieselbe Phrase, nur ohne die Mann/Frau-Unterscheidung, ist auch heute die beliebte rhetorische Rechtfertigung des aktuellen konservativen Sparprogramms, eigentlich eine völlig absurde, ökonomisch analphabetische Gleichsetzung von Privat- und Staatshaushalt, die aber geschickt an die eigene Moral appelliert und aus sozialen Kürzungen, die andere betreffen, eine Tugend der eigenen Selbstbeschränkung macht, hier dem Publikum verkauft als erfrischend weibliche Politik.

Drehbuchautorin Abi Morgan, die kaum älter ist als ich und die Thatcher-Ära daher als Teenagerin erlebt haben muss, schleust so ein bisschen Tagespolitik als historische Weisheit ins Skript (interessant übrigens dieses Interview, in dem sie zuerst behauptet, der Film sei nicht politisch, und dann erst recht die Parallelen mit der politischen Gegenwart und den angeblich feministischen Aspekt ins Spiel bringt).

Meryl Streep

Concorde Filmverleih GmbH

Bei einem Dinner mit der gealterten Thatcher lässt Morgan eine anonyme Verehrerin im besten Alter der alten Baroness Thatcher ihren Respekt entgegenbringen:

„I hope you appreciate what an inspiration you have been to women like myself.“
Ich hoffe, sie erkennen, was für eine Inspiration sie für Frauen wie mich gewesen sind.

Das „like myself“, wo wir schon beim Feminismus sind, ist eine ganz wesentlich Einschränkung. Es geht hier ausschließlich um Frauen einer weißen, angelsächsischen, kleinbürgerlichen Herkunft.

Die hierarchische Bewertung von Arbeit bleibt den patriarchalischen Mustern entsprechend bestehen, in Frage gestellt wird bloß der eigene Platz innerhalb der intakten Hierarchie: „I cannot die washing up a tea cup“ - Ich kann nicht beim Abwaschen einer Teetasse sterben – sagt die geborene Margaret Roberts zu ihrem Ehemann Dennis Thatcher, selbst ein Geschäftsmann, über den sie sich ins mittlere Großbürgertum einheiratet und so in der konservativen Partei akzeptabel macht (ein Beschluss, den die beiden im Film nach ihrer ersten Wahlniederlage treffen). Wer in Hinkunft die Teetassen waschen wird, bleibt bezeichnenderweise unerwähnt, aber Dennis ist es wohl auch nicht.

Es folgen ein paar Zeilen, die ich gerne auch in der mit anderen historischen Kontexten beladenen deutschen Synchronfassung gehört hätte. Zum Beispiel die Thatchers Mentor Airy Neave in den Mund gelegten Worte:
„If you want to change the party, lead it. If you want to change the country, lead it.“
Wenn du die Partei verändern willst, führe sie. Wenn du das Land verändern willst, führe es.
Hmm.

Gut auch die Ansage zum Falklandkrieg:
„This seems the wrong time for conciliation.“
Dies ist die falsche Zeit für eine Aussöhnung.

Der Grund dafür wird nicht wirklich angesprochen. Und zwar die taktisch klug erkannte Chance, mit einem ein bisschen sinnlosen, aber patriotischen Blutvergießen nach dem Desaster der ersten drei Jahre im Amt doch noch die Wiederwahl zu erreichen.

Abi Morgan geht hier dem Narrativ zuliebe recht frei mit der Geschichte um. Zuerst sehen wir den Anschlag auf das Grand Hotel in Brighton, dem Thatcher knapp entging (1984), dann erst den Falklandkrieg (1982). In der Wahrnehmung des Publikums erscheint damit, auch wenn die Bombe von Brighton eine der IRA war, der Krieg wie ein Zurückschlagen, ein Härtebeweis angesichts der Gefährdung des eigenen Lebens.

Wir sehen Thatcher, wie sie um jeden gestorbenen Soldaten weint: „I am the only prime minister in the history of our country who is also a mother. I can imagine your grief.“
Ich bin der einzige Premierminister in der Geschichte unseres Landes, der auch eine Mutter ist. Ich kann mir ihre Trauer vorstellen.

Ich für meinen Teil wiederum kenne einen ehemaligen Marinesoldaten, dessen Schiff im Falklandkrieg versenkt wurde (er hat unverletzt überlebt), und dessen unbescholtene Mutter damals allen Ernstes daran dachte, aus Gewissensgründen Thatcher umzubringen. Aber egal.

Wir sehen Thatcher, wie sie ihrem skeptischen Kabinett gegenüber den Krieg begründet. Die argentinische Junta sei eine „fascist gang“ (faschistische Bande), sagt sie.

Ach ja, der Falklandkrieg als antifaschistischer Feldzug, das passt dann wohl wunderbar zum lebenslangen Bund zwischen Thatcher und dem mörderischen chilenischen Diktator Augusto Pinochet, dessen Junta der argentinischen in Grausamkeit um nichts nachstand und der mit der Macht seines Regime jene monetaristischen Experimente von Milton Friedmans Chicago Boys durchzog, die Thatcher dann auf Großbritannien übertrug.

In der Tat erinnere ich mich noch lebhaft daran, wie Thatcher 1999 eigens aus der Pension in die Öffentlichkeit zurückkehrte, um den von der Auslieferung nach Spanien bedrohten Pinochet in seinem Hausarrest in Großbritannien zu besuchen. Sie dankte ihm für die Unterstützung im Falklandkrieg und behauptete, er hätte Chile die Demokratie gebracht.

Von all dem ist in „The Iron Lady“ interessanterweise nichts zu sehen, sehr wohl aber hören wir die hochaktuelle Rhetorik der ökonomischen Schröpfkur:
„Yes, the medicine is harsh, but the patient requires it to live.“
Ja, die Medizin ist harsch, aber der Patient benötigt sie, um zu leben.

Meryl Streep

Concorde Filmverleih GmbH

Der Minenarbeiterstreik als systematische Zerschlagung des Kerns der britischen ArbeiterInnenbewegung findet in Form verschwommener Archivbilder statt. Auch hier heißt es Hartbleiben für Maggie/Meryl, und die Belohnung folgt durch den Boom in der City (jene „Big Bang“ genannte Deregulierung, der wir die heutige Finanzkrise zu verdanken haben), den Fall der Berliner Mauer (Thatchers Verdienst?) und ein paar haarsträubende Sekunden, in denen sie mit einem grauhaarigen Mann tanzt, der offenbar Nelson Mandela verkörpern soll.

Die Wahrheit ist, dass Thatcher Mandela noch in den Achtzigern, als das Apartheid-Regime bereits ein international weithin geächteter, boykottierter Staat war, als Terroristen und Südafrika als Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus bezeichnete (wovon sich David Cameron übrigens noch 2006 bei einem Südafrika-Besuch distanzieren musste).

Selbst ihre gescheiterte Einführung einer Kopfsteuer, unter der etwa eine in eine kleine Wohnung gepferchte Familie ein Vielfaches der Rate eines in einem Palast hausenden Singles bezahlt hätte, wird im Film als prinzipientreue Härte gegenüber dem Sozialschmarotzertum dargestellt:

„We resent those slackers who take take take.“
Wir verachten diese Faulenzer, die nur nehmen, nehmen, nehmen.

Ich habe es vorhin schon erwähnt, ich kann mich an die Regierungszeit Margaret Thatchers gut erinnern, an die latente Aggression, an die jahrzehntelange Spaltung des Landes, wobei die ThatcheristInnen, selbst wenn sie aufgrund des Mehrheitswahlrechts dreimal hintereinander die Unterhausmehrheit gewannen, nie mehr als 42 Prozent der Stimmen erreichten.

Paradoxerweise empfand ich diese Zuspitzung damals auch als aufregend. Niemand inspirierte mehr leidenschaftlich politischen Pop als Thatcher.

Interessanterweise wird davon im Film nur dies gespielt, nicht das, das, das oder das.

Meryl Streep

Concorde Filmverleih GmbH

Obwohl ich seit Jahren nicht mehr Costello gehört habe, musste ich bei den Szenen der in ihrem Bett von der Vergangenheit eingeholten Thatcher/Streep immer an die Zeile aus seinem Anti-Thatcher-Song Tramp The Dirt Down denken, in dem er sich selbst den Schmutz auf ihren Sarg herabtreten sieht: „Well, I hope that she sleeps well at night / Isn't haunted by every tiny detail / When she held that lovely face in her hand / All she thought of was betrayal.“

Jene kleinen Details hat Abi Morgan mit ihrer revisionistischen Darstellung nun also für eine Weile erfolgreich aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verdrängt.

Noch was sagt Streep/Thatcher im Film:

„If you take the tough decisions, people will hate you today and thank you for generations.“
Wenn man die harten Entscheidungen trifft, werden einen die Leute heute hassen, aber einem über Generationen danken.

Tatsächlich leben wir heute in einer von Margaret Thatcher geprägten Welt. Das Ausbluten von Griechenland, die neoliberale Privatisierungsdoktrin in der EU, sogenannte Schuldenbremsen, die Bereicherung von parteienfinanzierenden Individuen am Verkauf öffentlichen Eigentums, die institutionalisierte Korruption der Politik als verlängerter Arm der LobbyistInnen, all das gehört mit zu ihrem Erbe.
Und wenn ihr das tendenziös findet, dann solltet ihr einmal diesen Film gesehen haben.

Maggie: „All I wanted was to make a difference in the world.“
Alles, was ich wollte, war, Veränderung in die Welt zu bringen.
Dennis: „And you did, love, you did.“
Und das hast du getan, Liebes, das hast du getan.