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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

7. 2. 2012 - 13:56

Nicht immer nur über große Brillen reden

Trendbewusst, style-technisch top beschlagen und unpolitisch: Der Reader "Hipster - Eine transatlantische Diskussion" spürt dem feschsten Unwort der letzten 13 Jahre nach.

Eine der wenigen Haltungen zum Thema, auf die sich bislang so ziemlich alle einigen konnten, ist das Einverständnis, dass der Benutzer des Wortes den Begriff "Hipster" nicht auf sich selbst oder die eigene Clique bezieht. Der Begriff "Hipster" wird abwertend gebraucht und zielt nur auf Gruppen, denen man selbst nicht angehört.

Mark Greif

Mark Greif

Mark Greif

Das Sprechen über den Hipster ist in seiner Anlage schon selbst Zirkelschluss und Spiegelfechterei, der Typus dieses hyper-eingeweihten Agenten des Fashion-Fortschritts kaum dingfest zu machen. Über den Hipster selbst zu sprechen ist nicht mehr möglich, that's so over, allein das Sprechen über das Sprechen über den Hipster gibt möglicherweise noch müden Zündstoff. Die Wiener Stadtzeitung FALTER hat vor zwei Wochen reichlich spät endlich auch in Wien die und den Hipster ausfindig gemacht und wusste diese lieben, modebewussten Menschen auch sogleich an abgeschmackten Insignien wie der dicken Hornbrille, dem Baumwollbeutel über der Schulter oder irgendwie Bärten zu identifizieren. Sobald die Kennzeichen und Codes des Hipsters festgeschrieben werden, was in den letzten zehn Jahren schon unzählige Male - so gut wie immer mit süffisantem Ton - geschehen ist, sind sie schon seit drei Monate davor überholt.

Hipster tot

Bereits im Jahr 2010 erschien das Buch "What Was the Hipster - A Sociological Intervention" und wusste also so schon im Titel, "ironisch" gewürzt freilich, den Tod des Hipsters zu verkünden. Herausgeber war Mark Greif, Mitbegründer der Kulturzeitschrift n+1 und aktuell höchstgefragter Essayist - sein sehr empfehlenswerter Band "Blue-Screen. Ein Argument vor sechs Hintergründen" ist vor kurzem erst in der edition suhrkamp erschienen. Jetzt liegt der Reader "What Was the Hipster" - mit leichten Adaptionen - unter dem Titel "Hipster - Eine transatlantische Diskussion" in deutscher Übersetzung vor, und schon im Vorwort bemerkt der Autor, dass es sich beim im Buch untersuchten Objekt ein bisschen um dampfförmigen Zinnober handelt. Er riecht aber gut.

"Jeder Versuch, die Hipster zu beschreiben, ist letztlich zum Scheitern verurteilt, weil darin am Ende nie alle die Hipster wiedererkennen, denen sie selbst begegnet sind. Doch eines Tages, wenn die Hipster längst vom Antlitz der Erde verschwunden sein werden, wenn sich die Subkulturen verändert und sich neue Stile und Formen entwickelt haben, und wenn neue Begriffe für Lob und Tadel gelten, wird die Hipster-Ära von 1999 bis 2011 von historischem Interesse sein - und die Forscher der Zukunft werden sich darauf verlassen müssen, dass wir im Hier und Jetzt unsere Beobachtungen und Eindrücke notiert haben."
(Mark Greif, S. 11)

Hipster Bingo

Hipster Bingo

Ausgangspunkt des Readers "Hipster" bildet ein von Mark Greif initiiertes Symposium im Jahr 2009. Hier wurde in Vorträgen versucht eine Definition - oder viel mehr mehrere Definitionen - des schwammigen Begriffs "Hipster" zu etablieren. Diese Vorträge bilden nun im Buch Angriffsfläche und sind Auslöser für andere Autorinnen und Autoren - Essayisten, Filmkritiker, Literaturwissenschaftlerinnen - eigene Thesen zum großen Überwort zu entwickeln. Der Ton ist ein überraschend scharfer, nicht wie anderswo meist ein tätschelnder. Mark Greif meint, wie er in einer Podiumsdiskussion zum Thema vergangenes Wochenende in Berlin betont hat, mit seinem Hass vor allem den Hipster Typus Eins: Zeitlich in etwa zwischen 1999 und 2003 zu verorten, befördert vom frühen VICE-Magazin und Typen wie dem "loathsome"-Fotografen Terry Richardson oder Vincent Gallo, laut Greif also nicht allzu unterschwellig machoid und über die eigene Political Incorrectness erregt.

Den Hipster "weicherer" oder "grünerer" Prägung ab Mitte des letzten Jahrzehnts sieht Greif in einer Band wie dem Animal Collective manifestiert: Combos mit Tiernamen, pelzige Kostümchen, Three-Wolf-Moon-T-Shirt, putzige Psychedelik und esoterische Hippie-Spielereien. So durchlaufen die Texte in "Hipster" unterschiedliche Niveaus und Haltungen, benennen wiedererkennbare Bands und Orte, Williamsburg, Berlin-Mitte, gehen dem Verhältnis von HipHop und Hipsterismus nach, sind historischer Abriss (inklusive dem unvermeidlichen "White Negro" von Norman Mailer), Privat-Polemik oder akademisch aufgeladenes Wurzelwerk.

Hipster

Hipster

"Hipster - Eine transatlantische Diskussion" ist im Suhrkamp Verlag erschienen. Hrsg. von Mark Greif, Kathleen Ross, Dayna Tortorici, Heinrich Geiselberger. Aus dem Englischen von Niklas Hofmann und Tobias Moorstedt

I Was There

"Trotzdem hat die Digitalisierung die Ordnung des hippen Wissens gründlich über den Haufen geschmissen. James Murphy, der Kopf der New York Band LCD Soundsystem, hat diese Verschiebung in dem Song "Losing My Edge" treffend beschrieben. Er erzählt darin die Geschichte eines alternden Hipsters, der überall dabei war und nun panisch bemerkt, wie der Wert seines Wissens rapide abnimmt, weil ihm die jungen "Internet-Seeker" auf den Fersen sind, die noch mehr wissen als er.

Tatsächlich dürfte sich die Existenzform des Hipsters schlicht überlebt haben. Sie war Teil einer gesellschaftlichen Ordnung, die langsam vergeht. Wenn jeder alles immer und überall wissen kann, dann ist der Hipster eben auch nur noch ein Tourist."
(Tobias Rapp, S. 170)

Großer Gewinn der deutschen Ausgabe sind drei Zusatztexte deutscher Autoren: Jens-Christian Rabe von der Süddeutschen Zeitung, Tobias Rapp vom Spiegel und vor allem Autor des hervorragenden Berlin-Techno-Buchs "Lost and Sound", sowie das allumfassende Pop-Lexikon Thomas Meinecke. Alle drei nähern sich dem "Phänomen Hipster" gleichsam präziser wie gelassener an als ihre amerikanischen Counterparts. Am Ende dürfen wir, nach unterhaltenden und erhellenden (und glücklicherweise kaum "ironischen") Einsichten über etwaige soziologische, politische und wirtschaftliche Verstrickungen des Hipsters, über Gentrifizierung und Trucker-Caps, wieder wissen, dass wir den Hipster da und dort gerne ein wenig nicht so toll finden, weil er bloße Mode und Pose ist, geil glänzendes Gefäß. Und so wichtig auch wieder nicht.

Hipster Bashing
Jung, stilbewusst und „anders“: Wie die Welt gelernt hat den Hipster zu hassen (Christian Lehner)

"Man kommt mit all diesen Definitionen und Beschreibungen aber eigentlich nicht weit. Am Ende steht immer ein Klischee und nicht viel mehr als wütende Trauer darüber, dass der Hipster weder ein Künstler noch ein Intellektueller ist. Nur wäre die Bezeichnung, die sich so hartnäckig in der Welt behauptet, in diesen Fällen nicht überflüssig? Man fragt sich deshalb, warum die Diskutanten einem Gegenstand so viel Lebenszeit widmen, zu dem ihnen nicht mehr einfällt, als dass sie ihn für eine todgeweihte, oberflächliche Witzfigur halten."
(Jens-Christian Rabe, S. 191)