Erstellt am: 8. 11. 2011 - 12:22 Uhr
Florence & The Machine: Ceremonials
This Sensual World/Florences´s World
Die erste offizielle Single vom neuen Florence-Album war "Shake It Out". Und wie "What The Water Gave Me" schrie das nach Stadion und den größten Festivals. Ja, es schrie nach Kolosseum, nach antikem römischen Stadion. Die Vorstellung, Florence & The Machine in einem Amphitheater der Antike zu erleben, hat etwas. In einer riesengroßen Muschel hat sie ja kürzlich schon gesungen, bei Karl Lagerfelds Modeschau in Paris. Einmal Meerjungfrau sein, welch ein Traum. Danke Karl, sagte die Britin höflich zur gern angenommenen Gelegenheit.

Universal
I've Just Never Been A Tracksuit-Wearer
Florence Welch ist ein nice girl, eine freundliche Privatschulabgängerin aus Südlondon. Weil sie den höflichen Akzent einer Londoner Privatschulabgängerin auch nicht komplett verbirgt, haben sich schon so manche Menschen gefragt, ob sie denn auch wirklich genug rock ´n´ roll sei.
Das hat mich nie beschäftigt, aber als es Anfang 2009 hieß, diese drei britischen Musikerinnen könnten groß werden: Little Boots, La Roux und Florence & The Machine, da hab ich sie für die am wenigsten Starke gehalten. Ende 2011 sind die Karten längst neu gemischt. Florence Welch ist ein aus Muscheln steigender Popstar, dem die Modewelt und die Charts zu Füßen liegen.
Wofür jemand wie Roisin Murphy Jahre brauchte, nämlich auch einmal in der Front Row von großen Modeschauen zu sitzen, das und noch viel mehr ging bei Florence Welch sozusagen im Handumdrehen. Extrovertierter als PJ Harvey, entspannter als Bat For Lashes, göttliche Stimme, rotes Haar und Porzellanhaut. Die Tradition des Exzentrischen in der Popmusik: Florence Welch war angetreten sie fortzuführen und traf dabei direkt einen Nerv.

Universal
La Welch ist noch immer erst 25 Jahre alt. Wer aber von einem "Girl With One Eye" - am ersten Album - singt, und von einem Boyfriend, der Särge baut - ebenfalls auf "Lungs" - wirkt wohl älter als er/sie ist. Wer Siouxsie-Sioux-sche Goth-Romantik zelebriert, kommt einfach erwachsener rüber - außer es handelt sich um Emily The Strange - als, sagen wir, ein Pompom schwingendes Mädchen es tun würde.
Gospelstunde statt Geisterstunde?
Da war aber immer auch schon dieser Soul-Blues rund um Florence Welch, und den zelebriert sie am neuen Album besonders. Ihre Coverversion vom 80er Jahre Candi-Staton-Empowerment-Song "You Got The Love" war das erfolgreichste Lied der Florence Welch, und so versucht sie am neuen Album, auch diesen Weg nicht aus den Augen zu verlieren: "Lover To Lover" und "Leave My Body" gehen in diese Richtung, wobei mich Ersteres etwas nervt und Letzteres entzückt.
Florence Welch jetzt gar als neue Annie Lennox? Obwohl, "Lover To Lover" ist vielleicht mehr Tina Turners "Mountain High, River Deep" als das "Be Yourself Tonight" der Eurythmics. Wo bleibt aber nun die Kate-Bush-Ader von Florence Welch, die meinereins so mochte am ersten Album?

UNiversal
Feist meets Carly Simon?
Aufatmen, denn da springen "Seven Devils" hinter einem dicken Bühnenvorhang hervor. Von "holy water" ist die Rede, von Weihwasser, das einem aber nicht helfen kann: "Seven devils all around you, seven devils in your house." Ein echter slowburner ist dieser Song, mit einem wirklich tollen Ende.
Was aber, wenn diese Teufelchen nur spielen wollen? Wenn sie nur so tun als ob und gar nicht bedrohlich sind? So wie es die "ghouls" - die makabren Monster, die Zombies - im Song "Shake It Out" machen: "All of the ghouls come out to play." Nein, diese Monster(chen) sind lieb. Das heißt zwar nicht grundsätzlich, dass Florence Welch nicht mehr die intense young woman von "Lungs" ist, aber Florence ist eben jetzt auch ein Popstar. Ein Popstar, der zuviel auf einmal versucht mit "Ceremonials"?
Da sind Frida Kahlo und Virginia Wolf, die wohl immer gut sind als Inspiration für den Art-Pop. Gemälde und Literatur. Und die Harfe. Ja, da ist sie wieder, etwa beim Song "What The Water Gave Me", jenem Kahlo/Wolf-inspirierten Stück. Und da ist "Never Let Me Go", dessen Beginn an das 90er Jahre Projekt This Mortal Coil vom Londoner Plattenlabel 4AD erinnert. Der Song ist wunderschön und könnte von Liz Fraser gesungen sein. Andere - in diesem Fall die britische Zeitung The Observer - sagen dazu wenig schmeichelhaft: "Half Enya, half Evanescence."
Bigger is better?

Universal
"Ceremonials" von Florence & The Machine ist bei Island/Universal erschienen.
Minimalismus? Nein, Maximalismus. Da sind geradezu heroische Refrains, und der Drum-Sound könnte tatsächlich von einem der 80er-Jahre Album von Kate Bush kommen. Producer und Co-Songschreiber Paul Epworth dominiert das Album. Vielleicht etwas zu viel, samt großer Post-Production. Zuviel "bluster" und zu wenig Substanz? So tönt es jedenfalls aus der britischen Popkritiker-Ecke. Außer beim Q-Magazin, das sich da ganz und gar nicht anschließt und das Album als "stunning" betitelt, fünf Sterne verteilt und sagt, dass Florence Welch in der Tat die rechtmäßige Erbin von Kate Bush ist.
Letztlich ist sie aber doch mehr damit beschäftigt, der zur Zeit alles dominierenden Londonerin Adele mit "Ceremonials" Paroli zu bieten, als von Kate Bush zu träumen. Aber seien wir insgesamt doch froh, einen Popstar wie Florence & The Machine zu haben. Alright?
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