Erstellt am: 20. 10. 2011 - 12:33 Uhr
Der Algorithmus, wo jeder mit muss
Ob Kaufempfehlungen für Bücher oder Musik im Internet, Resultate von diversen Suchmaschinen, Vorschläge für neue Freunde bei Facebook, ob im Börsenhandel oder bei Online-Partnerbörsen – Algorithmen berechnen die Ergebnisse und werden so Teil unserer Individualität. Der Mensch ist berechenbar und Kaufempfehlungen lösen Distinktionsentscheidungen ab. Der freie Wille wird durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen entzaubert.
Algorithemen sind nicht neutral
Algorithmen sind die DNA des Internet, ohne sie wäre das WWW unmöglich. So sieht Autor und Harvard Professor Viktor Mayer-Schönberger die abstrakten, essentiellen Bausteine der IT-Landschaft. Er warnt allerdings davor, die Algorithmen als wertneutrale Werkzeuge zu sehen. Sie sind formbar und ihre Intentionen folgen dem Interesse der Programmierer. Beide sind intransparent, beide meistens konsum-orientiert. Von kommerziellen Absichten abgesehen, birgt der Einsatz von Algorithmen für Viktor Mayer-Schönberger auch gesellschaftspolitische Gefahren:
"Extremfälle sind, wenn wir beginnen Bevölkerungsgruppen während bestimmter Unruhen wie z.B. in London in Haft zu nehmen, weil der Computer sagt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Menschen an den Unruhen teilnehmen. In Wirklichkeit geht es um das, was wir in dem Film Minority Report schon gesehen haben."
Eine ähnlich düsteres Szenario entwirft die deutsche Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel in ihrem utopischen Roman "Next". Sie beschreibt darin eine Zukunft, in der die Algorithmen den Menschen entmündigt und die Weltherrschaft übernommen haben. Es ist ein Appell an ein selbstbestimmtes, unvorhersehbares Leben, in dem man sich nicht mathematischen Formeln ausliefert.
Googles Algorithmus
Eine der Formeln, die täglich und von vielen exklusiv genutzt wird ist der Google-Page-Rank Algorithmus. Er ist das Geheimnis, auf dem der Erfolg von Google basiert.
Seit Dezember 2009 liefert Page-Rank aber keine "objektiven" Suchergebnisse mehr. Wie im Facebook-Newsfeed sieht man nur noch Ergebnisse, die auf die eigenen Interessen abgestimmt sind. Diese Personalisierung ist einerseits praktisch, andererseits geht damit auch der Blick über den Tellerrand verloren. Als "Filter Bubble" bezeichnet der amerikanische Autor Eli Pariser das Phänomen dieser oft unbewussten digitalen Selbstreflexion.
Google lernt bei jeder Suche mehr über uns und stimmt die Ergebnisse mit unserem vergangenen Suchverhalten ab. Cookies, aber auch Browser-Einstellungen, Bookmarks und Plug-Ins verraten, wer wir sind. Für User, die ihren Horizont erweitern wollen, kann die Google-Suche auch groteske Züge annehmen.
FM4-Autor Erich Moechel formuliert es so: "Wenn du dich gegen dein Profil bei Google verhältst, dann werden die Resultate weitaus schlechter. Deshalb kommt man mit einer Search-Engine, die kein Profil gespeichert hat, womöglich schneller zum Ziel."
Wer nicht in seiner eigenen Suppe köcheln will, sollte anonyme (Meta-)Suchmaschinen wie Scroogle oder Ixquick verwenden.
Geldvermehrende Algorithmen
Doch nicht nur das Internet, auch der internationale Börsenhandel wäre ohne Algorithmen nicht mehr denkbar. Via Algorithmen werden in Amerika rund 70 Prozent, in Europa 50 Prozent des Aktienhandels abgewickelt. Das nennt sich dann Algo-Trading oder High Frequency Trading (HFT), weil die Algorithmen Lichtjahre von der menschlichen Wahrnehmung entfernt im Mikrosekunden-Bereich agieren. Hier geht es nur noch um Geschwindigkeit.
Die schnelleren Algorithmen erkennen, wenn ein anderer, langsamerer einen Kauf tätigen will, schnappen ihm dann das Angebot weg und verkaufen es ihm dann um ein paar Cent teurer weiter. Doch nicht nur der Programmiercode, auch die physische Nähe zu den Servern der Börse ist wichtig. Jeder Meter Kabel spart beim Datentransfer Zeit, doch durch das digitale Wettrüsten lassen sich die Entscheidungen der Algorithmen nicht mehr nachvollziehen.
Die Algorithmen stornieren rund 90 Prozent ihrer Aufträge, erzeugen dabei viel Liquidität, die aber nur für die schnellsten gewinnbringend ist.
Trotz der weltweiten Vernetzung der Handelshäuser ist HFT laut Auskunft der Wiener Börse in Österreich kein Thema, da die heimische Investorenschicht anderen Interessen folgt und der Markt nicht so liquide ist.
Algorithmen sind überall
Algorithmen sind zahlreich im Einsatz, es gibt mehr von ihnen als User im Netz. Dennoch hinterfragen die wenigsten die Informationen, die von den Algorithmen vorgeschlagen werden. Sind es neue Gatekeeper oder einfach nützliche Tools? Wichtig ist, dass ein Bewusstsein darüber herrscht, dass Suchergebnislisten, Newsfeeds etc. unsere Wahrnehmung verzerren können.