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Johnny Bliss

Disorderly artist, journalist, and late night moderator, with a fetish for microphone-based hooliganism.

17. 6. 2011 - 00:00

Antarktischer Aktivismus: Die Qual der Wale

Der Guerillakrieg gegen den Walfang

Es war tatsächlich ein Zufall. Auf dem Flug von Singapur nach Melbourne hatte ich ein älteres Ehepaar kennengelernt, das mich dazu überredet hatte, sie in ihrem Zuhause in Hobart, Tasmanien zu besuchen. Er war aus Österreich (geboren bei Graz), aber dieser Zufall ist eine andere Geschichte.

Ungefähr zur gleichen Zeit – buchstäblich innerhalb der selben Stunden – als mein Flugzeug in Tasmanien landete, liefen zwei nachtschwarze Aktivistenschiffe im Hafen ein. Deren Besatzung betrat zum ersten mal seit drei Monaten wieder Festland. 

Beide Schiffe gehören der Organisation Sea Shepherd an. Das eine heißt Steve Irwin und spielt in dieser Geschichte keine weitere Rolle. Das zweite Schiff ist die Bob Barker, ein ehemaliges norwegisches Walfang- und Harpunen-Boot, das für eine Jagd anderer Art umgebaut worden ist. 

Sea Shepherd

Johnny Bliss, 2011

Sea Shepherd

Johnny Bliss, 2011

Ich konnte nicht ahnen, dass ich bald an Bord der Bob Barker gehen würde.

Als Nachrichten-Junkie hatte ich von Sea Shepherd natürlich schon gehört. Ich wusste, dass die Organisation dieses Jahr für ein gehöriges Rauschen in der internationalen Medienlandschaft gesorgt hatte, weil sie japanische Walfangflotten so sehr gestört hatte, dass diese um ihre Verluste einzuschränken ihre Jagd abgebrochen hatten – Monate bevor sie per Gesetz dazu gezwungen worden wären.

Per Gesetz gezwungen?

Besatzungmitglieder eines Sea Shepherd-Schiffs würden sagen, dass die Aktivitäten der japanischen Walfangflotten illegal sind und der Walfang insgesamt gegen internationale Gesetze verstößt.

Tatsächlich handelt es sich in gewisser Weise um eine legale Grauzone. Japan hat die Erlaubnis bis zu 945 Wale während der antarktischen Sommerperiode zu töten. Da dies als zu „wissenschaftlichen“ Zwecken deklariert wurde gilt es als Ausnahme vom Walfang-Moratorium der Internationalen Walfang Kommission (IWC).      

Für mehr Informationen über Walfang, empfehle ich diesen Link.

Sea Shepherd

Johnny Bliss, 2011

An Bord der Bob Barker

Zurück zu meiner zufälligen Begegnung mit den Sea Sepherd ships. Es war überraschend einfach an Bord zu gelangen und Interview-Partner zu finden. Die Bob Barker war bei Führungen öffentlich zugänglich und die ganze Crew beantwortete gerne Fragen. Ich bekam den Eindruck, dass sie glücklich über jegliche Berichterstattung war, inklusive kritischer.

Kritische Berichte gab es haufenweise, nicht nur von Walfang befürwortenden Lobbies und Regierungen. Greenpeace (eine Organisation, die der Gründer von Sea Shepherd, Paul Watson, vor langer Zeit mithalf zu etablieren) bezeichnet deren Aktivismus als „Öko-Terrorismus“, woraus sich eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen Greenpeace und der japanischen Walfangflotte ergibt.

Doch es kann nicht geleugnet werden: Sea Shepherds aggressiver, Boote-rammender Ansatz direkter Aktion zeigt Wirkung.  Seit sieben Jahren folgen sie der japanischen Walfangflotte in die Antarktis und seit sieben Jahren sind sie ihnen ein Dorn im Auge, haben tausenden Walen das Leben gerettet und letztlich dazu beigetragen, dass dieses Jahr der Walfang abgebrochen wurde.

Ship Manager: Andrea Gordon

Sea Shepherd Andrea Gordon

Johnny Bliss, 2011

Andrea Gordon war als Strafrechtsverteidigerin in New York tätig als sie in einer Zeitschrift ein Interview mit Paul Watson las. Sie erkannte, dass der beste Weg marine Wildtiere zu schützen darin bestand dorthin zu fahren und es selbst zu tun. Also heuerte sie bei Sea Shepherd an.

Wie lange wart ihr auf See?

"Mit der Bob Barker waren wir drei Monate draußen. Und wir sind den Walfängern tatsächlich den ganzen Weg bis nach Chile und zurück gefolgt. Wir haben also die halbe Antarktis und zurück gekreuzt, das sind über 30.000 Kilometer. ..“

Was genau habt ihr gemacht als ihr den Walfängern begegnet seid?

"Unser Hauptziel war es, die Nisshin Maru zu erreichen, das ist das Fabriksschiff der Walfänger. Im wesentlichen ist das eine schwimmende Fabrik, die alle Wale verarbeitet, die sie töten, ein schwimmendes Schlachthaus. Wenn wir dieses Schiff einholen, manövrieren wir unser Schiff (500 Tonnen Stahl) direkt vor dessen Aufschleppe. Dadurch können sie praktische keine Wale an Bord bringen."

Hast du dich zu irgendeinem Zeitpunkt als in Gefahr empfunden?

Andrea hält kurz inne. "Nein, ich habe mich überhaupt nicht in Gefahr gefühlt, weil wir viele Vorsichtsmaßnahmen haben. Wir nehmen Risken auf uns, aber das sind kalkulierte Risken. Letztes Jahr haben die Walfänger jedenfalls tatsächlich eines unserer Boote versenkt. [...] Sie hätten beinahe sechs Leute an Bord umgebracht, aber zum Glück waren alle ok.“

Das hört sich für mich schon gefährlich an.

"Ja, Ich würde sagen, wir sind uns ziemlich bewusst, dass diese Walfänger zeigen wie gering sie menschliches Leben schätzen, genauso wie das Leben von Walen. Wir treffen alle nötigen Maßnahmen um solche Risken zu minimieren.“

Letztes Jahr wart ihr auch drei Monate auf See?

"Es waren auch ca. drei Monate. Das ist eins der guten Dinge an dem Schiff, der Bob Barker, dass wir für eine ziemlich lange Zeit draußen bleiben können und das ermöglicht uns bei der Walfangflotte zu bleiben, wenn wir sie einmal gefunden haben. Denn das ist das Schwierigste, die Walfangflotte wirklich zu finden. Das Gebiet, das wir absuchen müssen um sie zu lokalisieren ist einfach riesig.“

Wenn ihr sie gefunden habt ist es wohl wie eine Seeschlacht, stell ich mir vor.

Andrea lacht. "So ist es wirklich. Es ist ein großes Katz-Und-Maus-Spiel da draußen, in der weitläufigsten Landschaft der Welt.“

Bosun (Boatswain): Benjamin Potts

Ben Potts Sea Shepherd

Johnny Bliss, 2011

glücklich in der großen Kabine

Eines der längst-dienenden Mitglieder von Sea Shepherd's "Operation No Compromise" in der Antarktik, Ben Potts, ist in den vergangenen vier Jahren vom Schlafen auf dem Boden und in mehr-Bett-Räumen dazu aufgestiegen endlich seine ganz eigene Kabine zu haben, was hier als großer Luxus gilt. Dennoch ist der Raum nicht viel größer als ein geräumiges Klosett. Dieser Umstand hat unserem Gespräch eine gewisse ... ähm ... Intimität verliehen.

Wie ist es wieder an Land zu sein?

"Es ist gut, mate. Es ist schön frisches Gemüse und Obst zu haben und andere Leute zu sehen, hoff ich mal... und einfach mal Pause machen und Ruhe haben."

Ist das nicht irgendwie surreal?

"Ja, es ist wirklich eigenartig wenn du zum ersten mal vom Schiff gehst und du hast diese Reizüberflutung mit Farben und Lichtern und fremden Leuten. Wir von der crew sind so lange zusammengesteckt, dass es sich sogar komisch anfühlt, wenn andere Leute zu dir kommen und mit dir reden... und die Auswahl, stell dir vor! Du kommst zurück, gehst in ein Geschäft und du weißt gar nicht, wonach du da suchst!“

Zurück zur Antarktis. Erzähl mir von der Antarktis.

"Was wir auf diesen Fahrten sehen ist spektakulär: massive Eisberg-Platten in allen Farben und Formen und Größen. Und viele gefährdete Tierarten, gefährdete Wale, Seeleoparden, Vögel, schwere Stürme...“

Erzähl mir etwas über die Stürme.

"Irgendwie sind wir einmal in einen Sturm von der Größe Australien geraten. Der ganze Bildschirm unsres Wetter-Computers war einfach rot. Das macht keinen Spaß würde ich sagen, aber es kann berauschend sein an Deck von den Wellen überschwemmt zu werden. Du kommst den Gefahren da draußen sehr nahe, hautnah.  Das andere Schiff hat den letzten Teil unserer Kampagne damit verbracht, nach einer norwegischen Yacht zu suchen, die in einem heftigen Sturm gesunken ist."

Weil wir gerade von Gefahren sprechen: eure Konfrontationen mit den Walflotten sind auch kein Honigschlecken. Ich habe gehört, dass es denen bei einer vorigen Kampagne gelungen ist euer Schiff zu versenken. Stimmt das?

Ben Potts Sea Shepherd

Johnny Bliss, 2011

"Das stimmt. That's right. Letztes Jahr hat ein japanisches Walfangschiff absichtlich eines unserer Schiffe gerammt, ist drübergefahren und hat es buchstäblich auseinander geschnitten. Es war ein Carbonfaser-Boot und sie haben ihm den Bug abgetrennt. Wir haben versucht, es abzuschleppen aber es ist gesunken und wir hatten nur Glück, dass niemand dabei umgekommen ist. Alle waren an Deck des Schiffes und wurden runtergestoßen. Einer hat sich die Rippen gebrochen, aber er hatte Glück. Dann das Schiff hat direkt durch die Schlafkabinen geschlagen. Es war so wie wenn wir hier sitzen und ein Schiff kommt mitten durch diesen Raum.“

Habt ihr Anzeigen gemacht?

"Niemand wollte die Sache weiter untersuchen. Die australische Seebehörde und die neuseeländische Seesicherheitsbehörde haben gesagt, dass es ihnen nicht möglich ist es weiter zu untersuchen, weil die Japaner ihnen keine Beweise ausliefern würden. Obwohl wir fünf hochauflösende Videokameras gehabt haben, die den ganzen Vorfall gefilmt haben und über vierzig Zeugen, wurde nichts daraus, bloß weil man sich von japanischer Seite weigerte zu kooperieren.“

"Das Gesetz ist nicht auf unserer Seite, die Regierungen sind nicht auf unserer Seite, aber wir haben die Öffentlichkeit und die Welt sieht uns zu hier unten und wir stellen sicher, dass Medien berichten. [...] Es gab also einen großen Aufschrei über diesen Vorfall. Es hat uns ein Boot gekosten und das Leben unserer Crew war in Gefahr, aber dafür sind wir hier. Das ist ein kleiner Preis, der zu zahlen ist um eine Spezies vor der Ausrottung zu schützen.“

Was ist die größte Schwierigkeit im Leben auf See?

"Auch wenn du dich ausruhst, du bist immer am Schiff. Du kannst nicht einfach aussteigen und die Straße runter spazieren und für einen Tag mal Pause machen. Sogar jetzt, wo wir im Hafen sind, ist es irgendwie schwer das Schiff zu verlassen. Das Problem mit dem Zustand der Umwelt ist, dass du einfach keine Ruhe bekommst. Es gibt so viele Dinge, die dringend getan werden müssen und es gibt einfach nicht genug Leute, die sie tun.“

Da du nicht um Worte verlegen bist, kannst du mir noch etwas von den Dingen erzählen, die du in der Antarktis gesehen hast?

"Vor einpaar Jahren bestiegen ein Kollege von mir (Gilles) und ich ein Harpunen-Boot. Wir blieben einige Tage und mussten in unserer Kabine bleiben. Und da sah ich aus dem Bullauge aufs Meer und ein gewaltiger Finnwal kam vor meinen Augen an die Oberfläche und er blieb eine kleine Weile mit uns. Und das letzte, was ich sah war, wie er mit dem Schwanz schnalzte und ich wusste, das war wieder einer, den sie nicht bekommen würden. Es gibt bei all der harten Arbeit diese Momente, wo du das Gefühl hast, dass dir die Tiere Danke sagen."