Erstellt am: 30. 7. 2011 - 13:00 Uhr
Berlin spielen
Seit Wochen schon hatte es in Berlin Gerüchte um die Wiedereröffnung der legendären Bar 25, dem berühmtesten After Hour Club der Welt – wir berichteten – gegeben.
"Kater Holzig" sollte das neue Etablissement heißen, auf der Kreuzberger Spreeseite sollte es liegen. Lange dauerten die geheimen Baumaßnahmen, dann setzte die Berliner Bürokratie die üblichen Hürden, aber letztes Wochenende war es dann endlich soweit. Bevor das Gelände seiner Hauptbestimmung als Abenteuerspielplatz für Erwachsene, als Chill-Out-Area für Feiersüchtige und Tagesstätte für Hedonisten übergeben wurde, durften die Anti-Folkies und Weird-Folkies ihr experimentelles Festival "Down by the River" auf dem funkelnagelneuen Kater-Holzig-Gelände abhalten. Mary Ocher, Julia Wilton (Pop Tarts, Bierbeben), Jeffrey Lewis und ungefähr 20 andere Bands spielten ab nachmittags auf zwei Bühnen. Staunend eignete sich das Publikum das Gelände an, das früher mal eine Seifenfabrik war und in den goldenen Neunzigern als Technoruine "Planet" der Vorläufer des E-Werks wurde, bevor es wieder zehn Jahre im Dornröschenschlaf lag.

Rösinger
Eine kleines gallisches Dorf ist da zwischen Spree und Köpenicker Straße enstanden, die Holzbauten erinnern an die Filmkulisse einer Westernstadt, das fünfstöckige Fabriksgebäude in typisch verfallener Berlinromantik wird von einem roten Backsteinschornstein überragt. Es gibt zwei Bühnen, mehrere Bars, eine Freiluftpizzeria, und ein ambitioniertes, "Katerschmaus" genanntes Restaurant. Auch der beliebte Beichstuhl, in dem in der "Bar 25" schon allerlei Schandtaten getrieben wurden, ist mit umgezogen.
Von dem hölzernen Sonnendeck auf dem Dach des alten Fabrikgebäudes blickt man weit über Berlin und so ist, ohne überteiben zu wollen, ein magischer Ort entstanden. In dieser ruinenromantischen Kulisse kann der elektronische Easyjetset wieder richtig Berlin spielen. Wahrscheinlich aber nicht für lange: Das Gelände gehört schon einem Investor, der bald, vielleicht schon in zwei Jahren, hübsche Wohnungen mit Wasserblick errichten will. Aber ein oder zwei Sommer lang darf die verstahlte Internationale von Sonntag abend bis Dienstag morgen durchtanzen und abhängen.

Rösinger
Die nicht After-Hour-Affinen können unter der Woche zu Konzerten und DJs kommen. So herrlich die Aussichten sind, so melancholisch wird einem zu Mute, dort im letzten Club an der Spree, beim letzten Stück Freiheit am Wasser.
"Wieso?", sagt dann einer der Veranstalter, "wenn hier alles verkauft und zu Bürogebäuden umgebaut wird, ziehen wir einfach ein Stück weiter am Fluss entlang nach Treptow!".
Das ist die Berliner Hoffnung: Zwanzig Jahre nach Wiedervereinigung und zehn Jahre nach dem Hauptstadtbeschluss gibt es in Berlin immer noch genug Brachflächen, auf denen sich irgendwelche halbillegalen Technoruinen, Strandbars, Electrohütten und sonstige Kaschemmen einrichten lassen.