Erstellt am: 29. 7. 2011 - 01:00 Uhr
Zwanzig Jahre nach Kriegsbeginn
Mit dem Radio reisen
Ein geheimer Ort in den Hügeln von Sarajevo, die Metro im Herzen von Moskau, die Band Laibach nach einem Konzert in Zagreb, mit dem Fahrrad durch die Straßen von Tokio.
An fünf Freitagen von 22. Juli bis 26. August reisen Elisabeth Scharang und Claus Pirschner in Eigenregie oder als Beifahrerin durch die Welt. Sie fragen nach. Sie hören zu. Sie entdecken Neues und sind verwundert über Altes. Und manchmal verlassen sie dafür nicht einmal das Studio.
- Freitags, 19.00 bis 20.15 Uhr
RadioReise eins
Mit dem Künstler und Filmemacher Edgar Honetschläger durch Tokio.
RadioReise zwei
Zwanzig Jahre nach Kriegsbeginn. Eine Reise nach Zagreb, Beograd und Zrenjanin.
RadioReise drei
Ein Besuch in Pristina - der Hauptstadt des jüngsten Staates Europas, des Kosovo.
1991 wurden mit dem Beginn der Jugoslawienkriege ökonomische, politische, kulturelle und soziale Verbindungen zwischen den einstigen Teilrepubliken Jugoslawiens weitgehend gekappt.
Welchen Einfluss haben die Kriege vom Ende des 20. Jahrhunderts auf den Alltag der Menschen heute? Gibt es eine neue “Jugosphäre“, ein gesellschaftliches und ökonomisches Zusammenwachsen im Gebiet des alten Jugoslawiens, das hilft, die mit diesem Krieg verwobenen Nationalismen zu überwinden? Wie steht es mit der Orientierung nach Europa?
Ich habe dazu Stimmungen und Eindrücke in Kroatien, Serbien, Bosnien und dem Kosovo gesammelt.
Bei Laibach in Zagreb
Erste Station meiner Reise ist ein Konzert der slowenischen Band Laibach im Club Boogaloo in Zagreb. Ihr Gründungsjahr ist 1980, das Jahr in dem Josip Broz Tito gestorben ist - der Präsident und Autokrat vom einstigen Jugoslawien. Nach dem Tod der Symbolfigur der Einheit des sozialistischen Landes hat der Zerfall und das Aufkommen der Nationalismen gegeneinander eingesetzt. Laibach haben in ihren Performances von Beginn an Ideologien wie Totalitarismus und Kapitalismus aufgegriffen, sich damit überidentifiziert und sie dann verstoßen.
Ivan Novak, Mastermind von Laibach, erzählt mir, dass sie auch während des Krieges am Balkan Konzerte gegeben haben. Am meisten erinnert er sich an jene im Nationaltheater des seit vier Jahren belagerten Sarajevo im Jahr 1995: "Mit Hilfe der UN-Kräfte sind wir in die Stadt gelangt. Das war ein ziemliches Unterfangen. Wir mussten in den Militärfahrzeugen mit unserem Equipment über die Berge. Mitten im Winter. Es gab dort keinen Strom. Wir gaben zwei Konzerte. Eines war zufällig am letzten offiziellen Kriegstag und das zweite direkt nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton."
Ivan erinnert sich auch an die problematische Perzeption der Musik von Laibach während des Krieges. Sowohl die kroatische als auch die serbische Armee haben sie missbraucht, haben ihre Soldaten damit beschallt, um sie in Kriegslaune zu halten.

Claus Pirschner
"Wir sind die Kriegsgeneration"
Die seit 30 Jahren aktive Formation Laibach zieht als bei ihren Konzerten sowohl Fans aus den 80ern wie auch deren Kinder, heute 20 –30-jährige, an. Mit letzteren komme ich ins Gespräch über ihr Leben im Nachkriegskroatien.
Ein junge Frau gibt mir eine klare Antwort: "Wir sind die Kriegsgeneration. Ich wurde geboren, als der Krieg begann. Das hat natürlich sehr geprägt, wie ich die Welt begreife und es hat unser Familienleben stark beeinflusst." Ihre Freundin neben ihr erzählt, dass sie Glück hatte, weil sie mit ihrer Familie damals rechtzeitig nach München fliehen konnte. Als sie zurückgekehrt sind, hatten sie wieder glücklichere Jahre vor sich.
Die beiden sind in Begleitung eines 1.90 großen Freundes mit langen schwarzen Haaren im Gothic Look. Er erinnert sich, dass ihn seine Eltern oft im Keller versteckt haben, als die Flieger Bomben über ihnen abgeworfen haben. Und der Krieg ist noch immer nicht aus dem Alltag verschwunden: "Fast jeden Tag ist etwas in den Medien über den Krieg, dann ist da das Den Haager Tribunal mit unseren Kriegsgenerälen. Der Krieg ist fast unvermeidbar im Alltag, er spielt noch immer eine zentrale Rolle in unserem Leben."
Jugosfera
Gibt es ein Jahrzehnt nach dem Krieg eine neue Jugosphäre, einen neuen Zusammenhalt in Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft oder Politik zwischen den ex-jugoslawischen Ländern? Der langjährige BBC Korrespondent Tim Judah hat dies in seinem Artikel "Good News from the Western Balkans: Yugoslavia is dead. Long live the Jugosphere" aufgespürt.
Auch BesucherInnen beim Laibach-Konzert sehen sich in einer Jugosfera, auch wenn der Begriff einigen nicht bekannt ist. Eine junge Frau meint: "Ich bin hier sehr verbunden, weil ich in Bosnien geboren bin und meine Eltern dort leben. Ich habe Freunde aus Serbien und Slowenien. Es ist gut, wir hassen uns nicht heutzutage."
Auch Ivan Novak von Laibach sieht eine Tendenz zur Zusammenarbeit, mehr auf kultureller und weniger auf politischer Ebene: "Das hält die Leute hier zusammen, da gibt es Beziehungen seit hunderten von Jahren. Andererseits haben diese neugeborenen Staaten natürlich die Neigung sich voneinander zu distanzieren. Sobald allerdings Kroatien, Serbien und bald hoffentlich auch Bosnien und der Rest von Jugoslawien Teil der Europäischen Union werden, wird wieder eine Art Wirtschaftsraum errichtet. Aber der wird nicht derselbe als er einmal war, einfach weil dieses Territorium auch für andere Invasoren interessant ist, wirtschaftlich wie kulturell."
Weiter ins Nachkriegs-Serbien...
Nach dem Laibach Konzert fahre ich weiter nach Beograd, wo die Queer-Aktivistin Zoe Gudovic über die Situation von Schwulen und Lesben im Nachkriegs-Serbien erzählt. Die Belgrader Kulturwissenschaftlerin Maria Gruic analysiert die erst seit kurzem erfolgte Thematisierung von Homosexualität im Turbofolk – der Musik bestehend aus Folklore- und Schlagerelementen mit billig produziertem Techno. Turbofolk spiegelt den serbischen Mainstream wieder. Einerseits repressiv nationalistisch, andererseits zunehmend konsumorientiert und zaghaft liberaler.
Slavica Stojanovic von den Frauen in Schwarz Belgrad schildert, warum die antimilitaristische Friedensorganisation ein ziviles Tribunal zu den Kriegsverbrechen vorbereitet. Bürgerinnen sollen sich als Opfer, als Zeuginnen austauschen können, Verbrechen öffentlich feststellen können, um so den Krieg verarbeiten zu können.

Claus Pirschner
Aleksandra Sekulic vom Zentrum für kulturelle Dekontamination erklärt, welche Bildungsoffensive sie für die serbische Gesellschaft empfiehlt und wie sich Rebellion in Serbien vom Hooliganismus zu einer progressiven Protestkultur hinentwickeln könnte.
ArbeiterInnenselbstverwaltung statt Privatisierung
Zurzeit rollt wieder eine Privatisierungswelle durch ex-jugoslawische Länder. Spekulanten kaufen Fabriken und schielen auf schnelle Gewinne. Massenentlassungen und Schließungen führen zu Arbeiterstreiks in vielen Betrieben. Den Abschluss dieses Teiles der RadioReise bildet daher eine Exkursion in die Pharmafabrik Jugoremedija in Zrenjanin, eine Autostunde von Belgrad entfernt. Dort haben sich die ArbeiterInnen erfolgreich gegen die korrupte Privatisierung ihrer Fabrik aufgelehnt. Sie haben vor dem serbischen Höchstgericht gewonnen, das die Privatisierung als illegal abgelaufen verurteilt und aufgehoben hat. Danach haben die ArbeiterInnen die Aktienmehrheit ihrer Pharmafabrik gekauft und sie so vorerst vor der Schließung bewahrt .
Sei eingeladen zur Audio-Reise:
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Diese RadioReise nach Zagreb, Beograd und Zrenjanin gibt es am Freitag, 29.7., ab 19 Uhr im FM4 Jugendzimmer Spezial zu hören.
Weitere Radioreisen nach Pristina, Sarajevo, Mostar und Moskau erfolgen an den darauffolgenden Freitagen.