Erstellt am: 29. 6. 2011 - 14:24 Uhr
Mörder lesen lernen
- Adele Bethel von den Sons And Daughters im Interview - zu hören heute Abend in der FM4 Homebase
Ich habe ein Problem mit der Mords- bzw. der Mörderballade. Immer schon. Wusste nicht, warum immer alle Hey Joe spielen mussten. Konnte die Erklärungen von der dunklen Seite, die es zu erforschen gäbe, nie ganz nachvollziehen. Von der Funktion des Mords als Aufhänger des Outlaw-Mythos.
Vielleicht, weil ich auch den Outlaw-Mythos nie ganz so gut finden konnte, der insbesondere im amerikanisch romantisierten Kontext gar kein anarchischer, sondern ein durchaus autoritärer ist, eng verwandt mit jener Schlachtfeldmentalität, die sich nötigenfalls über nerviges Menschenrechtsgefasel hinwegsetzt.
Und überhaupt: Wenn der Outlaw (traditionell immer ein Er) zum Beweise seines Freigeists schon Gesetze brechen muss, wieso dann ausgerechnet jenes, dass man nicht seine Frau umbringen sollte (traditionell sind es fast immer Frauen, oder vielleicht Sheriffs)?
Wie gesagt, verstanden hab ich das nie, vom Exorzismus der Bürgerlichkeit im Wettlauf der Grausigkeiten der Industrial-Ära ganz zu schweigen, weil der nur im engen Kontext einer behüteten Existenz funktionieren konnte.
Zugegebenermaßen hat Adele Bethel von den Sons And Daughters, als ich sie letzte Woche zum Interview über ihr von Serienmörderfiguren strotzendes neues Album „Mirror Mirror“ traf, mir auch nichts anderes als Erklärung angeboten. Sie sei fasziniert davon, was im Kopf des Serienmörders vor sich gehe: „Wo ist der Auslöser? Wo ist die dunkle Seite, die man diesen Leuten nicht ansieht, wenn man im Alltag mit ihnen zu tun hat?“
Ich teile diese Faszination weiterhin nicht. Aber ich fand auch die anderen Erklärungen, die sie mir für ihre Obsession gab, weitaus schlüssiger: „Ich bin ein Kind der Siebziger Jahre, und die Serienmörder waren damals so ein großes Thema in den Medien. Ich erinnere mich sehr lebhaft daran. Da war ein Typ, ein Busfahrer, der durch Schottland fuhr und in Edinburgh ein Mädchen entführte. Und ein anderes Mädchen wurde in der Borders-Region entführt und umgebracht. In unserer Umgebung herrschte eine echte Angst. Der Bogeyman existierte wirklich. Und der Horror-Film war in den Siebzigern auch so ein omnipräsentes Genre. Mein Vater hat mich das alles ansehen lassen. Und ich habe schon sehr früh viel über Serienmörder gelesen. Aber mit Blutlust hatte das nichts zu tun.“

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Anders als im zehn Jahre hinterherhinkenden Österreich waren die Siebziger Jahre nach der Pulverisierung des Idealismus des Vorgängerjahrzehnts im angloamerikanischen Raum tatsächlich eine goldene Ära der Paranoia aller Arten. Aber im Unterbewusstsein des Kinds Adele Bethel mussten andere Zusammenhänge eine Rolle spielen. Die Auseinandersetzung mit einer tief sitzenden Angst vor dem Monster im Mann vielleicht?
„Ja, ich glaube, das war eine große Sache für mich. Ich glaube, man hat als Frau, mehr noch denn als Mann, den Schrecken internalisiert, weil viele dieser Mörder sexuell motiviert sind. Man will diese Leute lesen lernen.“

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Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Mordsgeschichten von „Mirror Mirror“ was zu sagen haben. Weil sie nicht bloß mit dem Schrecken kokettieren, um einem männlichen Sänger den kleidsamen Nimbus der Gefährlichkeit zu verleihen.
Es sind bezeichnenderweise nur die von Adele geschriebenen und gesungenen Songs, die diese Geschichten erzählen, nicht die ihres Partners Scott Paterson (wie das vergleichsweise leichtherzige „Breaking Fun“ oder „The Beach“). Sie spielt darin aber auch nicht das Opfer, sondern eignet sich (und da liegt der entscheidende Unterschied) als Frau und potenzielles Opfer die Person des Täters an, wenn sie etwa in Rose Red die Zeile „I'm cocksure“ singt.
Jener Song handelt von „Bible John“, einem Mörder, der in den Sechzigern rund um den Barrowlands Ballroom von Glasgow nach Frauen suchte, die er für Schlampen hielt und ihnen zur Erklärung ihrer Sündigkeit Bibelzitate an den Kopf warf. Ehe er sie umbrachte. Allerdings nur, wenn sie gerade menstruierten.
Adele Bethel muss nervös kichern, während sie mir die grausamen Details der Karriere des Bible John auftischt. Was immer die rationale Erklärung für den Albumtitel „Mirror Mirror“ sein mag, man muss kein Hobbypsychologe sein, um zu verstehen, dass Bethel den Spiegel auf sich selbst richtet.
Und das in der nackten Umgebung des spärlichsten Sounds seit ihrem Debüt-Mini-Album „Love The Cup“.
Schon die ersten Sekunden von „Mirror Mirror“ sind in ihrer mutwilligen Kargheit ein unmissverständliches Statement, eine „starke Reaktion“, wie Bethel selbst sagt, auf das von Bernard Butler zu Tode produzierte Vorgängeralbum „This Gift“.
Im Gegensatz dazu nun nicht mehr als ein anschwellendes Winseln, ein Stampfen, ein Klatschen: „Silver Spell“, das als Rocksong im Fleetwood Mac-Stil begonnen haben soll und sämtlicher Gitarren beraubt wurde, bis nur der Gesang „einer Chain Cang, nur mit Elektronik“ (Bethel) übrig blieb.
„Wir hatten uns verlaufen“, sagt Adele über „This Gift“, auf das drei Jahre zerknirschter Selbstreflexion folgten. Auf „Mirror Mirror“ haben Sons And Daughters sich nun nicht nur wiedergefunden, sondern gleich mit dem Weitersuchen angefangen. Diesmal dort, wo's erst richtig spannend wird.

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