Erstellt am: 26. 5. 2011 - 14:30 Uhr
Kaputt und schlaflos
Nicht nur Irren ist menschlich, sondern auch das Sich-Verirren. Unsere Lebenswege sind nicht geradlinig, sondern verschlungen, gesäumt von Sackgassen, Kreuzungen und Abzweigungen. Auch wenn sich durch dieses Wirrwarr an möglichen Pfaden ein im Nachhinein ersichtlicher, roter Faden zu ziehen scheint, sind wir doch verwirrt und gespannt, wenn wir gerade in einer orientierungslosen Phase stecken und nicht wissen, wohin uns unsere Reise führen wird. Was an sich wie erwähnt etwas Menschliches und damit nichts Tragisches oder grundsätzlich Negatives ist, kann im Brennpunkt des öffentlichen Interesses schon unangenehm werden. Besonders dann, wenn es sich um einen Menschen handelt, der zur Ikone stilisiert wird, zur Projektionsfläche des Zeitgeistes.
Der Fall Richard Melville Hall hat in der popkuturellen Wahrnehmung große Kreise gezogen. Vom coolen DJ-Nerd Moby mit dem Erkennungszeichen Hornbrille und Glatze, über den einfühlsamen, schüchternen Veganer und politischen Aktivisten, dem Soundtrackgenerator für Werbeclips, dem Diss-Kämpfer gegen Eminem, dem Musiker der von David Lynch ein Video produziert bekommt bis hin zur "Moby-Abstraktion", wenn in der Sitcom How I Met Your Mother sein Doppelgänger zu Silvester zum Revolver greift. Der Coolnessfaktor stand in den letzten Jahren immer wieder an der Kippe. Denn es gibt auch Verirrungen, wenn sich zum Beispiel der grauenhaft aufgeblasene Refrain zu "Lift Me Up" in die Ohrmuschel drückt und man sich fragt, was dem an sich sympathischen Produzenten mit diesem extrem dünnen, abgespackten und oberflächlichen Stück ausgekommen ist.

Katy Baugh
Moby ist längst kein "einfacher Musiker" mehr, kein nur produktionstechnisch abzuhandelndes Phänomen, zu sehr bestimmen "Play" und "18" die Rezeption seiner Werke. Und trotzdem ist "Destroyed" auf eine ganz spezielle Weise anders, verwirrend, weil zu groß und zu klein zugleich.
The broken places
Es fängt verheißungsvoll an, mit verirrt im weiten Raum hüpfenden Beats, einer unheimlichen Soundfläche und dem gewohnt warmen, breiten Synthieteppich, der sich sanft unter die brüchige Collage legt. "The broken places" soll die Stimmung für das Album vorgeben und in Großstädte führen, die um zwei Uhr früh wie verlassene Science-Fiction-Welten wirken. Die behutsame, leise Atmosphäre vermittelt knisternde Spannung.

Moby
Mit "Be the one" trifft eine sterile Vocoder-Stimme ungebremst auf unsere abwartende Haltung. Zwar verdichtet sich der Klangwald mit Gitarrenflächen und etwas seichtem Schlagzeugbeat, aber auch die rückwärts abgespielten Drums und extrem verhallten Feedbacks können die großen Gefühle, nicht zum Vorschein bringen. Distanziert und unterkühlt wirkt das Moby-Universum, bis mit "Sevastopol" wieder der ursprüngliche Lo-Fi-Knister-Knacks-Sound eingeführt wird. Doch nach eineinhalb Minuten schwenkt der New Yorker wieder zu fetten Dance-Beats und die für Moby typische, hypnotische Trance-Harmonieschleife beginnt von Neuem.
Richtungsänderungen gibt es viele auf "Destroyed". Das Konzept des schlaflosen Umherwandelns durch nächtliche, menschenleere Städte soll sie zusammenhalten. Neben den fünfzehn Tracks, die auf über siebzig Minuten ausgewalzt werden, hat Moby noch einen Bildband mit den besten Schnappschüssen zusammengestellt, die er auf seinen nächtlichen Entdeckungsreisen auf Tour geschossen hat - wenn er nicht gerade durch seine Insomnia im halbwachen Zustand an kleinen Loops und Songstücken in irgendeinem schicken Hotel gearbeitet hat. Das reduzierte, sehr sphärische "The low hum" ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich der von Schlaflosigkeit einerseits getriebene, andererseits erschöpfte Geisteszustand in eine sanfte und doch entrückte Elektronikballade transponieren lässt.

Moby
The broken soul
Fragte sich Moby vor zwölf Jahren auf "Play" noch, warum sein Herz sich so schwer anfühlt, so weiß er heute genauer, was die Brechstangen des Lebens sind. Die in die Brüche gegangene Beziehung, der Liebeskummer, die Sehnsucht nach einer funktionierenden Partnerschaft sind immer noch zentraler Zündstoff für lyrische Ideen. Diesmal jedoch scheint eine Abhängigkeit noch mehr Platz einzunehmen, nämlich die von Drogen. So ist die erste Single "The Day" Mobys Freunden in der ganzen Welt gewidmet, die sich ihren inneren Dämonen immer wieder stellen.
Der religiöse Impetus beim Kampf des Guten, Erlösenden gegen das Böse ist unübersehbar, was sich wiederum mit Mobys Vorliebe fürs Studieren des neuen Testaments decken könnte. Vielleicht ist es auch die Aufarbeitung seiner durch Drogen herbeigeführten Panikattacken, die ihn durch die übermäßigen Anstregungen des Tourens immer wieder einmal heimholen. So beschwört er nicht nur seine Freunde bei dem jazzig angehauchten Elektrosoulstück "The right thing", nicht aufzugeben und das Richtige zu tun.

Moby
Konzept und Pathos vs. Bowie und Eno
Moby betont immer wieder, dass seine musikalische Sozialisation von David Bowie und Brian Eno nicht nur geprägt war, sondern dass er ihnen regelrecht verfallen ist. Besonders jene Alben, bei denen Eno und Bowie zusammengearbeitet haben, sind derart tief im Unbewussten des New Yorker Musikers verankert dass er sie als Teil seiner musikalischen DNA sieht. Und bei den großen Momenten dieser Platte kommen tatsächlich diese Inspirationen zum Vorschein. Wenn bei "The Day" Moby seine Stimme erhebt und dann gleich in eine intime, vertraute Sprechtrance übergeht. Oder wenn bei "Rockets" die Synthieflächen wabern und die elektronischen Beats auseinanderbröckeln oder sich "The violent bear it away" mit einer verstohlenen Klaviermelodie und fetten, synthetischen Streichern auf über sechs Minuten ausbreitet.

Moby
Aber genau dort liegt dann auch das Problem der Platte. Moby will zu viel, zu große Gesten, zu tiefe Emotionen. Zu mächtig angelegt scheint das Konzept, zu dick der aufgetragene Pathos der letzten, ausschließlich instrumentalen zweiundzwanzig Minuten, die in keiner Relation zu einem zurückgelehnten Soundtrack für Großstädte um zwei Uhr nachts stehen.
Im Gegensatz zum letzten Werk "Wait For Me", dass durch seine erdige Produktion und damit frischen Soundkosmos einen wirklich berührenden Charme verbreitet hat, scheint Moby hier in eine sehr künstliche, von der äußeren Realität abgekoppelte Welt abgedriftet zu sein. Vielleicht erklärt sich daraus auch eine gewisse Unsicherheit, die im Presseinterview immer wieder durchkommt. Es habe rund dreihundert Songs gegeben, aus denen Moby auswählen konnte. Und trotzdem haben ihn immer wieder Produzenten, Labelmenschen und Freunde versichern müssen, dass genau dieser oder jener Song auf die Platte solle, wie er bereitwillig und einem eigenartig überraschtem Ton erzählt. Irgendwie schwingt bei allen sicher vorgetragenen Geschichten zu den Hintergründen und wohl im vorhinein groß angelegten Ambitionen von "Destroyed" auch immer eine gewisse Orientierungslosigkeit mit, als hätte sich Moby bei seinen unzähligen Fotoshoots in der Nacht ein Stück weit von sich selbst entfernt und verirrt. Auch wenn es die Idee war, mit Erwartungen und Hörgewohnheiten zu brechen und die Spannung durch extra lange Songs zu erhöhen, bleibt man doch verloren zurück, gespalten zwischen aufrichtiger Zuneigung und verwirrender Ratlosigkeit.