Erstellt am: 21. 5. 2011 - 08:00 Uhr
Adel verpflichtet
Chronologie Gorleben
- 1977 Beschluss zur Errichtung einer Wiederaufbereitungs- und Entsorgungsanlage
- 1979 werden die Pläne durch zivile Proteste geändert. Es soll nur ein Endlager geben.
- 1980 besetzen AtomkraftgegnerInnen die Bohrstelle und gründen das Hüttendorf "Freie Republik Wendland".
- 1981 Beschluss zum Bau des Zwischenlagers
- 1984 werden die ersten leicht radioaktiven Abfälle eingelagert.
- 1995 treffen unter großen Protesten die ersten Castor-Transporte mit hochradioaktivem Material ein.
- 2000 beschließt Rot-Grün den Atomausstieg und die Erkundung des Salzstocks bis 2010 auszusetzen.
- 2010 lässt Schwarz-Gelb mittels einer Atomgesetznovelle die Arbeiten in Gorleben wieder aufnehmen, die Laufzeiten deutscher AKWs verlängern, und richtet die Möglichkeit zur Enteignung von Grundbesitz ein, der für die Atomwirtschaft von Nutzen sein könnte.
- Bernstorff, Greenpeace und BewohnerInnen klagen gegen die weitere Erkundung des Salzstocks und fordern einen Baustopp.
- Nach der Atomkatastrophe in Fukushima im März 2011 verkündet Merkel das Atommoratorium. Die sieben ältesten Reaktoren gehen für mindestens drei Monate vom Netz, alle AKWs müssen eine Sicherheitsprüfung absolvieren.
- Im April 2011 wird Bernstorffs Klage in erster Instanz abgelehnt. Die Arbeiten gehen weiter.
Inmitten des weitgehend naturbelassenen Kiefernwalds im norddeutschen Wendland liegt Schloss Gartow, seit dem 18. Jahrhundert Residenz der Familie von Bernstorff. Hausherr ist hier seit über 30 Jahren Andreas Graf von Bernstorff, dem auch die umliegenden 5700 Hektar Forst und 640 Hektar Land gehören. Acht Kilometer davon entfernt durchbricht eine große Industrieanlage die Idylle. Was gemeinhin als Zwischenlager Gorleben bekannt ist, umfasst das Transportbehälterlager Gorleben, eine oberirdische Halle, in der mittlerweile 102 Castor-Behälter voll mit abgebrannten Brennstäben und anderen hochradioaktiven Abfällen lagern, die sogenannte Fasshalle für atomaren Müll mit "vernachlässigbarer Wärmeentwicklung" und eine Pilot-Konditionierungsanlage, wo das Umladen in endlagergerechte Gebinde geprobt werden soll, die im Moment allerdings als Reparaturwerkstatt für schadhafte Behälter herhält. Gleich daneben befindet sich der Eingang zu einem Bergwerk. Im Salzstock Gorleben soll der ganze Mist endgültig und für immer bleiben. Nach Plänen der deutschen Bundesregierung soll dort in etwa 900 Metern Tiefe das nationale Atommüllendlager eingerichtet werden.

dpa
Dass das noch nicht passiert ist, ist zum Teil Andreas Bernstorff zu verdanken. Er besitzt den Grund über dem Bergwerk und die dazugehörigen Salzrechte. Weder das eine noch das andere wird er je freiwillig an die Atomwirtschaft abtreten.
Ehrensache

Bernstorff
Verlockende Angebote dafür hat er schon ausgeschlagen. Die ursprünglichen Pläne sahen nämlich vor, in Gorleben nicht nur eine Entsorgungs- sondern auch eine Wiederaufbereitungsanlage zu errichten. Die salzigen Böden, die dünne Besiedlung und die Nähe zur DDR ließen dem Helmut-Schmidt-Kabinett den Standort dafür geradezu ideal erscheinen. Allein Graf Bernstorff weigerte sich, die dafür benötigten Flächen für 30 Millionen D-Mark zu verkaufen. Er habe gleich gewusst, dass es da nicht mir rechten Dingen zuginge, sagt er heute, und tatsächlich ist Gorleben alles andere als geeignet, um hochradioaktive Stoffe für mehrere Millionen Jahre sicher aufzubewahren. Laut geologischen Gutachten sei Steinsalz dafür grundsätzlich kein gutes Wirtsgestein, eine ursprünglich vermutete mehrere hundert Meter dicke Tonschicht ist doch nicht vorhanden, wie in Asse II könnte Grundwasser ins Lager eintreten und wahrscheinlich liegen in größerer Tiefe Erdgasvorkommen. Die Kombination von nuklearem Abfall und Explosionsgefahr macht daher weitere Sprengungen und Bohrungen in den Stollen nicht unbedingt empfehlenswert.
Hier gibt es einen aktuellen Lokalaugenschein vom Salzstock.

Greenpeace
Viele dieser Einwände gegen das Projekt waren schon in den 1980er-Jahren bekannt. Nur habe sich die Regierung gegen den Druck der südlichen Bundesländer nie getraut, auch andere Standorte zu prüfen, meint Bernstorff. "Ob es überhaupt möglich ist, ein sicheres Endlager zu finden, muss ja grundsätzlich in Frage gestellt werden", so der Graf weiter. Generell hat er zu dem heiklen Thema aber einen sehr pragmatischen Zugang: "Wir setzen uns dafür ein, dass der für ein Endlager am besten geeignete Standort in Deutschland gesucht wird. Es geht immerhin um 30.000 Generationen, für die der Atommüll sicher untergebracht werden muss, und da kann es nicht sein, dass man einfach irgendeinen Standort auswählt." Ein ernsthaftes Suchverfahren und die Prüfung von Alternativen, die zumindest Vergleichsmöglichkeiten bieten, sind deshalb selbstverständliche Forderungen für ihn. Nach den Reaktorunfällen in Fukushima und dem von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgesprochenen Atommoratium scheinen die Chancen in diesem Punkt wieder ein Stück weit realistischer. Bernstorff hegt die Hoffnung, dass die Standortfrage in der aktuellen Diskussion um die Kernenergie noch einmal neu verhandelt und bewertet wird.
Mit den Waffen eines Grafen
Das Interview mit Andreas Graf von Bernstorff ist am Montag, 23. Mai in FM4-Connected zu hören.
In der Zwischenzeit macht der gelernte Forstwirt das, was er seit über 30 Jahren tut. Er wehrt sich, und ist damit im Verlauf der Zeit zu einer wesentlichen Kraft in der lokalen Protestbewegung geworden. Als zum Beispiel 1995 die ersten Castor-LKWs in Gorleben einrollten, zwang er die ganze Eskorte zum Anhalten, in dem er ihr mit gefällten Bäumen den Weg versperrte. "Ich habe das Recht, in meinem Wald Forstwirtschaft zu betreiben, und da kann es zufällig passieren, dass so ein Baum auf die Straße fällt", erzählt Bernstorff, und hat dabei Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Ein anderes Mal veranstaltet er im Gebiet an der Atommüllroute eine Jagd. "Sobald sich die Transporter näherten, wurde von allen Kanzeln ordentlich losgeschossen". Das dabei erlegte Wildschwein erhielt seine letzte Ehre natürlich aufgebahrt auf der Castor-Straße. Die letzte strahlende Ladung schließlich, die nur wenige Wochen nach der Verlängerung der AKW-Laufzeiten im November 2010 eintraf, empfing Bernstorff mit einem Motorsägenkonzert. 60 Kettensägenmusiker marschierten unter Höllenlärm den Wasserwerfern entgegen - auch eine eindrucksvolle Straßenbarrikade.

Father of Hendrike

Neongreen Network
- Andreas Graf von Bernstorff spricht am 24. Mai bei den ERDgesprächen in der Hofburg in Wien.
- Zu Gast sind dort auch Fotograf und Regisseur Yann Arthus-Bertrand
- Architecture-for-Humanity-Gründer Cameron Sinclair
- und Menschenrechts- und Umweltaktivist Ledum Mitee.
Eintritt gegen freie Spende. Anmelden kannst du dich hier.
Selbstverständlich betont das maßvoll korrekte Erbe im Aktivisten jedes Mal, dass solche Aktionen stets friedlich und im Rahmen der Demonstrationsrechte stattfinden müssen. Denn klarerweise sind derartige Maßnahmen nur Nebenschauplatz im Kampf gegen das Endlager. Die wahren Schlachten werden auf dem Papier geschlagen, und da mussten Bernstorff und seine MitstreiterInnen erst kürzlich eine Niederlage einstecken.
Status quo
Gemeinsam mit Greenpeace und einigen BewohnerInnen von Gorleben hatte Bernstorff im vergangenen Oktober eine Klage gegen die weitere Erkundung des Salzstocks eingebracht und einen Baustopp gefordert. Doch das Gericht ist der Ansicht, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung und BürgerInnenbeteiligung für ein Atommüllendlager nicht notwendig seien. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen.
Damit ist juristisch zwar noch nicht das letzte Wort gesprochen, die Bagger im Bergwerk dürfen aber vorerst weiterschaufeln. Die Schächte sind mittlerweile groß genug, um den hochradioaktiven Müll problemlos unterzubringen.