Erstellt am: 11. 4. 2011 - 17:25 Uhr
Anton und der erste Schritt
Text: Maximilian Kronberger
Dieser Artikel ist im Fußballmagazin ballesterer.fm erschienen.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des ballesterer.fm
Als sich Justin Fashanu im Herbst 1990 als schwul outete, stand Glenn Hysen gerade mit dem FC Liverpool am Höhepunkt seiner Karriere. Mit Größen wie Alan Hansen, John Barnes und Spielertrainer Kenny Dalglish holte der schwedische Verteidiger den Meistertitel an die Anfield Road. Über zwanzig Jahre sind seither vergangen, in denen der FC Liverpool keine Meisterschaft mehr gewinnen konnte und Fashanu der einzige Profifußballer blieb, der sich während seiner aktiven Zeit als homosexuell outete. Erst mit einem Interview von Anton Hysen im schwedischen Fußballmagazin Offside im März 2011 sollte sich das ändern.
Familiengeheimnis
Glenn Hysen war noch nie so nervös wie am 11. Juli 2007. Nicht vor einem alles entscheidenden Elfmeter und nicht im ausverkauften Wembley. Als er die Bühne des Stockholm-Pride-Festivals in Södermalm betritt, zittert er nicht nur innerlich. Hysen soll die Eröffnungsrede des schwedischen Lesben- und Schwulenfestivals halten und fragt sich in diesem Moment, warum er das eigentlich tut. Schließlich haben Vertreter der Homosexuellen-Community vehement gegen seinen Auftritt gewettert. Grund für den Gegenwind: 2001 schlug Glenn Hysen auf einer Toilette des Frankfurter Flughafens einen Mann, nachdem ihm dieser zwischen die Beine gegriffen hatte. Eine Episode, die schwere Kratzer am Heldenstatus des zweimaligen UEFA-Cup-Siegers mit dem IFK Göteborg und nunmehrigen TV-Kommentators hinterließ.
Als Offside-Redakteur Anders Bengtsson kurz nach dem Stockholm Pride einen Artikel über Glenn Hysen schreiben will, wird nicht nur über Glenns Auftritt und seine Karriere gesprochen, sondern auch über dessen Fußballerfamilie. Tobias, der älteste und erfolgreichste der drei Söhne, ist gerade aus Sunderland zurückgekehrt und hat beim IFK Göteborg angeheuert. Alexander steht als Tormann beim Zweitligaklub Häcken vor dem Durchbruch. Der Jüngste, Anton, gehört zur U17 des schwedischen Nationalteams und hat einen Trainingsvertrag mit Häcken. Als Bengtsson Glenns Ehefrau Helena interviewt, rutscht ihr heraus, dass Anton sich seinen Eltern gegenüber als homosexuell geoutet hat. Glenn Hysen wollte mit seiner Rede auf dem Pride Festival also nicht nur sein schwulenfeindliches Image geraderücken, sondern auch ein Zeichen setzen. Er wollte seinem Sohn beweisen, dass er stolz auf ihn ist. Von dessen Homosexualität wussten nur die Familie und die engsten Freunde. "Ich hatte natürlich kein Problem damit, dass er sich damals uns gegenüber geoutet hat. Das habe ich ihm auch gesagt, aber gerade deswegen habe ich auch beim Stockholm Pride gesprochen", sagt Glenn Hysen im Interview mit Offside.

APA/MARKUS LEODOLTER
"Ich möchte, dass es alle wissen"
Anders Bengtsson wusste um die Brisanz, die ein Coming-out in der Fußballszene mit sich bringen würde, und schwieg bis zum März 2011. Seit 2007 hat er Glenn und Anton Hysen mehrmals getroffen, ein paar Biere mit ihnen getrunken und den Kontakt aufrechterhalten. Als er im Herbst 2010 einen Brief an Anton schrieb, meldete sich dieser per Telefon. "Ich finde, jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich möchte, dass es alle wissen, damit ich mich nur noch auf den Fußball konzentrieren kann", antwortete Anton. Die beiden trafen sich im November, und Bengtsson versuchte gemeinsam mit Anton, die Auswirkungen eines Coming-outs abzuschätzen. "Zuerst habe ich ihm mehr über mich erzählt und wie ich die Sache sehe. Es war mir wichtig, dass er versteht, welche Folgen das für seine zukünftige Karriere haben könnte. Es würde wahrscheinlich alles ändern", sagt Anders Bengtsson zum ballesterer.
Weitere Treffen und stundenlange Gespräche folgten. Bengtsson besuchte mehrere Trainingseinheiten beim Viertligisten Utsiktens BK, denn nach einigen unglücklichen Verletzungen wurde Antons Vertrag bei Häcken nicht verlängert, und so landete er in der Göteborger Divison 2, einer regionalen Gruppe der vierten schwedischen Liga. Trainer dort war sein Vater, dessen Vertrag als TV-Kommentator ebenfalls nicht verlängert worden war. Anders Bengtsson und der mittlerweile 20-jährige Anton entschlossen sich, das Coming-out in der März-Ausgabe von Offside zu bringen. "Mir ist klar, dass es nach diesem Interview anders werden wird. Jetzt wissen alle Bescheid: alle Trainer, alle Gegner und meine Mitspieler. Aber sollen die Leute mich doch beschimpfen, das spornt mich nur noch mehr an", erklärt Anton gegenüber dem Magazin.
"Um ein Coming-out zu wagen, muss man so sein wie Anton. Er kümmert sich nicht um das, was die Leute sagen", sagt Glenn Hysen. Für Anton war es kein Problem, als ihm klar wurde, dass er schwul ist. "Es war nie hart für mich, es war immer härter, ein Hysen zu sein", sagt er. Glenn, die schwedische Größe, Tobias, der Nationalspieler und Alexander, der Tormann: Allen gelang der Durchbruch schon in frühen Jahren. Anton hatte zu kämpfen, und das machte ihm mehr zu schaffen als seine sexuelle Orientierung, die für seine Karriere kein Kriterium darstellen sollte, wie er gegenüber Offside sagt: "Ich bin Fußballer. Und ich bin schwul. Wenn ich als Fußballer meine Leistung bringe, muss es doch niemanden interessieren, ob ich auf Burschen oder Mädels stehe."
Gierige Medien, beleidigter Bierhoff
Neben durchwegs positiven Reaktionen wurde in manchen Medien auch die Meinung laut, ein Viertligakicker könne leichter zu seiner Homosexualität stehen als ein Star. Doch egal ob in Schweden oder sonstwo – Anton Hysen wollte aufzeigen, dass es keine große Sache sein muss, sich zu outen. Tanja Walther-Ahrens, Ex-Spielerin bei Turbine Potsdam, Buchautorin und Aktivistin bei der European Gay and Lesbian Sports Federation, hat Respekt vor Hysens Offenheit. "Was die Konsequenzen betrifft, finde ich es in der vierten Liga fast noch mutiger als in der ersten. Weiter oben gibt es einen gewissen Schutz durch die Medien und eine dadurch erzwungene Political Correctness", sagt Walther-Ahrens. Elisabeth Kotvojs von der österreichischen Antidiskriminierungsinitiative FairPlay sieht das Outing als Schritt in die richtige Richtung, plädiert jedoch dafür, den Umgang mit der sexuellen Orientierung jeder Fußballerin und jedem Fußballer selbst zu überlassen: "Gesellschaftlich sollte es vollkommen egal sein, ob jemand lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender ist. Bei Heterosexuellen geht das die Öffentlichkeit ja grundsätzlich auch wenig an." Der Fall Hysen habe jedoch gezeigt, dass zwischen Voyeurismus und Sensationsgier und der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Homophobie eine große mediale Lücke klaffe, sagt Kotvojs.
Justin Fashanus Coming-out wurde in der britischen Sun ausgeschlachtet. Freilich auch mit seinem Zutun, da er dringend Geld brauchte. Am Ende konnte Fashanu dem Druck nicht mehr standhalten. Als gegen ihn 1998 ein Verfahren eingeleitet werden sollte, weil er sich angeblich an einem Minderjährigen vergriffen hatte, nahm er sich das Leben. Dass es mit Fashanu und Hysen bis heute nur zwei aktive Profifußballer gibt, die sich als schwul geoutet haben, ist aber nicht nur auf die Medien zurückzuführen. Das oft rustikale Umfeld im Fußball, die Mitspieler und Funktionäre sowie die Fans sind weitere Gründe. Der Präsident des kroatischen Fußballverbands, Vlatko Markovic, und Ex-ÖFB-Teamchef Otto Baric sind nur zwei Beispiele für die landläufig verbreitete Meinung, dass Schwule im Fußball nichts verloren hätten. Demgegenüber machte sich DFB-Präsident Theo Zwanziger zum wiederholten Mal für die Enttabuisierung von Homosexualität im Fußball stark. Dass aber auch im eigenen Verband noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten ist, zeigte Oliver Bierhoff. Als in einer "Tatort"-Folge über einen ermordeten schwulen Fußballer von Gerüchten die Rede war, die halbe Nationalmannschaft sei schwul, wertete der Teammanager dies als "Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalelf."
Marcus Urban weiß, wie die Fußballfamilie tickt. Der Nachwuchskicker von Rot-Weiß Erfurt beendete in den 1990ern seine Karriere, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Geoutet hat sich Urban erst Jahre später. "Ein Fußballer muss dem Bild des starken Kriegers entsprechen. Männlich, verwegen, angriffslustig. Schwächen zu zeigen ist verboten. Das alles passt nicht zu landläufigen Klischees über Schwule", sagte Urban kürzlich in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt. "Dennoch bin ich sicher, dass inzwischen die meisten Fans Schmähungen gegenüber einem schwulen Profi strikt ablehnen würden." Ob er rechtbehält, wird sich auch am weiteren Verlauf der Geschichte von Anton Hysen zeigen.