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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

13. 6. 2011 - 13:27

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (19)

Juni: Internet & TV und das erste Vergehen

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 5. Juni

■ Die Regeln für Juni:

Internet ist begrenzt erlaubt: Das Abrufen von Emails ist gestattet, außerdem kann das Internet benutzt werden, wenn es eindeutig beruflich notwendig ist.
Verboten sind soziale Netzwerke und Youtube, Kommunikationsprogramme wie Skype, jegliche Informationsbeschaffung aus privatem Interesse, Online-Zeitungen und -Magazine, private Homepages etc.

Fernsehen, DVD, VHS und Filme am PC sind grundsätzlich verboten. Einzige Ausnahme: Ist man bei zu Freunden zu Gast, die Television begehren, muss man nicht aus dem Raum laufen und "Nein nein nein!" rufen.
Auch Kino ist erlaubt.

■ Kleine Witz-Skizze, ausbaufähig: Woran erkennt man Clowns beim Sex? Sie blasen das Kondom auf und knoten daraus einen Hund.
Wie gesagt: ausbaufähig.

Montag, 6. Juni

■ Witzbaustelle Nr. 2:
Zwei sexuell ausgesprochen aufgeladene Damen stehen nach der Sperrstunde vor einem Lokal. Fragt die eine: "Meinst du, dass wir noch einen Rum kriegen?"

■ Tauben haben einen zu Unrecht schlechten Leumund. Sie sind liebenswürdige Vögel. Dies öffentlich zu erwähnen, ist mir ein Anliegen, weil diese wahren Könige der Lüfte jede Form von Image-Support wie jenen Bissen Brot brauchen, den ihnen zu verabreichen mittlerweile nicht einmal mehr als Kavaliersdelikt, sondern nahezu als Kleinkriminalität eingestuft wird.

Ich kenne nur drei oder vier Leute, die wie ich Tauben-Freunde sind. Nicht zufällig sind dies auch die edelsten Menschen, die mir bekannt sind.
Man vermumme sich des Nachts und sprühe den folgenden Tauben-Ruf-Verbesserungs-Vierzeiler an sämtliche Mauern der Stadt:

Ich bin ein kleiner Täuberich
Und nach dem Scheißen säuber’ ich
Fassaden, denn ich glaube
an’s Gute in der Taube.

marc carnal

Dienstag, 7. Juni

■ In meinem Notizbuch steht "Binnen-Bienen".
Leider kann ich nicht mehr rekonstruieren, für welches zweifelsohne brillante Bonmot mir diese beiden lautverwandten Begriffe als Gedankenstütze dienen sollten.

Denken Sie sich doch selbst was aus.

Mittwoch, 8. Juni

■ Ohne es jemals irgendwo gelesen zu haben, würde ich beschwören, dass der Anführungszeichen-Einsatz bei homo "sapiens" ein ausgesprochen beliebtes Ironie-Tool für kritische Schülerzeitungs-Aufsätze darstellt.

■ Als ich einmal im Internet auf (an sich kostenpflichtige) Videos stieß, welche sommerlich kostümierte Damen dabei zeigen, die mit ihren Autos im Schlamm oder Schnee stecken bleiben und sich nicht mehr befreien können, manifestierte sich eine Ahnung zur Gewissheit, dass man beinahe jeden Inhalt unter dem Sex-Label anbieten kann und dafür sabbernde Abnehmer finden wird, dass man also Fetische nicht nur bedienen, sondern auch erfinden kann.

Dieser Überlegung Folge leistend plane ich, demnächst eine pornographische Seite zu eröffnen, die Damen- und Herrenfüße, meist unbekleidet, manchmal auch verhüllt, dabei zeigt, wie sie in und auf frische Backwaren und Konfekt steigen. Zarte Füßchen in Apfelkuchen, Elefantenfüße auf Pralinen, Hornhaut in Sachertorte oder Tennissocken auf Weihnachtskeksen. Bei ausreichender Werbung rechne ich mit einem Ansturm.

Donnerstag, 9. Juni

■ Die ausgesprochen sympathischen Damen und Herren vom Landjäger Magazin besuchen mich, um die druckfrische Ausgabe "Du bist was du isst" vorbeizubringen.
Es ist ein wunderschönes Heft, das meinen alten Traum erfüllt hat, auf einem Magazincover meinen Namen neben jedem von Gaudimax Harry Prünster zu lesen.

All jene mit Stil und Anstand mögen eine Ausgabe auf der Homepage des Landjäger Magazins oder in einer der Verkaufsstellen erstehen.

■ Schon eine Woche Abstinenz von sozialen Netzwerken bestätigt, dass es sich bei diesen Kommentar-Müll-Generatoren um zwischendurch der Zerstreuung durchaus dienliche, aber an sich völlig überflüssige Tools handelt. Es sind keine sozialen Netzwerke, da die ständige Simulation von Kontakt und Aktivität tatsächliche Kommunikation und Interaktion nur scheinbar ersetzt.
Statusmeldungen zu schätzen oder Kommentare zu kommentieren bedeutet nicht, mit Menschen zu kommunizieren und Urlaubsfotos von Halbfremden nicht, an deren Leben teilzuhaben.

Das wußte ich auch vorher schon, der Verzicht auf Facebook und Konsorten bestätigt mich aber in Form von erfüllter und keineswegs kontaktärmerer Bonus-Zeit.

Freitag, 10. Juni

■ Zweifelsohne unter den Top drei der unsouveränsten Gesten: Sich vor einem Spiegel verrenken, um den tadellosen Sitz der Hose in der Rückenansicht zu kontrollieren.

■ Verschwörungstherorie: Natascha Kampusch lebt!

■ Kollege L. schreibt aus Kiew. Er ist gerade dabei, mit dem Fahrrad von Salzburg nach Salzburg zu fahren. Allerdings nicht auf dem direktesten Weg, wie er es ausdrückt, sondern über Wien, Wroclaw, Kiew, Moskau, St. Petersburg, Helsinki, Stockholm, Kopenhagen und Hamburg. Alleine, nur mit Rad und Anhänger.

lukas pichelstorfer

Nachdem der wagemutige Saison-Extremsportler letztes Jahr bereits auf die selbe Weise das Donau-Delta erreicht hat, ist ihm diese zehrende Tour durchaus zuzutrauen. Dabei muss er allerdings mindestens siebentausend Kilometer in vierundachtzig Tagen schaffen. Da Pausen eingeplant sind und es nicht immer möglich ist, die ideale Route zu verfolgen, muss er also täglich über hundert Kilometer zurücklegen, und das nicht mit einem federleichten Rennrad, sondern mit einem massiven Vehikel samt schwerem Anhänger.
Für interessierte Freunde und Bekannte schreibt L. bei Gelegenheit ein bebildertes Mail-Blog. Aus dem ersten Bericht:

"Die ersten Kilometer ab Salzburg waren seltsam. So recht realisiert hatte ich da noch nicht, was ich da vorhabe. Am ersten Abend kamen auch die ersten Zweifel: Was mache ich hier überhaupt? Warum nochmals habe ich geglaubt, dass das lustig wird? Sollte ich nicht einfach nach Hause und so tun, als hätte ich nie so eine seltsame Idee gehabt? Doch die erste Nacht ging um und der Mut kam zurück."

lukas pichelstorfer

Nach schönen Erlebnissen mit hilfsbereiten Zufallsbekanntschaften, zermürbenden Pannen, Umwegen, ukrainischen Ernährungsengpässen, Dauerregen und Knieproblemen hat Kollege L. mittlerweile die Etappe Kiew-Moskau in Angriff genommen.
Vorfreudig auf den nächsten Zwischenbericht drücke ich an dieser Stelle alle verfügbaren Daumen für den Rest der Reise!

Samstag, 11. Juni

■ Jungfrauen gelten als kühl, rational und skeptisch. Ich bin Jungfrau im Sternzeichen und kann das nur bestätigen. Ich bin sogar so rational und skeptisch, dass ich nicht an Astrologie glaube!

■ Ein erdrückend großer Teil der Gesamtbevölkerung würde Ironie oder Sarkasmus nicht ohne Satzzeichen-Smiley erkennen.

Nachträgliches Geständnis / Erstes Vergehen:
Am 31. Mai zu ausgesprochen nächtlicher Stunde, noch dazu am Welt-Nichtrauchertag, überkam mich nach vierzig rauchfreien Tagen, beträchtlich berauscht durch Bier'n'Wein und passiv verführt vom genüsslich schmauchenden Kollegen Hure, die Lust und ich rauchte nicht nur eine, sondern gleich ZWEI Zigaretten.

In der Zielgeraden des Monats Mai habe ich mich also zum ersten Vergehen im Jahr des Verzichts hinreißen lassen.