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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

7. 2. 2011 - 21:00

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (5)

Jänner: Alkohol / Februar: Masturbation

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.

30. Jänner

Gauloises, Winston, Chesterfield. Kent und Vogue im Wettlauf

Der Fan des Sprinters Alois rief:
“Gauloises wird noch eng!“ Lois lief,
fiel weit zurück, der Fan jedoch
schrie: „Hopp, Lois, dann ge Winston och!“
Doch hatte Alois sich ver Chest-
erfield och weit zurück, den Rest
Kent man zu gut, Vogue gner sind,
bläst eben rauer Gegenwind.

■ Ich empfand es als Kind bei der Lektüre der Knickerbockerband immer als ungerecht, dass Dominik für seine als geschwollen apostrophierte Sprechweise gehänselt wurde. Anstatt dem findigen Brezina seine nach Schablonen erdachten Geschichten vorzuwerfen, könnte man ihn mal zur Abwechslung dafür tadeln, dass er einen gewählten Ausdruck als Grund für Spott darstellt.

■ Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Charakter das Aussehen formt.

31. Jänner:

■ Der letzte Tag ohne Alkohol. Von der Interessensgemeinschaft Verzicht blieben immerhin viereinhalb Mitglieder eisern.
Einen Monat lang abstinent zu leben stellt für die Mehrheit eine große Herausforderung dar, zugeben würden das allerdings wenige.

Es war erholsam. Ich fühle mich fantastisch.

Trotzdem Vorfreude auf morgen Abend. Ich gedenke mit Gin Tonic zu starten.

Gehaltvollere Resümees folgen.

■ An manchen Tagen kostet es eine beträchtliche Überwindung, auch nur einen einzigen Satz zu schreiben. Alle paar Jahre fällt ein solcher Tag auf den 31. Jänner.

■ Eine mittelprächtige Freundin, die einst etwas erbost darüber war, dass ich sie in einem Aufsatz ebenso bezeichnete, berichtet, dass sie zwei Jahre ihrer späten Adoleszenz hypochondrisch genug war, um im Monatstakt entweder auf Alkohol oder auf Zigaretten zu verzichten. Sie trank und rauchte zwar mit Freude, wagte es aber nicht, beides gleichzeitig zu genießen. Charmantes, aber fragwürdiges Konzept.

■ Ganz übler Anglizismus, gefunden in einem Youtube-Kommentar: „Du hast meinen Tag gemacht.“

1. Februar

marc carnal

■ Keine Trinkbilder

■ Keine Trinkerzählungen.
Grundsätzlich.

2. Februar

■ Endlich wieder einmal ein richtiger Kater. Kein durchschnittlicher, der routiniert weg-koffeinisiert wird, sondern ein schöner Teenager-Kater mit Verzweiflung und stechenden Kopfschmerzen. Meine erste Assoziation beim Blick in den Spiegel ist eine venezianische Karnevalsmaske.

■ Jörgerbad mit meiner heimlichen Schwimm-Partnerin. Beschließen, uns nach außen hin gegenseitig zu anonymisieren. Niemand würde denken, dass gerade wir beide uns wöchentlich gemeinsam ertüchtigen. Wir pflegen auch sonst keinen Kontakt. Nur alle paar Tage der verschwörerische SMS-Wechsel „Mittwoch? – Ok“ Wir wollen in Zukunft noch viel abwegigere Unternehmungen heimlich zu zweit absolvieren, so steht demnächst eine Gesundenuntersuchung auf dem Programm.
Im Jörgerbad ist leider Warmwassertag. Ein satter Aufpreis für drei Grad mehr! Protest! Ich fühle plötzlich ägyptische Wallungen in mir. Sind wir denn die Melkkühe der Nation!!!???
(Der letzte Absatz dient nur dazu, mir meinen sehnlichen Wunsch zu erfüllen, endlich einmal die „Melkkühe der Nation“ irgendwo einzubauen)

■ Immerhin führt mich mein Ärger später im Internet zu einem mir bisher unbekannten Genre: Der Schwimmbad-Rezension. Auf der Seite wien-konkret.at, die unter anderem über den Ausländer-Anteil in Bädern Auskunft gibt, lassen verärgerte Schwimmgäste ihrem Zorn freien Lauf:

Statement was true!
I'm visiting Vienna from the States and I found that the comment about foreigners was true. I loved the bath house, but I completely understand not wanting to be butt naked in front of people from Turkey or other such countries. It would have been great if only Western Europeans were at the Joergerbad when I went, but that wasn't the case. I stayed with a towel wrapped around me for the entire time because for about 2 hours there was a Turkish man gawking at me just waiting for me to take it off. He kept walking by and staring at me. He was completely disgusting, made no bones about walking around with a complete erection for all to see, and thought he looked really great. I ended up leaving early because it made me so sick. I don't blame all the Austrians for wanting these people to leave. They are just gross and they look unclean. Some of them even smell.
Hope this helps!
A foreigner visiting from the United States
(Jörgerbad)

Die Familienkabine muss man sich entweder mit 8 Müttern und 8 Babys teilen oder man hat Pensionisten dabei, deren männliche Vertreter es sichtlich Spaß macht, nackt und völlig schamlos vor den Müttern und Kindern herumzuspazieren.
Einmal und nie wieder - das war definitiv unser erster und letzter Babyschwimmkurs in diesem Bad.
(Donaustadtbad)

Gestern zum Beispiel wurde die Rutsche oben geöffnet, unten war die Klappe aber noch zu.
Wäre ich nicht hingerannt und hätte den Blaumann drauf aufmerksam gemacht, wäre das bereits in der Rutsche befindliche Kind schön dagegen gerummst...
(Simmeringer Bad)

früher warn mehrere hummerchips in einem sackerl um 1 euro pro sackerl.
nun über 1 euro und wenns gut geht vielleicht 6 stück drin.
(Laarbergbad)

Im Hietzingerbad ist es so, das Männer die alleine das freibad besuchen, ein Familienkästchen bekommen! Und sich dann auch,vor Kindern freizügig umziehen! (NICHT IN EINER KABINE) Auf nachfrage beim Personal, heisst es nur, der CHEF hat das angeordnet!
(Hietzingerbad)

Wenig begeistert mich derartig wie das Top-Pläsier der Gesambevölkerung, sich über irgendetwas aufzuregen.

3. Februar

■ Gute Kategorisierung: Stirnband-Frauen.

■ Möchte mir einen neuen Gürtel kaufen und suche ein Preis-Paradies auf. An der Kassa weist mich eine Angestellte darauf hin, dass ich mir beim Kauf von zwei Stück heiße drei Euro ersparen könnte. Ich lehne dankend ab. Sie blickt mich völlig verdutzt an.
“Aber zwei wären im Angebot.“
Ich antworte aus voller Überzeugung, dass ich doch keine zwei Gürtel brauchen würde.
Der Angestellten Mimik deutet an, dass sie noch nie etwas derartig Verrücktes gehört hat.
“Sie haben nur einen Gürtel?“
Mein Argument, dass man doch eh immer nur einen tragen könne, quittiert sie mit entsetztem Kopfschütteln und lässt mich endlich zahlen.

■ Rücksichtslosigkeit im Kombipack mit Schizophrenie: Eine Frau drängt gegen den Strom der ausstiegswilligen Fahrgäste in die Straßenbahn und ruft dabei: „Aussteigen lassen! Aussteigen lassen!“

4. Februar:

■ Selbstanalyse:

marc carnal

early to rise, early to bed:
Meine innere Uhr diktiert mir Schlaf von fünf bis zwölf. Mein Opa würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, um welche Zeit ich manchmal im Bett ebendies ein letzes Mal mache.

cleanliness, daily bath:
Passable Performance. Wichtig ist, die Fassade zu wahren. Beim Zähneputzen Hauptaugenmerk auf die Schneidezähne, Ohrenreinigung nur bei akuter Verstopfung, Zehennägel werden nur bei Platzmangel im Schuh gestutzt.

exercise:
Wenn, dann heimlich zu Hause und sicher nicht im Freien mit proportionsgestörten Freunden.

prayer:
Nö.

breakfast:
Zwei Tassen Kaffee, fünf Zigaretten, einmal durchlüften.

studying:
Ich würde niemals öffentlich zugeben oder privat laut aussprechen, dass ich es an sich etwas doof finde, zu studieren. Man würde meine Ansicht ächten.

playing:
Höchstens um Geld oder gesundheitsgefährdende Einsätze. Ansonsten haben Erwachsene nicht zu spielen, sondern nachzudenken, Bier zu trinken oder zu arbeiten.

helps others:
Eine Frage des Honorars oder der Stimmung.

takes part in social activities:
Spaziergänge, Alkoholismus, Mobiltelefonie.

regular reading:
heute, Österreich, Belletristik.

5. Februar

■ Meinen Feinden sei vergeben,
außer denen, die noch leben.
(Helmut Krausser)

■ In einem kurzen Moment der Unachtsamkeit beichtete ich vor einigen Tagen in einer heiteren Runde, vor langer Zeit einmal meine Klobürste im Geschirrspüler gereinigt zu haben. Die sperrangelweit aufgerissenen Schlünde am Tisch schlossen sich auch nicht, als ich die Bonus-Info nachreichte, dass sich selbstverständlich kein Essgeschirr mit dem Reinigungsutensil in der Spülmaschine befunden hätte. Die Mehrheit gab an, nie wieder bei mir zu essen. Manche wollten sich gar überlegen, den Kontakt zu mir bis auf weiteres ruhen zu lassen.
Dabei bin ich nicht der einzige!