Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "This is simple and it's true"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

17. 1. 2011 - 19:00

This is simple and it's true

Die Wahrheiten der Liz Morris von Allo Darlin' im FM4 Heartbeat.

Es war vor zwei Jahren oder so, da saß ich im Soup Studio zu Shoreditch, und dessen Betreiber Simon Trought spielte mir die Aufnahmen vor, die er "mit dieser Liz" gemacht hatte, von der neuerdings alle so begeistert wären.

Jeder, der ein Studio betreibt, muss eine duldsame Natur sein. Andernfalls ließe es sich nicht ertragen, wenn jemand, dessen man Musik vielleicht gerade einmal aushält, seine Songs auf der Suche nach dem magischen Take besinnungslos drischt. Wenn so ein Studiobetreiber also freiwillig das, woran er tagelang gearbeitet hat, noch einmal hören will, dann hat das schon was zu sagen.

Allo Darlin live

Nik Vestberg

Und ich musste Simon zustimmen. Diese Liz, die sich bzw. ihre zu diesem Zeitpunkt noch zusammenwachsende Band offenbar "Allo Darlin'" nannte (eine lautgetreue Schreibweise von "Hello Darling" mit jenen fallen gelassenen An- und Ablauten, die Liz' australische Herkunft mit dem Zungenschlag ihrer Londoner Wahlheimat einen), besaß bzw. besitzt offenbar jene seltene Fähigkeit, simple Songformen überzeugend neu zu erfinden.

Allo Darlin auf der Wiese

Nik Vestberg

Da ist eine Nummer wie "My Heart Is A Drummer", in der sie Cindy Lauper mit spielerischer Leichtigkeit einen Refrain aus der Handtasche zieht, so als wäre nichts dabei. Oder "Kiss Your Lips", das sich frech das alte Louie Louie-Thema borgt, ohne dabei im Geringsten zu stinken.

Und dabei habe ich noch nicht einmal meine Lieblinge unter den Nummern erwähnt, die schließlich letztes Jahr auf Allo Darlin's Debüt-Album erscheinen sollten. "Silver Dollars" zum Beispiel, das die Existenz einer Londoner Indie-Pop-Band ganz ohne Wehleidigkeit entmystifiziert:

"And yeah, I've sold all my records, but I'm still in debt by two grand
And yeah, we played that show but we spent what we made on the cab
I'm even starting to wish that I'd finished a legal vocation
My life would be dull but at least I could go on vacation"

Allo Darlin auf der Brücke

Nik Vestberg

Bill, Liz, Mike, Paul, zweimal Australien, zweimal Kent, viermal London

Diese Aneinanderreihung nüchterner Wahrheiten trifft auf das luftigste Oktaven-Riff über den seidenweichst in die Landschaft getupftesten Akkorden. Es wird schnell klar, dass hier niemand anderer als der – noch – unterschätzte Paul Rains von Hexicon die Gitarre spielt.

Das ORF-Gesetz wird sich freuen zu hören, dass dieser Beitrag hier mein heutiges Heartbeat begleitet wie der Hund den Blinden, der Pilotenfisch den Hai, die schlechte Metapher den Promotext.
FM4 Heartbeat aus der englischen Einschicht auf unserem Muttersender, am Montag ab 22 Uhr.

Hexicons Sänger Mike wiederum liefert dazu die dementsprechend kongenial dahinfedernden Schlagzeugparts, und für die Dauer eines Albums hält sich die Illusion, Indie-Pop könnte eine der elegantesten, schwingendsten Musiken der Welt - ein spielerisches Anti-Format, das Johnny Cash-Zitate ("Heartbeat Chilli") ebenso verträgt wie Doris Day-Referenzen ("What Will Be Will Be"), eingestreute, disziplinierte Unisono-Riffs ("Woody Allen") oder Sundays-artige Spätachtziger Soundscapes ("Let's Go Swimming")

"And all of the punks in Camden could never shout about it
And all of the hipsters in Shoreditch could never style it
And all of the bankers in Moorgate could never buy it for you
This is simple and it's true"

Allo Darlin bei Marine Ices

Nik Vestberg

Wer die Aufschrift auf der Serviette liest, weiß, wie subtil hier schleichgeworben wird: Marine Ices auf der Chalk Farm Road, gleich neben dem Enterprise, in Spuckweite vom Roundhouse, ist einer der besten Italiener und mit großer Wahrscheinlichkeit der beste Eissalon Londons

Ja, selbst wenn Liz' Ukulele auf Pauls Lapsteel trifft, bleibt der Alpdruck der Neo-Folk/alt.country-Konnotationen gnädig aus.

Als Relativierung sei eingeräumt, dass die Subtilität von Allo Darlin's Pop an schlechten Tagen als Unauffälligkeit, ja sogar Bravheit missverstanden werden kann, aber genau dieser Verzicht auf erzwungene Emphase wandelt sich an guten Tagen in eine umso tiefere Qualität, die nicht zufällig an die alten Go-Betweens erinnert.

Schließlich kamen die so wie Liz Morris aus Brisbane.

Und schließlich hat Robert Forster, der alte Go-Between, im australischen Magazin The Monthly eine unübertreffliche Hymne auf Allo Darlin' verfasst, die ich aus Angst, seine Thesen wiederholen zu müssen, jetzt eigens nicht noch einmal durchgelesen hab.

Mein Interview mit Liz, das ich mit ihr am Samstag zum Soundtrack alter Blues-Platten in einem Pub in Haggerston geführt habe, sowie ihre wunderbare Musik werden heute in meiner Sendung zu hören sein, inklusive ihres berührenden Beitrags zu Darren Haymans laufendem, selbstmörderisch arbeitsintensivem January Songs-Projekt und eines Songs vom noch nicht aufgenommenen zweiten Album, das "Europe" heißen soll.