Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Viagra für das Volk"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

17. 11. 2010 - 12:23

Viagra für das Volk

Endlich Hofberichterstattung auf FM4. Fuck the middle class!

So ist das mit den kontinentalen Medien: Die Redaktion für internationalen Klatsch setzt sich am Morgen bei Kaffee und Kolatsche hin, liest zu allererst einmal die Daily Mail, den Daily Express oder die Sun und schaut, was die ulkigen Briten gerade wieder so treiben.

Mit dem Resultat, dass sich die kontinentalen KonsumentInnen der daraus resultierenden Informationszweitverwertung hernach mit einer ihr eigenes Bei-Trost-Sein bestätigenden Belustigung bei unsereiner, die wir im Land der Ulkigen leben, erkundigen, ob denn hier wirklich alle so aufgeregt seien, weil die Greenwich Meantime abgeschafft werden soll oder irgendein Monarchenkind beim Schwingen vom Kronleuchter in die Bouillon gefallen ist.

Ich versichere ihnen dann, dass sich solche Dinge irgendwo in einer mir unerschließlichen Parallelwelt abspielen, und nein, das ist nicht als Snobismus meinerseits zu verstehen, ich seh sie schon hin und wieder im Zug, die Leute, die die Daily Mail lesen und somit in ständiger Angst vor der großen Asylanten-Verschwörung und fallenden Häuserpreisen leben, aber wir haben einander noch nie spontan angesprochen und gefragt, wie es sich denn so lebe auf der anderen Seite des Mondes. Das wäre doch schrecklich indiskret.

heutiges Guardian-Cover mit William und Kate drauf

Robert Rotifer

Selbst für einen Guardian-Abonnenten gibt es diesmal kein Entkommen

Gestern dann hat die Daily Mail-Welt genau diese Regeln der Diskretion gebrochen und ist via Fernsehen in unser Wohnzimmer eingedrungen.

Newsnight war gerade vorbei, und plötzlich schob die BBC eine schnell zusammengeschusterte Doku über dieselbe monarchistische Wohlfühl-Story ein, die vorhin gerade einen angesichts von Finanz- und anderen Krisen erstaunlich großen Teil der Nachrichten vereinnahmt hatte.

Als unmissverständliches Signal, dass bei der jüngsten königlichen Verlobung alles wieder so sein würde wie bei der Royal Wedding im Jahre des Post-Punk 1981, legten sie einen seit damals nicht mehr gesehenen Weichzeichner-Effekt über ihre Zeitlupenbilder grinsender Kinder des Establishments.

Du, ORF-Gesetz, dieser Beitrag ist sowas von sendungsbegleitend. Erst gestern haben wir in der Morning Show über die Sache mit der Greenwich Meantime geredet. Und in meiner nächsten Sendung am Montag bau ich garantiert was von der Band The Middle Classes ein, die auf Jon Savages "Black Hole"-Compilation vorkommen, welche den Westcoast-Punk der ersten Stunde dokumentiert. Musik für einfache Leute wie Kate und Wills.

Die nächste halbe Stunde unseres Lebens (abgedreht haben wir natürlich auch nicht...) verlor sich dann im Strudel der Zitate von Menschen, die mit Kate und/oder Wills auf die Uni gegangen sind/im gap year in Chile im Zelt geschlafen haben/über sie Bücher geschrieben haben und jetzt der ganzen Welt beschwören müssen, dass diese „ganz normale Menschen“ seien, die „am Abend zu Hause sitzen“ und bei einem „Mikrowellendinner“ gemeinsam „Videos anschauen“.

Will, dieser grade Michel, hatte bei seinem Trip in Chile “certainly Spaß am Kloputzen“. Und Kate ist überhaupt die normalste, ihre Mutter nämlich war eine Stewardess, ihr Vater ein Pilot (so weit so Pornodrehbuch). Wenn das keine einfachen Verhältnisse sind. Zwischendurch wird schon auch erwähnt, dass der Vater ja eigentlich aus einer von Yorkshires etablierten Industriellen- und Hausbesitzer-Familien kommt, die mit einem mysteriösen „mail order business“ viel Geld gemacht hätte, aber vier, fünf Minuten später ist auch das schon volkstümlich zum „coalmining background“ umstilisiert.

Gut, Kate hat ihren gesellschaftlichen Schliff in der Marlborough School erhalten, das ist schon eher nobel, und das angeblich so versiffte Studentenheim in St. Andrews, wo sie Wills kennengelernt hat, sieht aus wie eine Location für eine deutsche Rosamunde Pilcher-Verfilmung, aber die Mitglieder der „classical boy band Blake“, die auch dabei waren, können bezeugen, dass es auch dort ganz furchtbar bodenständig zuging.

Die romantische Geschichte, wie der ganz normale Will aus Spaß und zur Balz seinen Royal Air Force-Helikopter auf dem Landsitz der ganz normalen Middletons probegelandet hat (ja, sogar die Daily Mail hat damals darüber berichtet) kam in dieser journalistischen Sonderleistung komischerweise nicht vor.

Dafür hatten uns in der Newsnight davor bereits die beiden Fernsehhistoriker Simon Schama und David Starkey, sowie die Journalistin Rachel Johnson erklärt, was die offizielle Linie zu dieser Geschichte ist. Nämlich:

Früher einmal hätten die Sachsen-Coburg-Gothas nützliche deutsche Prinzessinnen geheiratet. Seit sie sich Windsor nennen, ist alles ein bisschen komplizierter geworden (ohne jetzt die Sache mit Edward dem Achten, der geschiedenen Amerikanerin und ihren gemeinsamen Nazi-Freunden zu erwähnen). Dann hat Liz ihren blaublütigen Griechen und schließlich Charles seine Kindergärtnerin geheiratet, welche bei genauerem Hinschauen eigentlich der Spross der Sorte von altem Aristokratenklan war, der die Windsors in Wahrheit als einen Haufen von „Emporkömmlingen“ (Starkey) belächelt. Jetzt dagegen, so Rachel Johnson, Schwester des Londoner Bürgermeisters, Chefredakteurin des Organs für einfache Leute „The Lady“ und Autorin des Buchs „A Diary of the Lady“, heirate sich das Königshaus glatt in die „biggest of all classes“, die sogenannte Middle Class ein. Sprich: Sie mischt ihr Blut mit oben erwähnten ganz normalen Leuten. Simon Schama vertiefte dieses schwer verdauliche Sinnbild mit der Erklärung, die Verlobung sei „Viagra für die Royal Family“.

Was unweigerlich eine schaurige Vorstellung davon erzeugt, wie das Haus Windsor sich mit seiner überdimensionalen Erektion zur Vereinigung mit der britischen Middle Class anschickt. The royals are fucking the middle classes.

Schön.
Der die ExpertInnen vereinende Schluss, dass diese wahnsinnig moderne Beziehung, weil sie über Standesgrenzen hinwegsehe, keine traditionelle Paarung nach den Zuchtregeln im königlichen Gestüt, sondern wahre Liebe sein muss, ist bei aller die Sinne trübenden Romantik trotzdem komplett unlogisch.

Schließlich haben sie uns doch gerade selber erklärt, wie gut so eine Hochzeit dafür geeignet sei, über Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Sozialkürzungen hinwegzutrösten. Einem PR-Berater hätte nichts Besseres einfallen können. Hätte...?