Erstellt am: 4. 11. 2010 - 14:03 Uhr
Systemgegner
Text: Thomas Zsifkovits
Foto: Ralf Rohde

ballesterer FM
Dieser Artikel erscheint auch in der aktuellen Ausgabe des ballesterer FM.
Mexiko hat mit vielen Problemen zu kämpfen: Drogenkrieg, Armut, Korruption und enorme soziale Gegensätze bestimmen den Alltag der 110 Millionen Einwohner. Vor dem Fußball machen diese Probleme ebenso wenig halt wie vor der Musik. Missael Oseguera und Dario Espinosa von der Band Panteon Rococo können nicht nur ein Lied davon singen.
Als Panteon Rococo im Jahr 2000 das erste Mal nach Europa kamen, um am Hamburger Fusion Festival aufzutreten, lebten die Musiker fast einen Monat im Stadtteil St. Pauli. Im selben Ausmaß, in dem sie das Viertel zu schätzen begannen, wurden sie sich der Bedeutung des lokalen Fußballklubs bewusst. Der Keyboarder der Band kaufte eine Piratenfahne, die seither bei allen Auftritten die Bühne ziert. Und auch darüber hinaus entstand eine gegenseitige Wertschätzung: Panteon Rococo unterstützen das "Viva Con Agua"-Trinkwasserprojekt des FC St. Pauli, und ihr Auftritt anlässlich der 100-Jahr-Feier des Vereins stellte einen Meilenstein in der Karriere der mexikanischen Musiker dar.
Die kommerziellen Auswüchse rund um den St.-Pauli-"Kult" blieben der Band dabei nicht verborgen. Dass dem Verein der Ausverkauf mittels geschickter Vermarktung des eigenen Images vorgeworfen wird, können Saxofonist Missael Oseguera und Bassist Dario Espinosa allerdings nicht nachvollziehen. Schließlich hätten auch viele Alternative-Bands mit solchen Vorurteilen zu kämpfen, sobald sie größer werden. "Wenn man eine kleine Gruppe ist, entsteht ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit, das sich zusehends auflöst, wenn man seine Idole mit einer größeren Gemeinde teilen muss", sagt Oseguera. "Sobald du Alben aufnimmst, bietest du deine Musik zum Verkauf an. Du machst Werbung dafür und verkaufst letztendlich ein Stück von dir."

Ralf Rohde
Rebellen und Nachahmer
Allzu sehr wollen sich Panteon Rococo jedoch nicht mit geschäftlichen Aspekten aufhalten. Mit ihrer Musik transportieren sie Inhalte und ihre Einstellung, das politische Engagement ist ein wesentlicher Teil davon. Auf ihrem Album "Tres Veces Tres" (2004) hatte ein führendes Mitglied der zapatistischen EZLN-Rebellen in Chiapas einen Gastauftritt. Für Dario Espinosa eine wichtige Botschaft, schließlich hätten viele junge Menschen die Werte der "Bewegung für die Solidarität der indigenen Völker" schlichtweg vergessen, was die Band nicht einfach so hinnehmen will.
Auch wenn sie sich mit den Machteliten anlegten, das politische Engagement war der Popularität von Panteon Rococo bisher nicht hinderlich. In Mexiko sind sie eine große Nummer. Auch dort werden beliebte Songs von den Fans adaptiert – und Panteon Rococo darf dabei nicht fehlen. Die Kurve des Erstligisten Santos Laguna vertonte vor einiger Zeit ein Lied der Band neu. Allerdings würden in der Mehrzahl argentinische Lieder für solche Zwecke herangezogen, erzählt Missael Oseguera. Überhaupt orientiere sich die mexikanische an der argentinischen Fankultur, die in Lateinamerika als führend gilt. "Mir gefällt nicht, wie der lokale Fußball zusehends argentinisiert wird", sagt der Saxofonist. Er selbst ist ebenso wie sein Bandkollege Oseguera Anhänger von Pumas de la UNAM, dem Klub der staatlichen Universität in Mexiko-Stadt.
Während sich die Argentinier im restlichen Lateinamerika keiner großen Beliebtheit erfreuen, schielen mexikanische Fangruppen gern Richtung Süden – und dabei wird nicht nur der Gesang imitiert. Zwischen den Barrabravas diverser Klubs der beiden Länder herrscht ein reger Austausch. Die argentinischen Fans geben ihren mexikanischen Kollegen Crashkurse in Organisation und Methodik im Aufbau schlagkräftiger Einheiten. Anders als in Argentinien verfügen die "Barras" in Mexiko jedoch nicht über die Macht ihrer Kollegen: Sie haben in den Vereinen weniger mitzureden und dienen Klubfunktionären und politischen Lobbys kaum zur Durchsetzung von Interessen mit gewalttätigen Mitteln. "Dafür gibt es andere, weit gefährlichere Gruppen", sagt Dario Espinosa. Es sind die Heere der Drogenkartelle.

Ralf Rohde
Korrupte Eliten
Wenn der Fußball das Spiegelbild einer Gesellschaft ist, was zeigt er dann im Falle Mexikos? "Er macht den Machtmissbrauch und die Führungsinkompetenz ebenso deutlich wie die Leidenschaft der Menschen", sagt Saxofonist Oseguera. "Oft muss er auch als Vehikel herhalten, um von den großen Problemen des Landes wie Arbeitslosigkeit, Repression und steigende Gewalt abzulenken", meint Bassist Espinosa. Zugleich fänden die Probleme des Alltags auch im Fußball ihren Niederschlag: "Rassistische Auswüchse kommen im Stadion nicht häufiger vor als anderswo. Ich bin dagegen, den Fußball als Feigenblatt zu benutzen. Rassismus ist in der Gesellschaft verankert. Es liegt an uns allen, das zu ändern."
Zur Band
Als sich Panteon Rococo Mitte der 1990er Jahre gründeten, war Rockmusik mit politischem Anspruch in Mexiko nicht gerade erwünscht. Die neunköpfige Band begann Latin-Ska, Mestizo und Rock zu einem explosiven Ganzen zu vermischen, die Bandbreite ihrer Musik reicht von Cumbia bis Punkrock. Panteon Rococo haben bisher acht Alben veröffentlicht.
Ihren aktuellen Longplayer "Ejército de Paz" (Friedensarmee) werden sie im Rahmen ihrer Europa-Tour im November auch in Österreich (18.11.: Weekender Club Innsbruck, 19.11.: Rockhouse Salzburg, 20.11.: Szene Wien) präsentieren.
Die Rückbesinnung auf Werte wie Solidarität und ein respektvolles Miteinander ist für die beiden Musiker unumgänglich – gerade in einem Land, das in einem Sumpf aus Gewalt und Korruption zu versinken droht. Staatspräsident Felipe Calderon haben Panteon Rococo die Nummer "Democracia FECAL" ("Fäkale Demokratie", entstanden aus einem Wortspiel mit dem Namen Calderons) gewidmet. Den mexikanischen Drogenkrieg beschreiben sie als einen Machtkampf, in dem auch Politiker, Polizisten und andere staatliche Institutionen mitmischen. Ein Phänomen, das mittlerweile alle Lebensbereiche erfasst hat – die Musik ebenso wie den Fußball. "In einigen Regionen müssen Konzertveranstalter Schutzgeld bezahlen, damit sie ihre Veranstaltungen durchführen können. Vor allem im Norden werden regelmäßig Konzerte abgesagt. Wir selber haben damit zum Glück noch nicht Bekanntschaft gemacht, vermutlich auch, weil unsere Musik nicht deren Geschmack trifft", sagt Oseguera.
Im millionenschweren Fußballgeschäft haben Drogenbarone und undurchsichtige Geschäftsmänner ebenso ihre Finger im Spiel, was Fälle wie jener von Carlos Ahumada belegen. Der Bauunternehmer musste 2004 seine Mehrheitsbeteiligungen an Santos Laguna und Club Leon abtreten, nachdem aufgeflogen war, dass er sich sein Imperium mit systematischer Bestechung aufgebaut hatte. Und glaubt man Panteon Rococo, dann sieht auch das mexikanische Nationalteam keinen rosigen Zeiten entgegen. Auch wenn die Jungstars wie Carlos Vela, Javier Hernandez und Giovani Dos Santos bei der nächsten WM 2014 im besten Fußballeralter wären, fehle es an einer kompletten Umstrukturierung des Verbands. "Es ist nicht der Sport, der diese Leute interessiert, sondern einzig und allein das Business", meint Missael Oseguera. "Und die Nationalmannschaft ist ein Millionengeschäft, das ihnen quasi als Selbstbedienungsladen dient."