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Klaus Brunner Mittelamerika

Palmen, Pathos, Politik

2. 11. 2010 - 18:56

Autonome Nationalisten

"Hoch die nationale Internationale!", "Gegen Kapitalismus - für nationalen Sozialismus!" oder "Umweltschutz ist Heimatschutz!" - Das Ende des Stiefelnazis?

* Klaus Brunner berichtet für FM4 aus Salzburg.

Dieser Artikel ist im Rahmen von "eurotours 2010 - wie geht Europa mit Migration um?" entstanden, bei dem 26 junge JournalistInnen aus Österreich über europäische Länder berichten.

von Klaus Brunner*

Hausbesetzung, schwarzer Block und Guevara-Shirt. Da denkt man zunächst an Linke, Autonome und Antifaschisten. Mit den „autonomen Nationalisten“ ist die rechtsextreme Szene um eine gefährliche und verwirrende Facette reicher. Dabei handelt es sich um Neo-Nazis, die Auftreten, Parolen und Methoden der extremen Linken kopieren und damit vor allem junge, „erlebnisorientierte“ Leute ansprechen. Das Erlebnis besteht nicht selten darin, brutal gegen Ausländer, Polizei und politisch Andersdenke vorzugehen. Der Lieblingsfeind: die Antifaschistische Aktion (Antifa).

Alles beginnt 1990 mit einer Hausbesetzung in Berlin-Lichtenberg. Erstmals sind es nicht linksautonome, die leer stehenden Wohnraum beanspruchen, sondern die politische Gegenseite. Als Reaktion auf die Verbote mehrerer rechtsextremer Organisationen in Deutschland wird das Konzept der „Freien Kameradschaften“ entwickelt. Lose organisierte Kleingruppen agieren „autonom“, aber bestens vernetzt und werden damit für den Verfassungsschutz schwer greifbar. Die Akteure sind noch so, wie man sich einen Nazi vorstellt: Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel.

"Autonome Nationalisten" bei NPD-Demo in Nordhausen

- public domain - / Bilderspender

Das ist der Nährboden, aus dem 2002 die „Autonomen Nationalisten Berlin“ entstehen. Mit Stickern und Graffitis hetzen sie vor allem gegen Antifaschisten. Die Anti-Antifa entsteht, das Skinhead-Outfit muss weichen, denn jetzt heißt es Baggypants, Sneakers und Palästinenser-Schal. In der Folge übernehmen immer mehr Gruppen den neuen Style – der Nazi ist „cool“ geworden. In Anlehnung an Slogans aus der linken Hardcorepunk- und der Antifa-Bewegung stehen auf den Basecap-Buttons plötzlich Sprüche wie „Good Night, Left-Side“ (= Good Night, White Pride) oder „GEGEN NAZIS – siehst du alt aus“. Bei Demos wird von nun an im schwarzen Block marschiert, auch die Polizei muss jetzt schon sehr genau hinsehen um zu wissen, mit welcher Fraktion sie es zu tun hat.

Ideologisch ist der „linke Flügel“ der NSDAP ein Anknüpfungspunkt. Doch geht es weniger um Hitlertum und NS-Nostalgie sondern vielmehr um klassisch linke Themen wie Anti-Imperialismus und Anti-Kapitalismus, wobei hier natürlich wieder die Juden an allem schuld sind. Ewiggestrige und Altnazis von der NPD wissen nicht so recht, wie sie mit der neuen Strömung umgehen sollen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Mal geht der schwarze Nazi-Block bei einer rechten Demo gegen die „eigenen“ NPD-Ordner vor, mal werden die neuen Rechten beim Parteitag vom NPD-Vorstand explizit begrüßt. Wobei sich viele Autonom-Nationale per Eigendefinition nicht zwangsläufig als „rechts“ bezeichnen würden.

Inzwischen sei es so, dass die Autonomen große Teile der Nazi-Szene in Deutschland unterwandert hätten, mal näher an der NPD, mal weniger. Das sagt Bernd Wagner, ein Berliner Ex-Polizist, der mit seinem Verein "Exit-Deutschland" Ausstiegswilligen dabei hilft, dem rechten Rand den Rücken zu kehren. Wagner kennt einige Autonom-Nationale aus Berlin-Brandenburg: Zumindest ein Abitur hätten viele in der Tasche, manche Aktivisten kämen aus dem studentischen Milieu. Schließlich erfordere es eine gewisse Bildung, um sich über Kapitalismus- und Systemkritik Gedanken zu machen. „Doch das coole, moderne Auftreten zeigt seine Wirkung. Inzwischen gibt es viele junge Mitläufer, die haben keine Ahnung von Geschichte, denen geht es nur um Gewalt“, sagt der Ex-Polizist. Im Übrigen könne er sich auch nicht schützend vor die Antifa stellen: „Erst unlängst wurde ein Rechter von Antifaschisten mit Teleskopstangen halb tot geprügelt, es ist verrückt was hier momentan abgeht.“

Mehr Infos

  • Nicht velwechsern!: Warum Rechte manchmal wie Linke ausschauen, Linke manchmal wie Rechte reden und was für versteckte Botschaften in harmlos klingenden Begriffen lauern.
  • netz-gegen-nazis.de

Und was ist nun mit den klassischen Stiefelnazis? „Die gibt es schon noch vereinzelt, aber nicht mehr oft! Besonders auf den Demos hat sich das „linke“ Outfit durchgesetzt, um nicht mehr so leicht erkannt zu werden.“ Große Sorge bereitet Wagner vor allem, dass die Gesellschaft nicht auf so eine Ideologie vorbereitet sei. „Viele Normalbürger fragen sich: Wer sind die? Ist das überhaupt rechtsradikal?“ Aber das Schlimmste an der Sache sei die neue Dimension von Gewalt. Egal ob Ausländer, Andersdenkende, Polizisten, Journalisten, Szene-Aussteiger oder Politiker: Gegner werden ausspioniert, denunziert, bedroht und attackiert. Erlebnisorientiert nennt sich das.