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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

14. 8. 2010 - 09:49

An American Superpony

Snow Patrol, R.E.M., Belle & Sebastian, Jacknife Lee, Editors und She & Him reiten auf müden Pferden durch die amerikanische Steppe in Richtung Sonnenuntergang.

There's no answers in the tempest. Just a million other questions. So just let it take you over. So that we can learn our lesson
(Tired Pony - "Northwestern Skies")

Die brütende Hitze bringt die Luft zum Flimmern. Nur schemenhaft kann man die Silhouetten am Horizont erkennen. Langsam und träge schleppen die müden Pferde ihre Reiter durch die amerikanische Steppe während in der Ferne ein leises Glockenspiel und eine verhallte akustische Gitarre zu hören sind. Bis sich mit der markanten Stimme von Gary Lightbody ein Akkordeon und Banjo dazugesellen. Die Percussions die dem Eröffnungsstück den stampfenden Rhythmus verleihen, klingen wie entfernte Schläge eines Eisenbahnbautrupps, der durch die noch unbetastete Prärie den schnellen Fortschritt der Zivilisation auf Schiene bringt.

Unzählige Bilder der verschiedesten amerikanischen Träume ziehen am inneren Auge vorbei, taucht man in die musikalische Welt der Supergroup Tired Pony ein.

"Es ist kein Country Album geworden", wie Snow Patrol Sänger Gary Lightbody sofort klarstellt, auch wenn es die ursprüngliche Idee und Intention für sein Side-Projekt gewesen ist. "So einfach läuft das nicht. Es ist ein amerikanisches Album geworden, das ist sicher. Wenn manche es 'Americana' nennen freut mich das, aber ich weiß nicht, ob du dafür nicht auch ein Amerikaner sein musst. (lacht) Wie auch immer man den Stil betitelt, es ist ein gutes Album geworden."

Bandfoto Tired Pony

Tired Pony

Da kann man dem charismatischen Sänger nur recht geben, der anstatt sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, sich lieber Hals über Kopf in eine neue musikalische Herausforderung stürzt. Mit Tired Pony hat er ein lang gehegtes Wunschprojekt endlich verwirklichen können, noch dazu mit einer großen Auswahl an exquisiten Musikern, die auf 'The Place We Ran From' hörbar miteinander harmonieren und die zehn Songs mit viel Gefühl und Detailverliebtheit zum Leben erweckt haben.

Rapid Song Movement

Neben Gary Lightbody ist der R.E.M. Gitarrist Peter Buck federführend bei den Aufnahmen zum Debüt gewesen. Durch den gemeinsamen Freund Jacknife Lee, der Gary vorgeschlagen hat Peter und seinen Kumpel Scott McCaughey an Bord zu holen, war Buck der treibende Motor im Studio um die Sessions möglichst kurz und effektiv zu halten. Schließlich wusste zu Beginn noch keiner der müden Ponys, in welche Richtung das ganze Projekt gehen würde. Mit Lightbodys Hang zu einprägsamen, melodiösen sowie melancholischen Gesangslinien und Bucks typischen, flächigen Akkorden der verschiedensten akustischen Saiteninstrumenten war der Grundsound schon bald vordefiniert. Belle & Sebastian Schlagwerker Richard Colburn hat dabei mit seinem reduzierten und doch prägnanten Spiel viel zur endlos erscheinenden Klangweite und der fragilen Stimmung beigetragen.

Darüber hinaus war es vor allem der Live-Charakter bei den Aufnahmen, der Tired Pony zu dem cinemascope-artigen Sound verholfen hat, wie Gary meint:

"Je nachdem, wer welches Instrument gespielt hat, befanden wir uns in den verschiedenen Ecken ein- und desselben, großen Raums, in dem wir die Songs live eingespielt haben. Danach haben wir die Instrumente gewechselt, um erneut einen Live-Track zu dem ersten aufzunehmen, sodass es sich nicht nicht nach sieben sondern vierzehn Musikern anhört. Genau deshalb klingt für mich das Album auch so 'amerikanisch', so weit, wie der große Himmel über der Steppe."

Staubiger Highway und tote Schriftsteller

The fire, the wine, the bed and you. In this crimson light I find the truth. And truth is like a punch or two. It hits you hard it knocks you through. So I ... get on the road and ride to you.
(Tired Pony - "Get on the Road")

Ein Song, der einen sofort in Bann zieht und recht gut das thematische Grundkonzept der Platte wiedergibt, ist 'Get On The Road'. Gary Lightbody wird bei der sich ganz langsam aufbauenden und anfangs sehr sparsam instrumentierten Heimkehrerhymne von der wunderbar zerbrechlichen Stimme Zooey Deschanels, Schauspielerin und Sängerin von She & Him, begleitet. Das stimmige Duett hebt sich über ein stampfendes und polterndes Schlagzeug, während verzerrte Gitarren und Feedback wie der hinter einem dahin brausenden Pick-Up aufwirbelnde Wüstenstaub den Klanghorizont vernebeln.

Die Geschichten die sich dazu im Kopf abspielen finden meist auf einsamen Highways statt, verfolgt von der Polizei, die mit jedem Augenblick ein Stück näher zu kommen scheint. Selbst wenn es sich um einen von der Rückkehr zur Geliebten inspirierten Song handelt, arbeitet Gary Lightbody nicht wie bei Snow Patrol introspektive Liebesbeziehungen ab, die nicht selten an die jugendlichen Idealvorstellungen von der perfekten Zweisamkeit erinnern. Erwachsener wirkt sein Blick auf Beziehungen, durchwachsener die Formulierungen.

Tired Pony  Albumcover "The Place We Ran From"

Tired Pony

'The Place We Ran From' steht ganz im Zeichen großer, amerikanischer Mythen und Bilder, die uns über Jahrzehnte via Film und Fernsehen ins eigene Wohnzimmer geliefert wurden. Ein Stück dieser, von fast allen Menschen auf der Welt geteilten, kollektiven Vorstellungen von Amerika haben Tired Pony in ihren Songs eingefangen. So könnte man trotz des sehr beschwingten Rhythmus und der Banjo- und Geigenmelodien von 'Point Me At Lost Islands' an ein Einwandererpaar denken, das im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihr neues Leben aufbauen will. Eindeutiger wird Gary Lightbody bei dem Stück 'Dead Amerikan Writers', das eine Art Hommage an die amerikanische Literatur darstellt.

"Es gibt viele amerikanische Autoren, die mich beeinflusst haben. Irgendwie haben Bücher schon immer meine Texte inspiriert. Ich hatte jedoch zuvor noch nie diese Verbindung gezogen. Erst als ich kürzlich darüber nachgedacht habe ist mir aufgefallen, dass wenn ich ein Buch lese, ich oft auch Musik dazu höre. Einzelne gute Sätze können in meinem Kopf sehr musikalisch klingen."

Und das funktioniert auch umgekehrt. So liefert 'The Place We Ran From' den perfekten Soundtrack für die Bücher von Willy Vlautin, dessen tragische Geschichten und prototypische Charaktere sich unprätentiös ihren Weg durch schwierige Situationen kämpfen, um ein weiteres kleines Stück daran zu wachsen, auch wenn das von Außen vielleicht nicht wirklich erkennbar ist. Einer ähnlich sensiblen Erzählweise nehmen sich Tired Pony auf musikalischer Ebene an, wenn die leichtfüßige Ballade 'Held In The Arms Of Your Words' mit Steel-Pedal-Gitarren-Linien, weichem Chorgesang und sanften Geigen zu jenem Punkt langsam hinwandert, an dem sich die Erde und der Himmel zu berühren scheinen.

Aber auch das von Ian Archer (dem Ex-Snow Patrol und Solomusiker) gesungene Stück 'I Am A Landslide' fügt sich mit den zeitweise kratzigen Vocals und der brüchigen Stimmung, die sich über den Counrty-Gitarren breit macht, perfekt in die musikalische Collage amerikanischer Mythen ein. Wobei die Kinderstimmen von Jacknife Lees jungen Töchtern dem Song eine gewisse Unschuld verpassen. Und wenn Editors Frontman Tom Smith in 'The Good Book' vom letzten Drink in einer Bar einer geisterhaften Stadt singt, bevor sie für immer zugesperrt wird, dann tauchen auch hier erneut vergilbte Fotos von einem heruntergekommenen Goldgräberdorf im Kopf auf, während man glaubt, im Hintergrund das Knarren der hölzernen Schwingtüren des Saloons zu hören.

When falling feels like flying there's a dangerous hope. Cause the ground comes at you faster than you think. And lurking in the shadows with the bears and wolves. Is where you feel the most at home these days. (Tired Pony - "The Good Book")

Der mit dem Pony tanzt

Tired Pony

In den letzten Jahren war meist erhöhte Vorsicht geboten, wenn sich bekannte Musiker zu einer Supergroup formiert haben. Doch Tired Pony ist - ähnlich wie Gary Lightbodys Side-Projekt Reindeer Section vor gut zehn Jahren - ein guter Beweis dafür, dass solch ein Zusammenschluss zu einem sehr harmonischen und geglückten Ergebnis führen kann. Hier kommen sich große Egos nicht in die Quere, was nicht zuletzt daran liegt, dass meist Gary Lightboy die Songwriterzügel in der Hand hielt, während Peter Buck mit dem kreativen Aufnahmeprozess beschäftigt war. Diese Rollenverteilung bewirkt, dass so manche Tired Pony Nummer den gewohnten musikarchitektonischen Snow Patrol Songaufbau als Blaupause hernimmt. Doch letztlich schaffen es Produzent Jacknife Lee und Aufnahmetechniker Sam Bell, dem Projekt seine eigene Ästhetik zu geben. Eine, die eben genau all den Bilder entspricht, die Gary Lightbody und seine müden Ponys in den Köpfen hatten. Die Bilder eines vielfältigen, zerrissenen und in seiner Komplexität und Größe kaum fassbaren Amerika.