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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

26. 7. 2010 - 17:02

Robert Rules

Der Songschreiber als Rezensent. Über Robert Forster und sein Buch "The Ten Rules of Rock'n'Roll". Hier und im heutigen Heartbeat.

Wir hatten gerade Aufnahmepause, und ich saß in der französischen Provinz auf der Terrasse von Wreckless Eric und Amy Rigby, gemeinsam mit Darren Hayman, der als Bassist mitgefahren war, und dem als Schlagzeuger eingesetzten Multiinstrumentalisten Ian Button, als die Anfrage per Email kam, ob ich nächste Woche mit Robert Forster ein Interview über sein Buch „The Ten Rules of Rock'n'Roll“ führen wollte.

Namedropping jenseits des Rands zur unfreiwilligen Selbstparodie, ich weiß.

Aber ich habe eine gute Erklärung dafür: Es gäbe wenig Runden von Pop-EnzyklopädikerInnen, mit denen sich Forsters zehn Regeln, die da gleich im Promo-Text zum Buch zitiert waren, schneller zertrümmern ließen:

1)Never follow an artist who describes his or her work as “dark“.

Die scheinbare Falle liegt hier in der Beschränkung auf die Selbstbeschreibung. Ich konnte mich zumindest an ein Blur- und mit großer Sicherheit an ein Leonard Cohen-Interview erinnern, wo das Wort "dark" vorkam und die Musik, die es beschrieb, durchaus verfolgenswert war.

2)The second-last song on every album is the weakest.

“Got to get you into my life?“, bemüht Ian gleich den Beatles-Test, „Sicher nicht der schwächste Song auf 'Revolver'."

3)Great bands look alike.

Eric: „The Animals were all shapes and sizes.“

4)Being a rock star is a 24-hour-a-day job.

Vorgestülpte Unterlippen, aber kein Widerspruch aus der Runde.

5)The band with the most tattoos has the worst songs.

Als Untätowierte hätten wir da alle leicht zustimmen können, aber das Statement ist doch zu tendenziell und für nicht Metal-KennerInnen eigentlich unüberprüfbar. Ich nehme aber mit großer Sicherheit an, dass es Abende in den verhältnismäßig untätowierten Achtzigern gegeben hat, an denen zum Beispiel die Henry Rollins-Band sicher nicht die schlechtesten Songs hatte.

6)No band does anything new onstage after the first 20 minutes.

Neil Young? Spielt ein akustisches Set, dann kommt die elektrische Band. Nur das erste, offensichtlichste Beispiel.

7)The guitarist who changes guitars on stage after every third number is showing you his guitar collection.

Darren will schon zustimmen, aber Ian sagt: „Sonic Youth. Jede Gitarre ist für jeden Song anders gestimmt, die könnten das gar nicht ohne Gitarrenwechsel machen.“ Stimmt.

8)Every great artist hides behind their manager.

Wieder wollen alle abnicken, aber ich wende mich an Darren, Eric und Amy: „Ich weiß, was er meint, aber er geht davon aus, dass jeder große Künstler gut genug im Geschäft ist, um einen Manager durchfüttern zu können. Wann habt ihr das letzte Mal einen Manager gehabt? Seid ihr deshalb keine großen Künstler?“

9)Great bands don't have members making solo albums.

Sehr harte Regel. Anzunehmen, dass er meint, die Go-Betweens hätten nicht existiert, während er und Grant McLennan ihre Solo-Alben machten. Aber das erste offensichtliche Gegenspiel sind die Faces und die Parallelkarriere Rod Stewarts. Nicht, dass dieses Problem die Band letztendlich nicht zerbrochen hätte, aber Stewarts Parallelkarriere überschnitt sich zeitlich mit den besten Faces-Platten.

10)The three-piece band is the purest form of rock'n'roll expression.

Darren verliert an diesem Punkt schon das Interesse, wahrscheinlich weil er leidenschaftlicher Anti-Rockist ist und behauptet, Rockmusik nicht zu mögen (sein Bassspielen im Studio hatte sich allerdings verdächtig rockig angehört, irgendwo muss man ja seine heimlichen Vorlieben ausleben).
Die anderen unter uns stimmen mit dieser Regel überein, allerdings unter der Einschränkung, dass einE SängerIn ohne Instrument im klassischen Sinn von Stimme und Band als Begleitung zahlenmäßig nicht zur Band gerechnet wird.

Zwei von zehn Regeln, das ist keine große Ausbeute. Aber als ich Robert Forster dann vergangene Woche in London traf, gab er zu, dass diese Liste apodiktischer Weisheiten nur so eine amüsante Idee gewesen wäre, „schließlich ist Rock'n'Roll etwas, das grundsätzlich nichts mit Regeln zu tun haben sollte.“ Dass wir uns über seine Regeln unterhalten hatten, hätte bereits den ganzen Zweck der Idee erfüllt.

Robert Forsters Buchumschlag

Robert Rotifer

Das Buchcover, inklusive Plattenhülle für die beigelegte EP

Trotzdem ist der Titel und das dazugehörige kleine Gesellschaftsspiel das bei weitem schwächste an Robert Forsters Buch. „The Ten Rules of Rock'n'Roll“ ist abgesehen davon nämlich eine Sammlung schlichter Rezensionen, und genauso wie in seinem Songwriting praktiziert Forster diese Form mit viel reduzierter Präzision, ohne Ornament oder affektierte Selbstdarstellung und mit reichlich trockenem Humor, der nie zum Selbstzweck wird. Er ist grundsätzlich großzügig zugleich gegenüber den Künstlern und ihren Alben, sei es Dylan, die Yeah Yeah Yeahs oder Nana Mouskouri, und gerade deshalb kann er auch sehr glaubhaft sehr hart sein.

Von wegen Ende der Albumkritik...

Was wiederum den Kreis zu einer neulich hier von Kollege Schmid zusammengefassten Debatte über das vorgebliche Ende der Plattenrezension schließt. Forsters Buch (ironisches Detail: seinen allerersten Artikel schrieb er einst für die Spex) ist ein hervorragendes Plädoyer für den Wert der Rezension, das klar macht, dass die Krise des Formats nicht die des vermeintlich obsoleten Albums, sondern die der Rezension selbst ist.

Forster kommt großteils ohne faule Referenzen-Aufzählungen aus, er nimmt seinen Stoff so ernst, als wäre er sein eigener, lässt nichts durchgehen, das nicht mehr als bloß okay ist, weckt Neugier auf Zeug, zu dem ich mich von keinem Scrobbler der Welt hinführen hätte lassen, und er nützt sein Zusatzwissen als aktiver Musiker, ohne sich je auch nur im Entferntesten auf Insider-Szene-Geschwätz einzulassen. Jedesmal wenn die Schlichtheit in Banalität umzuschlagen droht, schnalzt er mit der gleichen Unaufgeregtheit eine tiefe Weisheit auf den Tisch.

Robert Forster im Jazz Café

Robert Rotifer

Robert Forster bei seinem Auftritt im Londoner Jazz Café am Abend unseres Interviews

Wie er letzte Woche bei unserem Interview sagte, hält er nichts vom postmodernen Schreiben übers Schreiben, ironischem Augenzwinkern zum Selbstschutz des Autors und sinnlosen Listen (eben - warum dann die zehn Regeln?).

Das ewig überschätzte Interview

Ach ja, unser Interview. Wir waren uns beim Interview auch darüber einig, dass äh... das Interview spätestens seit den Neunzigern ein heillos überschätzter Fetisch geworden ist. Forster weiß, dass er das Privileg genießt, Stories zu veröffentlichen, die JournalistInnen, deren Autorenname allein noch nicht sexy genug ist, eben nur mit dem obligaten Interview unterbringen könnten.

Unser eigenes Interview – wo wir schon bei Thesen mit Widersprüchen sind - war allerdings ein anderes, weil es einerseits fürs Stimmenmedium Radio (nämlich die heutige Ausgabe von FM4 Heartbeat) geführt wurde und andererseits nicht übers Telefon oder als Teil eines endlosen Hotelzimmerpromo-Tags.

Zwar schon in einem Hotel, aber nicht in irgendeinem. Um ehrlich zu sein, überkam mich beim Betreten der Lobby des Columbia Hotel am nördlichen Rand des Hyde Park ein eigenartig hohles Gefühl. Das letzte Mal hatte ich Robert dort nämlich 2005 anlässlich des Go-Betweens-Albums „Oceans Apart“ (wie hier schon einmal beschrieben) zusammen mit dem seither verstorbenen Grant McLennan getroffen. Zu sagen, dass seine Präsenz oder Absenz spürbar gewesen wäre, klänge zwar unerträglich pathetisch, aber als Forster seinen obligaten Sandwich kaufen ging, saß McLennan vor meinem geistigen Auge doch wieder da, auf derselben speckigen Sitzbank wie vor fünf Jahren.

The Ten Rules of Rock'n'Roll von Robert Forster wurde beim Verlag Foruli in einer sehr schönen Limited Edition veröffentlicht, mit einer beigelegten eigenes produzierten Ten-Inch-Vinyl-EP mit Covers von Musik, der Forster sich in seiner journalistischen Arbeit angenommen hat - von Vampire Weekend bis zu den Saints.

Mein Interview mit Robert Forster ist heute in der Sendung FM4 Heartbeat ab 22 Uhr zu hören.