Erstellt am: 25. 7. 2010 - 10:16 Uhr
Loveparade ist Geschichte
Samstag nachmittag startet die Loveparade unter dem Motto "The Art Of Love", erstmals soll auf einem abgeschlossenem alten Bahngelände gefeiert werden. Hundertausende machten sich auf den Weg nach Duisburg. Kurz nach 14 Uhr feierten bereits hunderttausende Technofans die dritte Loveparade im Ruhrgebiet. Auch außerhalb des Geländes tanzten Zehntausende in der Innenstadt.
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Bereits am Nachmittag kam es zum einem Besucherstau vor dem alten Güterbahnhof, ein Tunnel war der einzige Zugang zum Partygelände, teilweise ging gar nichts mehr. Schon am Nachmittag, so Zeugen, war die wenige Stunden später einsetzende Massenpanik absehbar. Erst klappen Menschen im Partyvolk im Tunnel und dahinter zusammen, bekommen keine Luft mehr, weil immer mehr Besucher nachdrängen und andere auch gehen wollen. Dann eskaliert die Situation im hunderte Meter langen Tunnel und auch am Ende vor dem Loveparade-Eingang.

APA/EPA/DPA/Erik Wiffers
"Wir standen mittendrin. Es hatten immer mehr Menschen noch versucht, zum Gelände zu kommen", sagt der 21-jährige Raver Fabio der dpa. "Wir waren schon durch den Tunnel durch und standen auf dem kurzen Stück vor dem Eingang. Dort ging es aber nicht weiter." Einige seien über Zäune und über eine Leiter geklettert oder über eine enge Treppe am Tunnelende. "Wir sind danach durch den Tunnel zurück. Meine Freundin und ich haben schon kaum mehr Luft mehr bekommen und haben die Ellbogen ausgefahren, um noch wegzukommen", berichtet Fabio. "Anschließend haben wir die Polizei alarmiert und gesagt, dass es im Tunnel gleich zur Massenpanik kommen wird." Passiert sei aber erst einmal nichts. "Das war etwa eine Dreiviertelstunde vor dem Unglück gewesen. Da waren aber schon Leute reihenweise zusammengeklappt."
Später ist klar, dass 19 Menschen bei der Massenpanik gestorben sind, 342 Verletzte seien gemeldet worden, so ein Polizeisprecher.
Auf dem Gelände geht die Feier noch weiter, erst um Mitternacht wird die Musik abgestellt, eine zweite Panik soll vermieden werden, man hofft auf ein vorsichtiges Auslaufen des Riesenfestes. Um 3.00 morgens verlassen die Letzten das Gelände. viele tausende Besucher der Techno-Party gelangten in der Nacht ohne weitere Zwischenfälle nach Hause.

EPA/Peter Malzbender
Schnell kommt die Frage auf, wie man nur einen einzigen Weg mit einem Nadelöhr als Zu- und Ausgang einrichten konnte. Der Erfinder der ersten Loveparade von 1989 in Berlin, Dr. Motte, schiebt dem Veranstalter die Schuld zu. Ein einziger Eingang sei zu wenig gewesen. Auf Twitter war mit Blick auf den Tunnel schon vor der Veranstaltung von einer "Falle" die Rede. Das Gelände soll für maximal 800 000 Menschen Platz haben, hieß es noch am Mittag. Am Nachmittag verkündete die Stadt stolz 1,4 Millionen.
Keine Antworten von den Verantwortlichen
Bei der Pressekonferenz Sonntag Mittag will sich niemand mehr auf eine genaue Anzahl an BesucherInnen festlegen, sicher sei nur, dass 105.000 mit der Bahn angereist sind.
Den Vertretern der Stadt Duisburg, sowie Rainer Schalle, dem Organisator der Parade, ist der Schock ins Gesicht geschrieben. Alle äußern am Beginn ihrer Statements Betroffenheit, sprechen Opfern und deren Angehörigen ihr Mitgefühl aus. Darüberhinaus haben die Verantwortlichen heute wenig zu sagen, es gibt es kaum Konkretes zu erfahren. Informationen seien der Staatsanwaltschaft übermittelt worden, die ermittelt nun wegen fahrlässiger Tötung, soll klären, wie es zur Massenpanik, zum Tod von 19 BesucherInnen im Alter zwischen 20 und 40 gekommen ist - weitere Details könne und wolle man aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht veröffentlichen.
Zur Kritik im Vorfeld, an Gelände wie Sicherheit, meint Unternehmer Rainer Schaller, der seit 2006 die Loveparade organisiert, dass vorab ein Sicherheitskonzept erstellt wurde und es darüber keine Bedenken gegeben habe. Weitere, drängende Fragen von JournalistInnen werden von den Verantwortlichen nicht beantwortet. Pressesprecher, Björn Köllen vom Veranstalter Lopavent: "Wir eiern nicht rum. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Und wenn etwas analyisiert werden muss, müssen wir auch warten um ihnen eine konkrete und auch fundierte Antwort geben zu können."
Fix ist heute nur eines, die Loveparade wird es nicht mehr geben, Rainer Schaller: "Aus Respekt vor den Opfern, deren Familien und Freunden werden wir die Veranstaltung nicht mehr weiter fortsetzen, dies bedeutet auch das Aus der Loveparade."
Interview mit Frequency Festival-Veranstalter Harry Jenner

Harry Jenner
Anlässlich des Unglücks bei der Loveparade hat Veronika Weidinger den Veranstalter Harry Jenner zu den Sicherheitskonzepten bei Festivals wie dem Frequency befragt.
Veronika Weidinger: Was sind die ersten Schritte, wenn es ein Sicherheitsproblem gibt?
Harry Jenner: Natürlich, die Security-Mannschaft muss sofort schauen, dass sie den Ort des Geschehens absichern, damit nicht noch größere Panik entsteht. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten, entweder laufen alle hin und wollen sehen was passiert ist oder alle laufen weg, weil sie Angst haben es passiert ihnen dasselbe. Als erstens muss man den Platz absichern und schauen, dass die Leute ruhig bleiben, dazu müssen alle Sicherheitsausgänge geöffnet werden, die auch beschriftet sein müssen. Securities sind dazu mit Megaphonen ausgerüstet. Je nachdem wird auch das Programm auf der Bühne unterbrochen. Die Polizei schaltet sich ein, also da gibt es von unserer Seite ein sehr umfassendes Programm
VW:Wie wichtig ist es da, dass es ein gutes Team ist und wie viele Leute stehen dazu zur Verfügung, z.B. Frequency?
HJ: Wir haben bei einem Frequency an die 500 Security-Fachkräfte. Da gibt es natürlich auch jene, die nur Ausgänge bewachen, aber auch solche, die für solche Thematiken geschult sind. Die stehen auch bei gefährlichen Stellen, wo man weiß, dass es dort gefährlich sein könnte. Aber normalerweise entschärft man solche Stellen, verdoppelt Wege etc. Das ist wirklich leider ein sehr kompliziertes Thema, aber natürlich sehr wichtig.
VW: Wie lang vorher beginnen da die Planungen?
HJ: Das Sicherheitskonzept muss lange im Vorfeld abgegeben, und es wird mit uns, mit Securities, mich Fachkräften und Blaulichtorganisationen erstellt, mit den Behörden diskutiert, sprich wir arbeiten das ganze Jahr an so einem Sicherheitskonzept. Natürlich, wenn man am selben Standort bleibt, kann man Konzept verbessern bzw. ist es schon besser eingespielt.
VW: Jetzt gab es beim Frequency 2005 einen Vorfall, wo 31 BesucherInnen verletzt wurden, weil eine Brücke eingestürzt ist. Was habt ihr aus dieser Situation gelernt?
HJ: Zum Glück ist nichts Ernsthaftes passiert. Aber es war natürlich nicht lustig. Wir haben daraus gelernt, dass unser Konzept gut funktioniert hat, die Sicherheitskräfte haben sofort den Ort abgeriegelt, wir konnten sogar das Programm fortsetzen, haben einen zweiten Ort abgesichert und die Sicherheitsschleusen geöffnet. Und es ist Gottseidank Glück im Unglück nichts Ernsthaftes passiert.
VW: Zuwenig Platz für die Hundertausenden, das ist eine Kritik an den Loveparade-Veranstaltern. Wie schätzt man den Platz als Veranstalter ab? Wie läuft das beim Frequency?
HJ: Ich kenne das bestens noch aus dem Salzburg Ring, aus dem Kessel, da war´s manchmal schon eher eng und das war mit ein Grund zum Wechseln, jetzt in St. Pölten haben wir genug Platz, das hat letztes Jahr gut funktioniert und auch heuer wird das funktionieren. Wir verkaufen prinzipiell immer weniger Tickets als Platz ist. Im Unterschied zur Loveparade wissen wir genau, wie viele Leute kommen und wir können genau planen, welche Maßnahmen wir für welche Anzahl von Leuten setzen müssen. Wohingegen bei der Loveparade, wo alles frei ist, die Veranstalter nie wissen, wieviele kommen – und wenn dann mal eine Million dasteht genauso reagieren müssen, wie wenn „nur“ 500.000 kommen. Das kann bei uns in dem Sinn passieren, weil wir genau wissen, wieviele Leute kommen und wir auch exakt darauf vorbereitet sind.
Am Montag in FM4 Conntcted: Massenpanik
19 Tote und 340 Verletzte, das ist die Folge einer Massenpanik, die am Wochenende auf der Loveparade in Duisburg stattfand. Während derzeit ermittelt wird, ob die Betreiber fahrlässig mit der Sicherheit der Loveparade-BesucherInnen umgegangen ist, sind diese gerade dabei, den Schock zu verarbeiten. Wie entsteht überhaupt eine Massenpanik? Was spielt sich in den Köpfen der Betroffenen ab? Wir haben dazu den Notfallpsychologen Professor Dr. Gernot Brauchle von der UMIT in Hall/Tirol befragt.