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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

18. 7. 2010 - 15:00

Gründe, die Kronen Zeitung zu lesen

Erster und letzter Teil: Robert Löffler.

Öffentliche Verkehrsmittel sind eine beliebte Kulisse, um Klischees zu illustrieren. Die Verrohung der Sitten belegen Jugendliche „mit Ohrenstöpseln drinnen“ (Mütter), die Greisen keine Sitzplätze anbieten. Und der nicht besonders kalifornische Charakter der Wiener ist am grimmigen Schweigen in der Straßenbahn ersichtlich.

Überhaupt ist ein populäres Bemängelungs-Sujet jener, die sonst wahrscheinlich gerne Spieleabende veranstalten und sonntags brunchen, die verdrossene Mimik.
„Wie böse die Menschen immer schauen“, sagen sie, „wenn wir alle ein bisschen fröhlicher dreinschauen würden, wäre die Welt um einiges schöner!“

Da greifen wir unter notarieller Beaufsichtigung doch mal wahllos in die Menge der Verbitterungs-Kritiker und fragen Yvonne, deren Name der Redaktion bekannt ist (Yvonne): „Liebe Yvonne, wie guckst du denn aus der Wäsche, wenn du von A nach B fährst?“
“Ein bisschen konkreter bitte, lieber Webhost“, sagt sie da ganz keck, „wo ist denn A und was bitte ist B?“
“Erstens mal: Das heißt schon lange nicht mehr Webhost! Zu deiner Frage: A ist das Hundertwasserhaus und B ein Tierkrematorium. So, jetzt aber: Wie schaust du denn drein?“
“Ach, ich lächle manchmal einfach wildfremde Menschen an. Es ist urschön, einfach wem ein Lächeln zu schenken. Aber manche Leute sind dann ganz irritiert. Das ist urschade. Wenn wir alle ein bisschen fröhlicher dreinschauen würden, wäre die Welt…“
An dieser Stelle müssen wir Yvonne leider unterbrechen und stecken sie unter notarieller Beaufsichtigung wieder wahllos in die Menge der Verbitterungs-Kritiker zurück.

Ist man alleine in der Öffentlichkeit unterwegs, gibt es keinen Grund, von einem neutralen Gesichtsausdruck abzuweichen. Dieser ist nun eben selten besonders heiter. Was daran so anstößig sein soll, hat sich noch immer nicht bis zu mir durchgesprochen. Ich friste mein irdisches Gastspiel lieber „in einer Gesellschaft“, die aus nach außen hin reservierten Passanten besteht, als unter debil Grinsenden.

Unter debil Lesenden dagegen? Als ich meinen „Lebensmittelpunkt“ nicht nur laut Meldeamt nach Wien verlegte, waren die Fahrgäste im sogenannten Proletenschlauch meist damit beschäftigt, aus dem Fenster zu sehen (grantig natürlich), bei ausgeflippter Boogie Woogie - Musik aus Ohrenstöpfeln taub zu werden oder zu plauschen, in besonders schlimmen Fällen auch ohne Gesprächspartner.
Seit einiger Zeit sind die meisten gängigen Fahrt-Bewältigungs-Methoden obsolet geworden. Denn alle Menschen lesen Zeitung.

Schlagzeile: WM-Trööööten nerven alle

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In roten Design-Straftaten werden die kleinformatigen, kostenlosen Zeitungen, deren wenigen Seiten sich fast ausschließlich aus Bildern und Schlagzeilen zusammensetzen, im Morgengrauen aufgetürmt. In den ersten zwei Stunden des U-Bahn-Betriebs stürmen sämtliche Fahrgäste wollüstig auf die Papiertürme zu, um auf den Sitzplätzen der Züge dann neue Papiertürme zu stapeln.
Es ist überflüssig, die Anhängerschaft des Miniatur-Gazette anhand des Aussehens soziologisch einzugrenzen, da anscheinend wirklich jeder das Gratisblatt liest.

Schlagzeile: Geile Eule raubt ganzem Ort den Schlaf

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Das sollte man nicht. Man sollte eigentlich gedruckten Boulevard, der sich aus Bildern von nackten Tieren bzw. Frauen, inhaltlicher Maßlosigkeit und Fertigteil-Sprache zusammensetzt, meiden. Eine Ausnahme ist die Kronen Zeitung.

Man sollte täglich versuchen, an die Krone zu kommen, sie einmal umdrehen und die vorletzte Seite aufschlagen. Dort erscheint seit vier Jahrzehnten täglich ein Aufsatz von Robert Löffler. Unter dem Pseudonym ‚telemax’ führt Löffler eine Fernsehkolumne, die aber meist nur televisionäre Zitate als Ausgangspunkt für die folgende Abhandlung nützt. Diese Abhandlungen, die häufig dem Gerüst Einleitung-Abschweifung-Pointe folgen, gehören zur schönsten deutschen Literatur, die man finden kann.

Löffler ist ein Autor im wahren Wortsinn, er hat unermessliche Autorität über sein Werkzeug, die Sprache. Nur einem wirklich guten Autor verzeiht man sprachliche Fehler, die telemax in Form von erfundenen Imperfektformen absichtlich macht, worauf er zwischendurch auch gerne hinweist, oft fast entschuldigend, wie auf eine merkwürdige Marotte, gegen die man machtlos ist.

Sein souveräner Umgang mit und seine Liebe zur Sprache lassen Löffler regelmäßig auch Sprachkritisch werden. Zu diesem Zweck zieht er häufig Leserzuschriften zurate, in denen er auf besonders hässliche oder ausnehmend schöne Sätze, exotische Wörter oder rätselhafte Redewendungen hingewiesen oder dazu befragt wird.

Löfflers Sprachkritik sucht im deutschen Sprachraum durch sein umfangreiches literarisches, historisches und theoretisches Wissen, sein untrügliches Gefühl für Nuancen, seinen Humor und sein für einen 79jährigen bemerkenswertes Interesse am aktuellen Geschehen ihresgleichen. Gute Sprachkritik - so selten sie sein mag - ist immer auch gute Gesellschaftskritik. Diese übt telemax mit einer majestätischen Zurückhaltung aus, er bleibt stets höflich und elegant, beleidigt nie, wird nie untergriffig, mahnt höchstens sanft. Dadurch steckt man ihn nicht so leicht in die dunkle Satire-Schublade, in der sich vor allem jene Halbintellektuellen wähnen, die gerne „den Mächtigen ein bisschen auf den Schlips treten“ wollen. Es wird ihm so aber freilich auch jener Platz verwehrt bleiben, der ihm zustünde, nämlich jener des obersten Sprach-Mahners, den leider der unerträgliche Bastian Sick mit geballtem Deutschlehrer-Schmäh erobert hat.

Die Magie der täglichen Löffler-Miniatur strahlt noch heller, indem es für den Leser ausschließlich den Schriftsteller gibt, Fingerabdruckgroß abgebildet – Ein gütiges Opa-Gesicht. Die Privatperson hat sich der Öffentlichkeit nie preisgegeben, auf seinen Buchrücken wird er als „der wohl unbekannteste Prominente im Lande“ bezeichnet. Löffler verweigert Interviews und Auftritte. Er spricht mit seiner Leserschaft ausschließlich durch seine Texte. Wie edel, wie selten.

Aber warum gerade mit dieser Leserschaft? Warum schreibt ein so Großer für die Kronenzeitung? Man weiß es nicht und wird wohl keine Gelegenheit bekommen, ihn zu fragen, es bleibt sein Geheimnis.

Lesen Sie Robert Löfflers Texte, wann auch immer Sie die Gelegenheit dazu haben. Einen der größten lebenden Literaten aus Österreich gibt es täglich gratis im Kaffeehaus, sonntags am Zeitungsständer. Zum Wochenausklang führt telemax im bunten Teil der Krone ein etwas ausführlicheres Tagebuch.

Man kann Löfflers Texte, ob in Zeitungs- oder Buchform, auf vortrefflich in öffentlichen Verkehrmitteln lesen und hätte damit einen Grund weniger, grimmig dreinzublicken.