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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

11. 3. 2010 - 11:13

Kreative Isolation

Für das sechste Album "Trespassers" haben sich die Dänen Kashmir in schwedische Isolation begeben. Herausgekommen ist ein komplexes Popwerk über Außenseiter, Einsamkeit und New York.

Was soll man machen, wenn man in seiner Heimat schon den höchsten Popberg des Erfolgs erklommen hat? Wenn Produzenten wie Toni Visconti schon vor dem Mischpult und Gäste wie Lou Reed und David Bowie hinter dem Mikrofon gestanden sind? Wenn man schon fünf Studioalben abgeliefert und damit Chartserfolge gefeiert hat?

Man macht eine Pause und kümmert sich um die Kunst. Das haben zumindest die Mitglieder von Kashmir gemacht. Nach dem Meisterwerk "No Palance Palace" und anschließender Tour vor vier Jahren hat sich Sänger Kasper Eistrup der graphischen Kunst und seinen Ausstellungen gewidmet. Schlagzeuger Asger Techau gründete ein Soloprojekt und beschäftigte sich mit Aufnahmetechnik, während Keyboarder Henrik Lindstrand Komposition zu studieren begann. Und Bassist Mads Tunebjerg hat sein eigenes Elektronikprojekt gegründet. Genau diese neu gewonnene, persönliche Freiheit hat es gebraucht, um nach zwei Jahren wieder das Gefühl zu bekommen, als Band einen Schritt weitergehen zu wollen. Trotz der anfänglichen Euphorie, wieder im Proberaum zu stehen, kam der Einbruch und in Folge der lange, steinige Weg zum sechsten Album.

Kashmir Bandfoto

Bjørn Bertheussen

Der Weg in die Isolation

"Es war wirklich schwierig", meint Mads am Telefon. Der sonst sehr zurückhaltende, wortkarge Bassist ist spürbar aufgeregt und redselig. Der Erfolgsdruck hat sich nach all den Jahren nicht verringert und ein Album mit weltbekannten Sängern, das für Kashmir bisher ungeahnte Sympathiebezeugungen regnen ließ, machte es auch nicht einfacher.

Mads: "Kasper stand unter großem Druck. Alles und jeder in Kopenhagen hat ihn abgelenkt. Er kam nicht zur Ruhe und sorgte sich, dass er es nicht schaffen würde, wieder in das Bandgefüge und die Musik einzutauchen. Kasper meinte: Wie soll ich anfangen? Jeder kommt zu sagt mir und sagt, ich solle dies oder jenes tun. Da kam uns die Idee, ihn wegzuschicken."

Die Flucht schien das einzige Heilmittel gegen den panischen Zustand zu sein. So machte sich Kasper Eistrup auf Anraten seiner Bandkollegen und Freunde auf nach Schweden. In einer kleinen Holzhütte im Südosten fand er einen abgeschiedenen Fleck, weit weg von seiner gewohnten Umgebung. Es stellte sich heraus, dass es der perfekte, kreative Zufluchtsort war.

Kashmir Sänger Kasper Eistrup mit Akustik Gitarre am Sofa

Kashmir

Mads: "Kasper hatte Glück. Man konnte an diesem Ort stundenlang wandern, ohne irgendjemanden zu treffen. Um mit anderen in Kontakt zu treten, musste er schon ins Auto steigen und in das nächste Dorf fahren. Sein Mobiltelefon hat er zwar mitgenommen, es allerdings abgeschaltet im Fahrzeug liegen lassen, damit er nicht seiner Außenwelt und Freunden mitteilen konnte, dass er gerade an Songs schreibt oder bei einem Glas Wein sitzt."

Im Nachhinein passt freilich alles perfekt zusammen. Diese Verweigerung jeglicher Kommunikation und sich der vollkommenen Einsamkeit auszusetzen. Schon die erste Single "Mouthful Of Wasps", die das Album eröffnet, vermittelt eine kühle Distanziertheit. In weiter Ferne schwirren Gitarrenlinien wie singende Sägen, während ein treibender Rhythmus und ein grooviger Bass die gewohnt brüchige Stimme von Kasper Eistrup zu stützen versuchen. Alles dringt gedämpft wie durch einen kalten, weißen Nebel mit Verzögerung ans Ohr. Erst mit der Zeit erkennt man die typischen Harmoniewechsel, den emotional überschwänglichen, mit Staccato-Geigen ausstaffierten Refrain, bei dem Kasper den aufgestauten Druck aus sich herauszupressen scheint. Die erlösende, versöhnliche Melodie, begleitet von zarten Glöckchen kommt erst ganz am Schluss des fünfminütigen Epos. Ein Song, der uns die Richtung des gesamten Werks weist. Ein Song, der nur in kompletter Isolation entstehen konnte.

Eindringlinge und Außenseiter

Auch der Titel "Trespassers" scheint sich nicht ohne Grund in Kasper Eistrups Gehirn schon während den Aufnahmen festgehakt zu haben. Zwar geht es ihm auch immer um eine vom Inhalt losgelöste Sprachmelodie, den alleinigen phonetischen Klang der Worte.

Kashmir Album Cover Trespassers

Kashmir

Doch schon der zweiten Song "Intruder" (übersetzbar mit "Eindringling") erzwingt sich die Aufmerksamkeit. Denn eigentlich verschließt sich das Stück anfänglich mit seinem einfachen, reduzierten Beat, den loopartigen Akkordzerlegungen und einem gleichförmigen, hypnotischen Gesang. Die offensichtlich düstere Atmosphäre lichtet sich auch hier erst Ton um Ton. Mit dem darauf folgenden "Mantaray", einem recht klassisch angelegtem Kashmir-Song, sind die Dänen wieder bei wundervoll glitzernden Akustikgitarren, Händeklatschen und melancholischen Harmoniebögen angelangt, wobei man im Refrain richtig auf die Verzerrer steigen und den Schlagzeugbeat vollkommen verdrehen darf.

"Trespassers" ist auch ein Ort der Experimente. Mit dem Fragment "Pallas Athena", das nur mit leisen Pianotönen, zerhackten Gitarrensamples und sphärischen Synthies auskommt, lehnen sich Kashmir gehörig aus dem Fenster. Denn was früher auf EPs ausprobiert und veröffentlicht wurde, ist hier Bestandteil des Albums. Ein zweieinhalbminütiger Song, bei dem sich Kasper endlich traute, seinen Traum einer Roboterstimme umzusetzen. Während man sich überlegt, ob das gemessen an der übrigen, großartigen Arbeit von Kashmir wohl Platz finden darf, wird man vom nächsten Elektronikbeat mitgenommen. Allerdings ist es nur das kurze Einzählen des absoluten Highlights "Still Boy", einer epischen Indie-Hymne an die Außenseiter dieser Welt. Ähnlich wie bei dem Video zu "Rocket Brothers" wird auch in dem berührenden Filmchen von Jakob Printzlau die Verzweiflung über die Einsamkeit thematisiert. Im Shakespeare-esken Finale stellen sich Kashmir erneut mit Empathie auf die Seite derer, die Abseits unserer Gesellschaft leben.

The boy is back in town

Eigentlich war "No Balance Palace" das Album, das thematisierte, wie es sich anfühlt, die Balance zu verlieren. Es war Ausdruck für eine emotional belastende Zeit, als die vier Musiker an ihre Limits gegangen sind. Mads spricht sogar von almost a borderline feeling, das Kashmir verarbeiten mussten. Aber auch "Trespassers" scheint das gewünschte Gleichgewicht nicht herbeigeführt zu haben. Denn zurück aus der Isolation hieß es für Kashmir-Sänger Kasper Eistrum hinein in den Trubel einer Megacity. In den Electric Lady Studios in New York wurde mit Produzent Andy Wallace nicht nur der Feinschliff unternommen, sondern auch noch die fehlenden Vocals aufgenommen.

Kashmir Bassist Mads Tunebjerg

Katrine Rohrberg

Mads: "Ich war nur zwei Wochen dort, dann hat mich Henrik abgelöst. Irgendwie waren wir auch ein bisschen Stresscoaches, denn Kasper stand erneut unter gehörigem Druck, alle Texte fertig zu machen und den Rest einzusingen. Aber auch wir haben noch viel zum Sound beigetragen. Die Zuckerglasur für das Album, wenn man so will, wie die eine oder andere Gitarrenlinie. Außerdem bin ich immer wieder durch die Stadt gegangen, um Geräusche aufzunehmen. Leute, die miteinander reden, singende Vögel im Park oder die Subway, die unter dem Bürgersteig entlang braust."

Wenn man genau hinhört, kann man in "Bewildered In the City" den Big Apple atmen hören. Es ist Kaspers Liebeserklärung an eine Stadt, die ihn fasziniert, in Bann hält und in der er trotzdem niemals leben könnte. Diese sehnsüchtige Stimmung ist dem Song auch anzuhören, in dem Kaspers Gesang begleitet von Chören und Streichern sich in den Himmel empor schraubt. Auch die Klavierballade "Danger Bear" erhält durch die Samples, die durch den endlos scheinenden Raum surren, ein recht urbanes Feeling. Allein "Time Has Deserted Us", eröffnet mit geschicktem Picking, lässt die schwedischen Wälder vor dem geistigen Auge aufblitzen. Denn selbst die fast schon lieblichen Orgelklänge täuschen nicht über eine kühle Tristesse hinweg, die jedoch auch ihre ganz eigene Magie besitzt.

Kashmir Bandfoto

Katrine Rohrberg

Von der Kunst des Überschreitens

Wer die Geschichte von Kashmir ein wenig verfolgt hat, der weiß, dass diese Band nichts auf die leichte Schulter nimmt und deren künstlerischer Anspruch nicht hoch genug sein kann. Überhaupt liegt in der Liebe zur Kunst und der unversiegbaren Neugier die Stärke des Quartetts. Denn durch sie setzten sich Kashmir immer wieder neuen, unbekannten und vor allem unbequemen Situationen aus, die an ihre Grenzen und oft auch darüber hinaus führen. Genau dann entstehen nämlich die schönsten Songs, auch wenn das Ergebnis im ersten Moment etwas verkopft anmuten kann.

Mads: "Während all den Jahren haben wir immer versucht, uns in eine nicht feindliche, aber dennoch unbekannte Lage zu begeben, um uns zu entwickeln. Veränderungen passieren bei uns zwar nicht radikal, aber kontinuierlich. Bei all der Zeit, die wir in diese Platte gesteckt haben, all den Schwierigkeiten und Versuchen, jeden Sound ganz individuell zu gestalten, kann es schon sein, dass die Songs etwas befremdlich oder überkonstruiert wirken. Aber dieser erste Eindruck ändert sich, wenn man sich Zeit nimmt und öfter hinhört. Wenn diese Platte es schafft, bei jedem Hören sich zu entwickeln, dann, glaube ich, hat sie auch eine längere Halbwertszeit."

Kashmir live in Österreich: Am 13. Mai 2010 in der Szene Wien!

Die Geheimnise des sechsten Kashmir Albums erschließen sich also nicht sofort. Auch wenn die zehn Stücke wie fremde Eindringlinge unvermittelt ankommen und Aufmerksamkeit fordern, erweisen sie sich nach genauem Hinhören als alte Bekannte, die gereift und sich zum positiven Entwickelt haben. Denn Kashmir schaffen es, dem Offensichtlichen durch ihren ganz eigenen Zugang neues Leben einzuhauchen. Wie bei dem Cover, das auf den ersten Blick wie ein tollpatschiges, lebloses Designerding wirkt. Aber auch da steckt mehr dahinter...