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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

3. 3. 2010 - 14:59

Neues verrücktes Österreich

Binder & Krieglstein pfeffern uns mit "New Weird Austria" ein gewagtes Album entgegen, bei dem Volksmusik ungebremst auf einen gewagten Indiemix trifft.

Anfänglich schöpft man bei dem munter dahin hüpfenden Beat von "Bratlgeiger" noch keinen Verdacht. Erst, als die dezenten Tubatöne und die schrille Gesangsakrobatik 4xang Mastermind von Wilfried einsetzt, weiß man, das hier ist harte Kost. Marschmusik trifft auf balkan-eske Beats und ein Klarinettensolo, begleitet von einer Ziehharmonika, während im Hintergrund volkstümliche Weisen wabern und flirren, dass einem der Steirerhut vom Kopf fällt. Binder & Krieglsteins Album "New Weird Austria" verstört, fordert, eckt an und gleichzeitig belustigt es, bringt zum Schmunzeln und ist ein spannungsgeladenes Experiment, an dem es - wenn es erst einmal im CD-Player landet - keinen Weg vorbei gibt.

Brinder & Krieglstein Bandfoto mit Posaune und Diskokugel

Elmar Gubitsch

Alles gefunden

Drei Jahre ist es her, seit der Grazer Schlagzeuger, Musiker und Produzent Rainer Binder-Krieglstein "Alles verloren" hat. Damals standen noch poppige Melodien, klassische Songstrukturen, Dub, Elektro- und Balkansounds im Vordergrund. Dass Rainer jetzt bei der Volksmusik angelangt ist, überrascht wenig, wenn man weiß, dass der Steirer seine ersten musikalischen Gehversuche auf diesem Feld unternommen hat. Lang bevor er in die dunkle Welt der harten, verzerrten Gitarren hinabgestiegen ist.

Rainer: "Bevor ich von der Band Fetish 69 als Schlagzeuger rekrutiert wurde, hatte ich mein eigenes, erstes Projekt 'Die Kapelle". Schon damals habe ich mit Volksmusik gearbeitet. Aber auch bei meinen letzten drei Platten beschäftigte ich mich mit dem Thema und jetzt war die Zeit reif, es richtig anzugehen."

Rainer Binder-Krieglstein und Sängerin Makki

JJ Kucek

Richtig angehen heißt im Fall von Binder & Krieglstein nicht, sich irgendwelche Samples zu schnappen und über einen intellektuell-reflexiven Zugang sie in den bestehenden Soundkosmos einzuflechten. Vielmehr ging es darum, einen Forschergeist und eine eigene Spielart zu entwickeln für das, was einen umgibt. Im Gegensatz zu "Alles verloren", auf dem thematisch ein sehr persönlicher Blick nach innen geworfen wurde, geht "New Weird Austira" den umgekehrten Weg.

Rainer: "Ich habe eigentlich nicht vorgehabt, in Graz zu bleiben. Als jedoch klar war, dass ich nicht in Berlin sitzen und elektronische Popmusik machen werde, musste ich mich mit meiner unmittelbaren Umgebung auseinandersetzen. Es ist schon lustig, dass ich länger überlegt habe, was mich musikalisch noch interessieren könne. Und dann wachst du auf und merkst, dass es um dich herum genau das gibt, wonach du gesucht hast."

Der sonderbare Fall des Binder-Kriegelstein

Die Kunst bestand für Rainer nun darin, so wenig wie möglich zu fusionieren und zu "crossovern", wie er es nennt, sondern mit unbedarfter Haltung einen eigenständigen Stil, ein eigenes Timbre zu entwickeln. Dabei half ihm die Zusammenarbeit mit den vielen Gästen, die stimmlich auf der Platte vertreten sind. Denn eigentlich schweißen sie den wilden Kulturclash von verzerrten Gitarrensoli, Marschmusik, Bläsertruppen, Jägerchor, House-Beats, Landlergroove, Hip Hop und Elektropop zu einem stringenten Werk zusammen. Neben dem erwähnten Wilfried, der aus Reminiszenzgründen das Album eröffnet, rappt Mieze Medusa zur Geigen- und Ziehharmonikamusi, die sich an digitale Beats schmiegen. Didi Bruckmayr lässt seinem Protestdrang und Frust über die neue virtuelle Welt in operettenhaftem Gesang freien Lauf, während die steirische Volksmusik im Hintergrund zerhackt, verfremdet und in sich selbst zu implodieren scheint. Und zu ländlichem Glockengeläute mischt sich eine technoartige Synthielinie und trockene Drummachine, über die Suzy On The Rocks von Bunny Lake (im Gegensatz zu Katy Perry) davon singt, gerne Buben zu küssen, während der Steirische Jägerchor ein Kärntner Heimatlied intoniert. Nicht zu vergessen Makki, die Haus- und Vierkanthof Sängerin von Binder & Krieglstein, wenn man so will.

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Aber auch andere Stimmen sind auf dem Album zu hören, die eigentlich keinen Musiker gehören. So fragt sich der Fotograf Molto Mosso, ob er in der Firma seines Vaters glücklich ist und der bildende Künstler Karl Gründling offenbart zum gesampeltem Jodler seinem größten Schatz die Liebe.

Um derart waghalsig und experimentierfreudig in traditionellem Musikgut und neuen, zeitgeistigen Strömungen hantieren zu können, benötigt es trotz intuitiven und sehr "blauäugigen" Zugang, für den sich Rainer Binder-Krieglstein entschieden hat, auch Recherchearbeit.

Rainer Binder-Kreiglstein beim Videodreh in Karchtenkleid mit Bierglas

Binder-Krieglstein

Rainer Binder-Krieglstein in "ländlicher Montur" beim Videodreh!

Rainer: "Ich habe mich drei Tage im Volkslied Musikarchiv in Graz eingesperrt und da kann man wunderschöne Schellacks ausgraben. Unter anderem habe ich da das Herberstein Trio gefunden auf einem Field-Sampler, auf dem ein Amerikaner in den siebziger Jahren weltweit Volksmusiken gesammelt hat. Und dieses Trio aus Eggenberg bei Graz hat den Oberkrainer Sound extrem rockig und punkig gespielt, was mich sehr fasziniert hat. Übrigens sind die Herbersteiner auch der Haupteinfluss von Attwenger in ihren Anfangszeiten gewesen."

Doch die Reise in die Vergangenheit geht noch weiter zurück, da "New Weird Austria" auch die Eindrücke von Rainers Kindheit widerspiegelt.

Rainer: "Bei mir zuhause wurde nie volkstümliche Musik gehört. Das hat mir vielleicht auch so einen naiven Zugang zu diesem Thema ermöglicht. Andererseits weiß ich genau, dass mein erster Kontakt zu Schlagzeug oder Trommeln, die mich als Kind sehr beeindruckt haben, sicher über die Blaskapelle gelaufen ist. Es war dieser tiefe Blick von unterhalb auf die Marschtrommel, an den ich mich erinnere. Und wenn da so ein kleiner Knirps unter dieser Snare steht, dann kann man sich schon vorstellen, was da für Vibes rübergekommen sind."

Ein utopisches Werk

"New Weird Austria" war nicht nur für Rainer Binder-Krieglstein ein mutiger Schritt, sondern auch für Shantels Plattenlabel Essay Recordings. Die Betreiber forderten gleich zu Produktionsbeginn ein "paper" ein, um genug Zeit zu haben, dieses große Experiment gut positionieren und für die Medienwelt aufarbeiten zu können. Rainers Reaktion war, wie auch bei der seiner musikalischen Arbeit, mit etwas Überschwänglichem und Übertriebenem zu reagieren. Es entstand gleich ein ganzes Manifest, das andere Schriften zitiert, rekontextualisiert und mit Rainers Biographie und musikalischem Weg neu zusammensetzt.

Albumcover Binder & Krieglstein "New Weird Austria"

Binder-Krieglstein

Auch der Titel "New Weird Austira" ist clever gewählt, so spielt der Schlagzeuger auch hier mit Genrebezeichnungen und sieht es als Wunsch und Aufforderung, dass gemäß der kontemporären Folkbewegung in den USA sich in Österreich etwas Vergleichbares herausbilden könnte.

Rainer: "Es würde mich sehr interessieren, was zwanzigjährige Musiker aus dem Volksmusikzugang herausholen könnten. Denn die Generation scheint da schon unbefangener zu sein und es gäbe auch für Gitarrenbands da viele Interpretationsmöglichkeiten. Klar ist allerdings, es ist nicht schick und elegant. Da wird dir jetzt keiner auf die Schulter klopfen und sagen: 'Toll was du da machst! Das groovt und ist echt lässig.' (lacht) Sondern die Menschen werden eher mit gerümpfter Nase auf dich zugehen. Aber das ist ja von der künstlerischen Seite her wiederum sehr spannend und da könnte sich schon etwas entwickeln, auch wenn ich es jetzt nicht primär erwarte."

Heute, 3. März 2010, ist Rainer Binder-Krieglstein in Connected (15-19) zu Gast und am Abend im Wiener Ost Club zu sehen.

"New Weird Austria" wirft viele Fragen auf, regt an zu diskutieren, sich über die eigene Identität und Herkunft Gedanken zu machen und hat auch eine sehr unverblümte, ehrliche Seite, die auch nicht jeder sehen beziehungsweise hören will. Vielleicht braucht es den großen Diskurs gar nicht und man schafft es, das neue Binder & Kriegelstein Album als das zu nehmen, was es ist oder vielmehr, was es will.

Rainer: "Ich möchte einfach Volksmusik so interpretieren und in die zeitgenössische Musik führen, als ob es in diese Richtung eine ganz natürliche Entwicklung gegeben hätte. Die es klarer Weise nicht gab."