Erstellt am: 1. 3. 2010 - 17:57 Uhr
Music that chatters
Es war 2002 oder 2003, und ich kam mir schon ein bisschen dumm vor dabei, ein digitales Radio zu kaufen, nur um einen neuen Sender zu empfangen. Aber nach all dem, was BBC 6 Music zu sein versprach, wollte ich bei dieser Revolution doch zumindest Zaungast sein.
Was man dabei wissen muss: Radio 1, der BBC-Mainstreamsender, der in den mittleren Neunziger Jahren die gesamte Britpop-Welle getragen hatte, war in seinem hysterischen Drang, den Geschmack der Kids zu treffen, so wie die BBC-Abteilung für soziale Vielfalt sie sich vorstellt, zusehends unerträglich geworden.
"Music that matters" - und Worte, die das manchmal nicht so tun
Gleichzeitig hatte die Corporation ihren Londoner Sender Greater London Radio vom vielleicht besten Lokalradiosender aller Zeiten in eine populistische Chat-Show-Hölle verwandelt.
Der als kommerzielles Alternativ-Radio gedachte Sender Xfm war indessen nie über seine monotone Indie-Rock-Ästhetik hinausgewachsen, und meinereins sah sich gezwungen, auf das immer wieder informative, lehrreiche aber teils doch eher prätentiöse Sprechprogramm Radio 4 umzusteigen.
Trocken Brot ist zwar was Gutes, aber hin und wieder Butter auch, hatte ich mir also gedacht und einen in rotes Kunstleder gehüllten Roberts-Digitalempfänger in mein Leben gelassen, um dieses seit 2002 sendende, sagenumwobene Ding namens 6 Music, die Speerspitze der britischen Digitalradiowelt, zur Brust zu nehmen (oder was immer sich metaphorisch ausgeht und hier ungefähr den erwünschten Sinn ergibt).

Robert Rotifer
Die Enttäuschung war leider grenzenlos, denn das Musikprogramm dieses Senders schien von Leuten programmiert zu sein, deren Welt mit den Stone Roses beginnt, deren Vorstellung von Punk sich in Siouxsie & The Banshees übersetzt bzw. für die Echo & The Bunnymen den Inbegriff von Psychedelik verkörpern (an all denen ist grundsätzlich eh nichts schlecht, aber die Welt, den Punk und die Psychedelik erfunden haben sie eben nicht).
Außerdem wurde mir da für einen Musiksender über die Gebühr viel ziellos dahingequasselt, und zwar die Sorte leichten Gesprächs, das unterschwellig spannungsgeladen wie ein Ibsen-Stück in seinem unausgesprochenen Subtext allein von der zutiefst britischen Angst handelte, den sicheren Boden der Belanglosigkeit zu verlassen.
Das Kramen in kollektiven Erinnerungen an die Exzesse der Uni-Zeit zwischen Moderatorin und HörerInnen musste am Sonntagmorgen zum Beispiel nicht wirklich sein, gerade im Kontext des durchaus beredenswerten Irak-Kriegs, in dessen Anbahnung und Verlauf Radio 4 für politisch nicht völlig betäubte Geister Pflichtprogramm wurde.
Abgesehen davon, dass man während des Sprechradiohörens glatt Gitarre spielen kann, was sich dann auch schnell bei mir eingebürgert hat.
Und wenn ich dann einmal doch Lust auf 6 Music gehabt hätte, zum Beispiel im Auto, ging's wieder nicht, weil nur digital...
Das digitale Erbe des John Peel, laut David Bowie
Wie leicht zwischen und in diesen Zeilen herauszulesen ist, versuche ich hier zu rechtfertigen, warum der Sender also nie Teil meines Alltags geworden ist.
Nur aus der Ferne hab ich Tiefpunkte wie George Lambs legendäre Verschwendung eines Interviews mit dem angesichts Lambs infantiler Ignoranz beneidenswert coolen Ray Davies mitgekriegt.
* siehe „Love Bomb“ von Grinderman:
I've been listening to the radio
Trying to find some self-expression
I been listening to the Woman's Hour
I been listening to Gardener's Question Time
But everything I try to grow
I can't even grow a dandelion
Trotzdem war und ist mir schon bewusst, dass ich, während bei mir und Nick Cave* so Sternstunden wie Radio 4's More or Less, Just a Minute, Woman's Hour, Quote Unquote, The Now Show, Brain of Britain, Count Arthur Strong, The World At One, Today, PM oder Gardener's Question Time den Wohnraum beschallten, drüben auf 6 Music schon so manches enorm Hörenswertes versäumt haben könnte.
Zum Beispiel regelmäßige Sendungen von Jarvis Cocker, Guy Garvey, Tom Robinson, Gideon Coe oder dem unerschütterlichen Steve Lamacq.
Oder kleine Juwelen wie jene Live-Session mit Edwyn Collins, die in Lauren Lavernes Sendung lief, als ich gerade vorhin probeweise am Laptop den Live-Stream angemacht hab. Selbst bei FM4 kommt sowas nicht stündlich vor.
Ihr ahnt schon, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen kann. Übers Wochenende sind nämlich Sparpläne bei der alten Tante Beeb bekannt geworden, im Zuge derer die BBC-Führung die baldige Einstellung von 6 Music in Aussicht stellt (nebst der Abschaffung des BBC Asian Network, dessen in einer Parallelwelt isolierter, an die südasiatische Community gerichteter Inhalt allerdings meiner bescheidenen Meinung nach sowieso mitten in den sonst fast völlig weißen Mainstream-Output der BBC reingemischt gehört).
Falls diese Schnapsidee als verkappte Promo für den Sender gedacht war, hat sie funktioniert.
Noch Freitags hatte etwa Ed Vaizey, der Kultursprecher der möglicherweise die nächste Regierung stellenden Konservativen, die bevorstehende Schließung des Senders als intelligenten Schritt bezeichnet.
Nach einem Wochenende 6 Music hören ist er mittlerweile zu dessen Rettern übergelaufen. So schnell kann's gehen im Wahlkampf.
Sogar David Bowie hat sich vom New Yorker Exil aus in die Bewegung eingereiht und 6 Music als das Erbe des seligen John Peel beschworen, ganz zu schweigen von der vorstellbar fieberhaften Facebook-Twitterei zum Thema.
Immerhin wissen all diese Leute, wozu es 6 Music, den Sender für die – laut seinem Motto - „music that matters“ und die intelligente, journalistische Auseinandersetzung damit, inklusive Interviews und Live-Sessions, geben sollte.
Allein die Chance, dass er dieses Potenzial auch eines Tages wirklich erfüllen könnte, rechtfertigt die Existenz von 6 Music. Gerade im Wissen, dass weder die private Konkurrenz noch Spotify je die von seiner Abschaffung hinterlassene Lücke füllen würden.