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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

14. 2. 2010 - 15:00

Amaranth gepufft – Trendbewusstsein zeigen

Frau Specht im Gespräch über Wunschmüsli

Immer wieder trieze ich meine Umgebung mit Erfindungen und Ideen und werde dafür verspottet. Um sie patentieren oder gar zu produzieren zu lassen, fehlt mir leider das Geld.
Schon vor Jahren erdachte ich ein Kirschkernweitspuckrohr, das mittels einer Membran am Rohrende die Geschwindigkeit der Kerne misst, die Jugendliche hinein speien. Bestimmt wäre das kleine Unterhaltungsutensil der Burner bei Großveranstaltungen gewesen. Mit der Zeit wäre am Mittagstisch nicht mehr gesprochen, sondern schweigend um die Wette in das Heiterkeits-Erzeugungs-Rohr gespuckt worden. All die ignoranten und engstirnigen Lebensmenschen rings um mich verleideten mir aber meine Vision mit der Zeit.
Kurz darauf erfand ich eine Freisprecheinrichtung für Autofahrer. Anstatt das Handy irgendwo umständlich einzustöpseln, erlaubte meine Konstruktion erstens uneingeschränkte Mobilität und war kinderleicht zu bedienen. Kurz: Ich dachte an eine Art Helm, in den man den mobilen Fernsprechapparat einfach in Ohrnähe hineinsteckt. Sämtliche Hinweise von Freunden (unpraktisch/ hässlich/ gefährlich/ idiotisch) ignorierte ich, war aber trotzdem etwas geknickt.
Auch eine Lügen-Agentur im Internet hielt ich einst für den besten Weg zur Finca auf Mallorca. Nachdem andere Narren damit reich werden, Probleme feilzubieten, wollte ich alles von kleinen Notlügen (1 Euro) bis zu Lebenslügen (1500 Euro) feilbieten. Befreundete Webdesigner straften meinen Enthusiasmus mit Fassungslosigkeit und eisigen Blicken.
Die Idee eines Transportunternehmens, das sich ausschließlich auf kleine Mengen von Styropor innerhalb Wiens spezialisiert, darf dagegen zurecht verlacht werden.

Andere Erfindungen gibt es bereits. Kürzlich fragte ich mich, warum man mit Trainingsgeräten keinen Strom erzeugen kann, wo doch die halbe Welt ihre Körper stählen zu müssen glaubt. Man tut es bereits in Amerika. Aber meine Reputation als Erfinder ist seitdem wieder stabiler.

Dass ich überhaupt meine meist recht nützlichen oder zumindest amüsanten Ideen verteidigen muss, ist befremdlich, wenn man bedenkt, was andere tatsächlich umsetzen und damit auch noch Erfolg haben. Neulich sah ich im Fernsehen Reklame für Wunschmüsli. Das Wunschmüsli kann man sich im Internet zusammenstellen und dann nach Hause schicken lassen. Ich habe keine Ahnung, welche Leute das sind, die ihr Frühstück mit der Post beziehen, die teuren Preise für Fernsehwerbung lassen aber vermuten, dass es solche Müsli-Narren gibt.

Zu diesem Thema habe ich mit Frau Elfriede Specht aus Gramatneusiedl gesprochen.

Frau Specht, normalerweise führe ich an dieser Stelle keine Interviews. In ihrem Fall will ich eine Ausnahme machen, da Sie eine spannende Geschichte zu erzählen haben, in der das vermaledeite Wunschmüsli eine erhebliche Rolle spielt.
Also im Herbst war meine Freundin Ruth bei uns zu Gast, da hat mein Mann von dem Wunschmüsli erzählt. Ich habe dann gemeint, dass ich mir mein Müsli doch nicht im Internet zusammenstellen muss, das kann man doch auch im Supermarkt, aber Ruth fand die Idee irgendwie witzig....
Irgendwie witzig! Leute, die Sachen ‚irgendwie witzig’ finden, sagen auch über Filme, sie wären ‚nett gemacht’ und wollen von Lokalen, dass sie ‚total gemütlich’ sind.
Also ich...
Und Leute wie ihre Freundin Ruth, die Wunschmüslis irgendwie witzig finden, müssten auch zu jenen Opfern gehören, die sich über Traumfänger freuen und selbst Gewürzregale herschenken.
Aber wieso denn Opfer...
Das sagt man heute so. Du Opfer!
Achso. Na, jedenfalls fand Ruth die Idee ganz witzig und mein Mann auch, und dann haben wir wieder über was anderes gesprochen. Letzte Woche war ich für zwei Tage in Schwerin, und als ich nach Hause komme, steht in der Küche eine Packung Wunschmüsli. Da frage ich meinen Mann, warum er das denn bestellt hätte, und er meint, er wollte mich überraschen, und, naja, die Überraschung ist ihm auch gelungen. Und die Packung war bereits offen. Ich so: Warum ist die Packung denn schon offen? Und er so: Naja, weil ich es probieren wollte. Ich so: Und warum sind denn Rosinen im Wunschmüsli, du weißt doch, dass ich Rosinen hasse, weil mein Opa mir damals immer erzählt hat, das wären tote Fliegen, und wenn du schon ein Wunschmüsli bestellst, das du mir schenken magst, warum wünscht du dir dann ausgerechnet Rosinen dazu? Und er so: Hmmmm, naja, hmmmm. Und da fällt mir ein: Meine Freundin Ruth, die liebt Rosinen über alles. Und seither werde ich die Idee nicht los, dass mein Mann...
Entschuldigung, Frau Specht, wenn ich Sie unterbreche, aber: DAS war alles? Also soooo spannend ist ihre Geschichte dann auch wieder nicht.
Das habe ich ja auch nie behauptet. Sie haben mich doch auf der Hütteldorfer Straße angesprochen und gefragt, ob ich schon einmal negative Erfahrungen mit Wunschmüsli gemacht habe. Sie haben doch gesagt, Sie wären für einen großen bundesweiten Radiosender da an einer ganz heißen Geschichte dran und brauchen...
Frau Specht, das tut jetzt nichts zur Sache. Und hat ihr Mann jetzt oder nicht? Also, mit ihrer Freundin meine ich...
Das weiß ich ja nicht. Für mich gilt da natürlich die Unschuldsvermutung, aber...
HA! Dieses Wort schon wieder! Unschuldsvermutung! Man spricht doch von einem mutmaßlichen Täter, weil man ihn als Urheber der Tat vermutet, es aber noch nicht bewiesen hat. Man vermutet seine Schuld.
Ich finde keinen gewichtigen Grund gegen die Vokabel „Schuldsvermutung.“ Gängig ist jedoch die „Unschuldsvermutung“. So tröstlich der Vorsatz ist, grundsätzlich von der Unschuld auszugehen, so wenig konsequent wird er sprachlich weitergeführt. Gälte die Unschuldsvermutung tatsächlich, dürfte nicht vom „mutmaßlichen Täter“, sondern vom „mutmaßlich Unschuldigen“ die Rede sein. Ist er aber nicht. Ein nicht verurteilter, mutmaßlicher und nebenbei sehr ungeschickter Taschendieb, der gleich von siebenundzwanzig Zeugen beim Diebstahl beobachtet wurde, könnte zwar tatsächlich einen formidablen Leumund und gleichzeitig siebenundzwanzig Totfeinde haben, vermutlich ist er aber schuldig. Und wer ist schon gänzlich unschuldig und hat trotzdem siebenundzwanzig Totfeinde?
Wird ein grauenvoller Triebtäter entlarvt, der seine eigenen Kinder in ein Kellerverlies gesperrt und sie vergewaltigt hat und sprechen unzählige Umstände gegen ihn, vermutet doch auch vor seiner lebenslangen Haftstrafe niemand, er wäre unschuldig. Freilich wäre es möglich, nicht ganz ausgeschlossen, irgendwie denkbar. Ich könnte mich für den Terminus „Unschuldsmöglichkeit“ erwärmen. Allerorts wird aber...
*

*Bereits für einen ansonsten weniger knusprigen Text verfasste Passage, die vom gewieften Autor hier völlig unauffällig eingebaut wurde! Respekt und Hut ab!

Herr Carnal, das hat doch jetzt mit Internet-Cerealien wirklich nichts mehr zu tun!
Internet-Cerealien, nicht schlecht, Frau Specht. Ein sehr hübsches Synonym.
Danke sehr.
Frau Specht, ich muss schön langsam wieder. Wollen Sie noch etwas loswerden?
Nun, ich finde es etwas befremdlich, das man den Zutaten auf der Wunschmüsli-Seite auch jeweils ein Image zugeordnet hat. „Amaranth gepufft – Trendbewusstsein zeigen“ zum Beispiel.
Da kann ich Ihnen nur rechtgeben. So, Frau Specht, also von mir aus...
Nur ganz kurz noch... Wofür steht eigentlich EAV?
Für eine Band. Und jetzt Tschüss mit Ü, TSCH und Doppel-S.