Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Eric Rohmer 1920-2010"

Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

12. 1. 2010 - 14:57

Eric Rohmer 1920-2010

Frühling, Sommer, Herbst und Winter: zum Tod des französischen Filmregisseurs Eric Rohmer

Vor über einem Jahr habe ich den Versuch gestartet, eine private Komplett-Retrospektive der Filme von Eric Rohmers in meinem Wohnzimmer durchzuziehen. Sie hat bis heute kein Ende gefunden. Zu viele Filme, zu viele Formate, zu viel Unerreichbares war dabei. Gestern hat dieses Kinouniversum einen traurigen Abschluss gefunden. Mit dem Tod des 89-jährigen Eric Rohmer ist eine leise, diskrete aber wichtige Stimme des europäischen Autorenfilms verstummt.

Eric Rohmer

EPA

Es gab eine Zeit, da war Eric Rohmer eine geläufige Größe des gehobenen Arthouse-Films. Seine Art, Filme zu machen, war so bekannt und mit seinem Namen verknüpft, dass man in den 80er Jahren in den "neuen Rohmer" so hineinging wie heutzutage in einen neuen Woody Allen. Sein Stil war in seiner Unauffälligkeit, seiner zarten Lakonie so markant, dass man gut Witze über Rohmer machen konnte. Tocotronic haben in ihrem Song "Meine Freundin und ihr Freund" - auch so ein rohmeresker Titel - gesungen "… und im Leben geht's oft her wie in einem Film von Rohmer". Ja, als Underground-geeichter, italienische Kannibalenfilme konsumierender junger Mensch konnte man sich leicht lustig machen über "das ewige Gequatsche", diese "öden französischen Filme von diesem Rohmer", in denen "nichts passiert" und das immer auf die gleiche Weise.

Man könnte den klassischen Rohmer-Film auch so beschreiben: Ein junger Mann trifft in Paris eine rätselhafte und unbekümmert launische junge Frau, verbringt mit ihr einen Nachmittag auf den Straßen der Stadt, lernt ein zweites Mädchen kennen, er bekommt Zweifel über das Wesen seines Begehrens. Eine Lüge, ein Missgeschick, ein Zufall setzt das fragile Dreieck unter Druck, jemand verlässt die Stadt, das Leben geht weiter. Die Konstellationen und Schauplätze hat Rohmer immer wieder variiert. Zentrale Themen blieben gleich: Die Flüchtigkeit der Liebe, die Magie von Begegnungen und Gesprächen, die Traurigkeit von Abschieden, die Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen und die Folgen, die das alles haben kann.

Im Vergleich zu seinen etwas jüngeren Regiekollegen der französischen Nouvelle Vague der 60er Jahre wie Jean Luc Godard oder Francois Truffaut war Eric Rohmer in seinen filmischen Mitteln bescheidener, kleiner, aber dabei formal nicht weniger streng und intellektuell durchdrungen. Auch wenn das Parlando seiner verwirrt verliebten Protagonisten und Protagonistinnen immer wieder mit Eigenschaften wie "perlend, leichtfüßig, gelassen" beschrieben wird, hatte Rohmer in der Ausführung durchaus rigorose Ideen über die Funktion des Dialogs im Film, über Setting, Schnitt und Ausstattung, Tonspur und Schauspiel. Auch er hat schließlich als kinofanatischer Kritiker im legendären Filmmagazin Cahiers du Cinéma begonnen, das klassische Hollywoodkino von seinen großen Helden Ernst Lubitsch oder Preston Sturges in den Himmel zu schreiben.

Für drei große, lose thematisch miteinander verbundene Filmzyklen ist er berühmt geworden. Rohmer hat seine allerersten sechs Filme, die in den großteils schwarz-weißen 60er Jahre entstanden sind, als Moralische Geschichten zusammengefasst (unter anderem "Claires Knie", "Liebe am Nachmittag"). Die sechs Komödien und Sprichwörter (unter anderem: "Pauline am Strand", "Das grüne Leuchten") in den 80er Jahren, und schließlich die Erzählungen der vier Jahreszeiten aus den 90er Jahren haben den "Trademark-Sound" der Rohmer-Filme geprägt.

Filmstill aus Eric Rohmers "Sommer"

Canal+

Die heiter-bewölkten Nachmittage am Strand, die Verwirrungen, die in den bürgerlichen Altbau-Nächten in Paris für Einsamkeit oder Liebesglück sorgen - auch wenn Rohmers Filme niemals auf die Mittel eines Überwältigungskinos zurückgegriffen haben, entwickeln alle diese Figuren und ihre subtil ausgeleuchteten Konstellationen einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Der Regisseur denunziert seine Figuren nie. Die Personen werden auch nie missbraucht, um eine Idee des Regisseurs "darzustellen", sie bewegen sich scheinbar spontan und frei im filmischen Raum, den ihnen Rohmer gebaut hat. Was nach spontaner Improvisation am Set aussieht, war aber durchaus minutiös geplant. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, wie wenig "Pranke" Eric Rohmer als Regisseur vermittelt, ganz im Gegensatz zu vielen alten europäischen Kunstfilmern, deren pathetischer Kunstanspruch heutzutage mitunter unfreiwillig komisch wirkt.

In den letzten Jahren ist es stiller geworden um das Spätwerk von Eric Rohmer. Natürlich wurden seine Filme immer noch auf den großen europäischen Filmfestivals gezeigt, aber wie bei seinen französischen Alterskollegen Alain Resnais und Jean Luc Godard, konnte man froh sein, wenn ab und zu einer seiner Filme hierzulande im regulären Kinobetrieb auftauchte. Sein allerletzter Film "Les amours d'Astrée et de Céladon" von 2007 fehlt immer noch in meiner privaten Retrospektive.

Meine persönlichen Empfehlungen für Rohmer-Einsteiger:

  • Das grüne Leuchten - Le rayon vert, 1986: Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ihr Weg führt zum grünen Leuchten an den Strand von Biarritz. Das schönste Ende eines Rohmerfilms.
  • Claires Knie - Le genou de Claire, 1970: Einer der wenigen sinnlichen Filme, in denen die Konstellation älterer Mann und junge Frau nicht nervt.
  • Die Frau des Fliegers - La femme de l'aviateur, 1981: Begegnungen in den Straßen von Paris, wie nur Eric Rohmer sie sieht und hört.
  • Perceval le Gallois, 1978: Eine ziemlich durchgeknallte "Musicalversion" von Parzival mit extrem künstlichen Settings. Rohmer hat nicht nur seine bekannten Beziehungskomödien inszeniert.
  • Sommer - Conte d'été, 1996: Ein Teenie-Film, ein Sommer in Frankreich. Das "Eis am Stiel" des denkenden Menschen.