Erstellt am: 16. 11. 2009 - 17:03 Uhr
"Fractured skull apparently"
Es kommt (jedenfalls bei mir) nicht oft vor, dass journalistisches Interesse sich in eine Art Fantum wandelt, noch seltener, dass letzteres sich zu einer Freundschaft und einer produktiven musikalischen Wechselbeziehung auswächst.
Mein Verhältnis zu Darren Hayman ist so ein Fall. Ich war und bin ein großer Bewunderer seiner Neunziger-Band Hefner und seines späteren Solowerks, und irgendwann beschlossen wir nach einem Interview, dass wir eigentlich genauso gut Freunde sein und miteinander Musik machen könnten.
Das nur als Erklärung meiner persönlichen Befangenheit, was diese Meldung anlangt. Am vergangenen Dienstag hatten wir noch gemeinsam für meine Wiener Plattenpräsentation geprobt, am Donnerstag nahm er in Canterbury mit unserem gemeinsamen Freund und Drummer Ian in der Salvation Army-Kirche ein paar Songs auf, und am Freitag, den 13. (was sonst), brach er mit seiner Band unter dem Motto "We love the industrial cities" zu einer Mini-Tour durch die "Midlands and beyond" auf.
Sein vorletzter Tweet war:
"I'm in Nottingham. Most violent city in UK I'm told. Come see me play!"

Robert Rotifer
Nach dem Gig fuhren Darren und sein Schlagzeuger David Sheppard (übrigens der Autor dieser Brian Eno-Biographie) mit dem Bandbus auf Suche nach einem legalen Parkplatz für die Nacht.
Sie verfuhren sich im Einbahnsystem von Nottingham und verließen ungewollt das Stadtzentrum. Darren musste kurz einmal austreten. Als er wieder zurück zum Auto kam, tauchte "a gang of hoodies like fresh from Central Casting" (Dave) aus dem Nichts auf, begann erst Geld zu verlangen, dann Darren als "fag" zu beschimpfen.
Ein paar stürzten sich auf Dave, der mit Schlägen in den Bauch davon kam, die anderen zerrten Darren aus dem Bus auf den Boden und traten auf ihn ein.
Als die Angreifer - so schnell wie sie gekommen waren - wieder verschwunden waren, lag Darren blutüberströmt auf dem Asphalt. Dave rief die Polizei, die rief die Rettung. Die Notaufnahme von Nottingham an einem Freitagabend, sagt Dave, sei "a war zone". Was die Ärzte dort jedes Wochenende vollbrachten, sei unvorstellbar.
Gestern bekam ich ein SMS von Darren:
"Recovering. Fractured skull apparently. Shit."
Gleichzeitig wissen wir aber alle, dass er doch auch Glück im Unglück hatte. Die Typen hätten Messer oder Pistolen ziehen können. Ein Haarriss im Schädel ist noch besser als das, was so viele andere abkriegen, die zur falschen Zeit in die falsche Gasse abbiegen.
Ich werde es mir ersparen, hier aufgrund dieser Gewalttat irgendwelche Schnellschussstatements zum Zustand der britischen Gesellschaft oder der Stadt Nottingham abzugeben. Aber als einer, der selbst (in Wien) ähnliches erlebt hat, kann ich mir das totale Gefühl der Verwundbarkeit vorstellen, das man empfindet, wenn einmal der ungeschriebene Zivilisationvertrag unter Menschen auf solch willkürliche Weise gebrochen wurde.
Ich hoffe immer noch, dass Darren nach Wien fahren kann. Wenn nicht, könnt ich es ihm nicht verdenken. Ich bin froh, dass eines der klügsten Hirne des britischen Pop immer noch so funktioniert wie zuvor. Er ist ein harter Brocken.
PS: Meine heutige Ausgabe von FM4 Heartbeat, inklusive der neuen John Peel Sessions-Comp "Kats Karavan", Local Natives, Fool's Gold, Paper Bird, Memory Tapes, Githead u.a. wird Darren Hayman gewidmet sein. Außerdem spiel ich noch ein Interview mit Woods aus Brooklyn, die ich letzten Mittwoch zusammen mit Espers und den Cave Singers in Canterbury spielen gesehen hab.

Robert Rotifer