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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 8. 2009 - 00:12

Fußball-Journal '09-69.

Ein Europacup-Abend der besonderen Art: im Modus der neuen Zufriedenheit mit der Augenhöhe.

Hier die Nachlese und Statistik zu den drei Donnerstags-Spielen.

Und die Belohung kommt in vielerlei Form: für Rapid ist es mit Aston Villa ein Prachtlos (und: es gibt nix zu verlieren), für die Austria mit Metalurg Donezk und für Sturm mit Metalist Kharkiv/Charkow sind es zwei ukrainische Gegner, zwei Vereine, die von mittelklassigen Oligarchen aufgepäppelt werden. Und auch Salzburg bekommt mit Maccabi Haifa einen Play-Off-Gegner in Augenhöhe.

Sie kann tatsächlich körperlich wirken, die Art von Spannung, die einen überfällt, wenn das echte Leben Unvorhersehbarkeit garantiert, anders als die geskriptete Fiktion. Und da ist, neben den Wahnsinnigkeiten des echten, privaten Lebens, ganz klar der Sport (und hier an vorderster Stelle natürlich der Fußball) der allerbeste Bereitsteller solcher Nervenkratzer.

Sie baute sich langsam auf an diesem Abend im Wiener Horr-Stadion, als sich Mitte der 2. Halbzeit eine große und lastende Frage über den Ort legte: ob sich die Austria Wien aus der Bredouille, in die sie von den zwei Auswärtstoren ihres Gegners aus Novi Sad gebracht wurde, noch rauswinden könnte.
Und sie war bis in die Nachspielzeit hinein spürbar, ehe alles in einem absurden Empty-Net-Goal endete.

Sie setzte sich weiter fort, als die wenigen, die Blick auf einen der TV-Monitore im Stadion hatten, dann die Verlängerung auf Zypern mitverfolgten und dort einen Extra-Time des Wahnsinns erlebten, einen dieser nur in großen Verlängerungen vorkommenden Momente, wo die Kraft nachlässt, das Blut aus dem Kopf in die Beine fährt und dann nur noch der Instinkt regiert, sämtliche Vorgaben über den Haufen geworfen werden und Kleinigkeiten entscheiden können.
Insofern war Trimmels Tor in der 111. Minute nicht einmal eine Erlösung, sondern nur das folgerichtige Finale, das einen wegen der Unruhe, die er verbreitete, anstrengenden Abend dann halbwegs ruhig ausklingen ließ. Denn nach dem 2:2 war klar: alle drei österreichischen Teams die in der Europa-Leage antraten, kommen eine Runde weiter.

Knappe Siege auf Augenhöhe sind was wert

Und das ist nicht nur wichtig, weil dieses Saison sehr sehr gut werden muss, wenn Österreich den etwa 20. Ranking-Platz auch nur halten will (und das wäre schon verdammt bedeutsam), das war auch durchaus gerecht. Wegen des Momentums, das in den letzten Wochen dafür gesorgt hat, dass sich die heimischen Spitzenteams endlich richtig einzuschätzen verstanden. Und aus dieser neuen Einstellung, die endlich Gegner in Augenhöhe als Gegner in Augenhöhe akzeptiert und nicht als Bloßfüßige, die man wegwerfen müsste, fehleinschätzt.

Deswegen hätte es auch ideell gar nicht so viel ausgemacht, wenn Austria oder Rapid knapp gescheitert wären. Das kann bei Duellen in Augenhöhe passieren - und es wäre in beiden Fällen kein strukturelles Versagen gewesen.

Absurderweise hat meine diesbezügliche Pre-Saison-Einschätzung bei einigen Lesern Kritik der Sorte "zu weich" hervorgerufen.
Ich weiß, dass einige es begrüßen würden, wenn ich die Rolle dessen, der wie der Pawlowsche Hund automatisch dagegen-redet, einnehme.
Das jedoch ist nicht der Sinn der Sache, dieses Fußball-Journals. Wer bewußte Zuspitzung und frühzeitiges Aufmerksam-Machen mit redundanter Dauerstänkerei verwechselt, hat nichts kapiert.

Die beiden Vereine haben - ebenso wie Sturm Graz, die nach dem Hinspielsieg bei einem deutlich zu schwachen Gegner keine wie immer gearteten Probleme hatten - sich im Rahmen der Möglichkeiten sinnvoll verstärkt und einzelne Schwachpunkte ausgebessert.

Die Austria etwa ist merkbar in fast jeder Position gut besetzt; mit den früher oft fast gegeneinander spielenden Mannschaftsteilen und den daraus folgenden üblen internationalen Auftritten der letzten drei Jahre hat das nichts mehr zu tun.

Bak wirkt halt wie ein Slaven Bilic auf Dope. Und ob Ortlechner als linker Verteidiger auf seiner Optimalposition spielt, möchte ich trotz seiner tollen Assist-Flanke heute nicht mit Blut unterschreiben, aber sonst... Sogar Acimovic kann sich keine Durchhänger mehr leisten, die wegen des druckvollen Junuzovic neben ihm viel mehr auffallen würden als im vergangenen Jahr mit dem schlappen Bazina.

Die Kultur des Umgangs mit den internationalen Auftritten

Und zu Rapid möchte ich, weil ich ja nur die irrwitzige Verlängerung gesehen habe, nur eines sagen: das Tor fiel nachdem man den Kapitän endlich in die Mitte gezogen hatte und mit Trimmel und Drazan zwei echte Flügel auf dem Feld hatte - und nicht wie davor den Alibi-Hofmann.
Pacult traut sich das, die beste Formation seiner Mannschaft, kaum jemals auf den Platz zu stellen - nur dann wenn der Hut brennt. Immerhin, bei ihm bin ich ja schon mit kleinen Erkenntnissen zufrieden.

Salzburg hat ja auch das Augenhöhe-Problem: dort weiß man nicht wer man ist und wo man steht. Einzig die Tatsache, dass die Mannschaft trotz dieser Schuld des Managements und dem anderen Komplett-Versagen der Leitung, nämlich der inkompetenten Kader-Zusammenstellung und Saisonplanung, eines an sich besseren Gegner auszuschalten vermochte, läßt sie in die Riege der anderen drei Euro-Teams einreihen.

Bis auf die beiden beschämenden Auftritte von Salzburg gegen Dublin und eine bescheidene Sturm-Halbzeit gegen Brijeg war alles im Rahmen, einiges weniger gut, anderes besser, wenig sehr gut (aber das darf ja noch kommen) und vieles halt rein körperlich erregend.

Man hat bislang noch kein EC-Spiel verloren.
Das ist bemerkenswert und darf nicht verlorengehen.

Sollte also morgen das Medium deines Vertrauens oder der Verein deines Herzens nach der mittäglichen Auslosung wieder in den alten Deppen-Modus verfallen und großspurig daherreden oder übertriebene Forderungen an den Tag legen oder gar Gegner unterschätzen, dann wirkt auf sie ein, wie ihr könnt.

Noch wichtiger nämlich als der sportlich gute Lauf ist die derzeitige Kultur des Umgangs mit der internationalen Auftritten: die ist so hochwertig wie lange nicht - und sollte es zumindest bleiben.

So, und hier noch ein PS, das nichts mit dem Sport zu tun hat

Ich habe länger überlegt, ob ich es thematisieren soll. Wenn derlei im popkulturellen Kontext passiert, wenn jemand, sagen wir, beim Springsteen-Konzert sowas über Clarence Clemons sagen würde, hätt ich mich das nicht gefragt - aber letztlich gilt das auch hier. Vor allem dann, wenn der Stadionsprecher vor dem Match eines der offiziellen Motti der UEFA, den Kampf dem Rassismus, vorträgt.

Hinter mir auf der Pressetribüne saß ein Mann hinter seinem Laptop, den ich nicht kannte und auch nicht identifieren mochte oder wollte. Er sprach immer wieder in die Reihe vor, zu dem Kollegen, der neben mir saß.

Unter Fußball-Journalisten wird genauso viel Scheiße geredet wie unter Schauspielern, Atomphysikern oder Investment-Bankern - das ist nichts besonderes.

Ich hab aber dann aufgehorcht, als der Mann hinter mir aus heiterem Himmel von "dem Neger" sprach, der "nix is". Der Mann in meiner Reihe sagte sowas wie "Jo, den san's net los worden." Da war klar, dass man von Momo Diabang sprach, dem Senegalesen mit deutscher Staatsbürgerschaft, einem der weniger erfolgreichen Stürmer der Austria.
Aber vielleicht hatte ich mich ja verhört, dachte ich.

Mitten im Spiel sagte der Mann hinter mir dann: "Der Neger bei denen schaut aus wie der Okocha!". Er meinte Naemeka Ajuru, den nigerianischen Mittelfeldspieler bei Novi Sad.
Und in der Sekunde darauf schrie er "Bravo, Rubin, gemma!"

Interessant, und genauso wie hier beschrieben: Wer ein Mohr ist, und wen man so nennen darf, das bestimmt der dieMehrheitsgesellschaft. Der, den man per Namen identifiziert, wie Rubin Okotie, der ist ein Mensch, ein Individuum. Der, der zu einer fremden Masse, zu Ausländern und Andersartigen gehört, ist der "Neger".

Im übrigen hatte die gesamte Journalistenmeute rund um mich für keinen der Novi Sad-Spieler einen Namen. Das war ein Problem, weil sie sich lange nicht einigen konnte, ob das erste Tor vom Zehna oder vom Anadochzga geschossen worden war (gemeint sind: die Nummer 10, Durovski, und die Nummer 81, Kapitän Mrdja).

Dann tauschte Karl Daxbacher den bereits erwähnten Diabang
für einen anderen Stürmer, den Lieblingsspieler meines Nebenmanns, ein. Was zum Brummer "Coaching-Fehler", aber auch zum Siegtreffer durch, ja genau, Diabang führte.

Diabangs Deutsch ist übrigens besser als das wenig variantenreiche, dumpfe meines Hintermannes. Wahrscheinlich wird er Diabang das nächstemal beim Namen nennen. Nicht weil er die Widerlichkeit seines Rassismus erkannt hat, sondern weil er sich damit am Erfolg des zuvor mit der schlimmstmöglichen Abwertung Bedachten beteiligen kann.

Dass er sich auch noch mit dem Ruf "Oaschloch, gib a Rua!" herrvotat, als der Stadionsprecher auf das Böller-Verbot der UEFA hinwies, würde eigentlich den Schluss nahe legen, dass er, der Mann hinter mir auf der Pressetribüne, ein (im doppelten Wortsinn) verirrter Ultra-Hool gewesen sein muss, zumindest was die Klischees betrifft.
Dass es sich offenbar um einen allgemein bekannten Medienarbeiter handelt, ist so erbärmlich, dass mir jetzt noch schlecht wird.