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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

12. 7. 2009 - 17:06

Lighten Up Morrissey!

Endlich! Morrissey hat erstmals in Wien gespielt. Ein Abend zwischen Charisma und Routine.

Wenn Männer über 40 sich noch einmal in ihre Fred Perry Polos schmeißen und das Gasometer auf sich nehmen, dann kann es sich nur um das erste "richtige" Morrissey Konzert in Österreich handeln. Saint Morrissey, beim FM4 Frequency Festival 2006 noch etwas unschön zwischen Wir sind Helden und Muse gepfercht, konnte Samstag abends seine begnadeten Entertainerqualitäten endlich auch hierzulande ausspielen. Mit seinem aktuellen Album "Years of Refusal" im Gepäck lässt es sich lässig rocken, hat er sich wohl gedacht und dafür eine richtig große, lange Tour veranschlagt, die ihn jetzt sogar an einen entlegenen Ort wie Wien geführt hat.

Rockabilly Glam

Merchandising Stand Morrissey, Wien Konzert Gasometer, 11. Juni 2009

fm4

Merchandise: Das hellblaue T-Shirt wurde am häufigsten gekauft. Gerne auch getragen: das alte Hatful of Hollow Leiberl.

Vor dem Konzert (und nach der Vorgruppe, die ich leider verpasst habe, waren die gut?) laufen die vom Meister handverlesenen Videoschnipsel auf großer Leinwand, die fast das ganze ästhetische Universum aufspannen, aus dem Morrissey, die Figur, gemacht wird. Rares Material von Elvis, New York Dolls, Jobriath, Lou Reed, Sparks etc. läuten ein kompaktes, in jeder hinsicht volles, Konzert ein, das mit dem Smiths Klassiker "This Charming Man eröffnet wird". Die gut eingespielte Langzeit-Begleitband in weißen Kurzarmhemden samt Fliege, optisch zwischen Pizzeria-Kellner und Hooliganmob, legt ihren dichten Rockabilly-Glamrock Teppich, Morrissey singt und füllt den Raum mit großer Geste vom ersten Moment an.

"How Soon is Now" ist einer der alten Songs, die von den neuen Umständen extrem profitieren. Ich behaupte mal, das haben die Smiths nie so hypnotisch hinbekommen. Andere, zartere Songs von Anno-Dunnemal ("Ask") werden so immerhin Großraum-Tauglich, das muss man mögen. Aber ganz bei sich ist der Sänger und die Band ohnehin vor allem beim Material der letzten drei Platten. "Irish Blood English Heart" führt erstmals zum kollektiven Mitsingen. "Let Me Kiss You" und mein geheimer Livefavorit "Life Is A Pigsty" brilliant umgesetzt.

Morrissey und Band

Morrissey

Charisma

Die hysterische Fanverehrung, früher integraler Bestandteil jeder Morrissey Show, hält sich in hiesigen Grenzen. Immerhin überreicht ein Fan aus Luxemburg dem Mozzer eine 7inch Single "Pomme Pomme Pomme" von Monique Melsen, Luxemburgs Eurovision Song Contest Beitrag von 1971. 'Wooow... wooow... Is that really for me?... Wooow, thank you!" Schön.

Routinen

Morrisseys Enigma, seine Unerreichbarkeit für den Kontinentaleuropäer, ist spätestens mit dieser ausgedehnten "Tour of Refusal" Geschichte. Ein gediegenes Konzert war das, schön gesungen, tight gespielt, und doch weht auch ein Hauch von Routine durch das Gasometer. Eine Unze mehr Exzentrik, ein bisschen mehr Unberechenbarkeit hätte schon sein können. Vor allem die zweite Hälfte des Konzerts leidet ein wenig an den schwachbrüstigeren Songs, die einfach so durchrutschen. "I'm Okay By Myself" als letzte Nummer vor der einzigen Zugabe? Da gäbe es doch Spannenderes in my humble opinion. Dass nach der letzten Nummer Frank Sinatra "That's Life" vom Band schmetterte, zeigt vielleicht wohin die Reise des Stephen Patrick Morrissey geht: zum ewigen Entertainer der Weltschmerz-Gemeinde.

Morrissey

EPA

Setlist:

(so wie ich sie notiert habe)

  • This Charming Man
  • I Just Want to See the Boy Happy
  • Black Cloud
  • How Soon Is Now
  • Irish Blood English Heart
  • Ask
  • I Throw My Arms Around Paris
  • Girfriend In A Coma
  • Why Don`t You Find Out For Yourself
  • Some Girls Are Bigger Then Others
  • Let Me Kiss You
  • One Day Goodbye Will Be Farewell
  • Life Is A Pigsty
  • The World is Full of Crushing Bores
  • Sorry Doesn't Help
  • Please Please Please Let Me Get What I Want
  • The Loop
  • I'm O.K. By Myself

Zugabe:

  • The First Of The Gang To Die

Wer war der Mann auf dem Vorhang hinter der Bühne? Es war niemand von den Morrissey-Heiligen wie Yves Saint Laurent, Pasolini oder Oscar Wilde, und auch nicht Lino Ventura. Um sachdienliche Hinweise wird gebeten.