Erstellt am: 21. 6. 2009 - 18:27 Uhr
Race Across America
Wer schläft, verliert
1.050 Meilen ganz lässig in vier Tagen
Die Höhen und die Tiefen
Rookie of The Heart
Die Leiden des jungen Chris
Chris Cummins versucht sich am Transgermany Bike Race
"Welcome to Mew Mexico, Land of Enchantment." Rote Pfefferoni verzieren das in Holz gerahmte Schild rechts und links. Die Kameramänner filmen die weiten Ebenen unter einem Schirm. Es ist Samstag, 20. Juni, 7 Uhr früh. Leichter Nieselregen, grauer Himmel, 11 Grad. Und Gegenwind. Der stört beim Autofahren nicht, beim Radfahren umso mehr. Und das dominiert unser Denken und Handeln seit mittlerweile vier Tagen. Wobei die Begriffe Tag und Nacht längst verflossen sind. Pro 24 Stunden schlafen wir durchschnittlich drei bis vier Stunden.
Christoph Strasser hat in diesen vier Tagen insgesamt gerade mal fünf
Stunden geschlafen. Die restliche Zeit ist er Rad gefahren. Extremrad gefahren. Von Kalifornien nach Arizona, Utah, Colorado und jetzt New Mexiko. Er tritt konstant und mit einer unglaublichen Geschwindigkeit.

Alexander Karelly
Christoph nimmt beim Race Across America (RAAM) teil, dem härtesten und schwierigsten Radrennen der Welt.
Ein Rennen von der West- zur Ostküste, einmal quer durch Amerika – in maximal zwölf Tagen. Die meisten männlichen Solofahrer sind zwischen Mitte Dreißig und Mitte Vierzig. Christoph ist mit seinen 27 Jahren weitaus der Jüngste. Dennoch kann der Sprecher beim Start in Oceanside bei ihm mehr bisherige sportliche Ergebnisse aufzählen als bei vielen anderen: u.a. ist er Ultraradmarathonweltmeister.
Das findet selbst David Goggins "awesome", der amerikanische Fitnesstraum, der den Countdown zum Start zählt. Eben noch übergewichtiger Bürohengst, dann statt Burger und Cola Fitnesscenter und Musclemilk und jetzt kann er sich vor lauter Muskeln kaum mehr natürlich bewegen. Er tut das auch nicht gerne: Fahrradfahren, Laufen oder Schwimmen. Aber er muss leider. Er muss für einen guten Zweck.
Bei Christoph ist es anders, er will das, er fährt mit einer ehrlichen Begeisterung. Das Radfahren bereitet ihm richtige Freude - selbst nach hunderten Kilometern.

Alexander Karelly
Beim RAAM ist er zum ersten Mal dabei - ein Rookie - mit einem elfköpfigen Begleitteam - ebenfalls lauter Rookies.
Ein Mentaltrainer, ein Arzt und ein Physiotherapeut sowie ein Radmechaniker, ein Betreuer, ein Koch, ein Fahrer, ein Fotograf und zwei Kameramänner. Die meisten sind seit Jahren mit Christoph befreundet, haben ihn schon bei vielen Radrennen begleitet, aber keiner weiß, wie es sich anfühlt, 10 Tage auf engstem Raum in einem Auto zu sitzen, übermüdet und angespannt in einem Team funktionieren zu müssen. Aber jedem ist bewusst, dass Schlafmangel zu Aggression, dass diese Extrembelastung zu unschönen Reaktionen führen kann.
Deswegen werden auch Partnerinnen und Familienmitglieder nicht mitgenommen.
"Du wirst Dinge sehen und hören, die du lieber nicht erleben möchtest.", meint der Radmechaniker trocken.

Alexander Karelly
Davon ist noch nichts zu spüren, die Stimmung im Team ist bestens, noch besser allerdings Christophs Leistung. In den ersten 48 Stunden ist er rund 700 Meilen gefahren. Von Oceanside über den Merritpass in Kalifornien nach Arizona, durch die Wüste nach Utah. Von dort weiter durch das Monument Valley und Nationalparks in Colorado. Und jetzt eben New Mexiko.
Die Landschaften sind überwältigend. Orangenhaine, Wüste, bizarre Steinformationen, gewaltige Gebirgsmassive. Christoph ist ebenso begeistert wie das Team.

Alexander Karelly
Das einzige, was überhaupt nicht funktioniert, ist die technische Kommunikation untereinander. Die Funkgeräte sind zu weit auseinander, Handyempfang ist so gut wie nie und Internetzugang finden sich nur bei großen Shoppingmalls. Endlich weiß man, warum Cowboys so einsam sind.
Die drei Autos können kaum miteinander kommunizieren, Verbindungen nach außen sind ebenso schwierig. Gerade in der Nacht verlieren sich die Autos immer wieder. Christoph gibt das Tempo vor, mit dem Wohnmobil wird eingekauft, das Medienauto fährt die Strecke voraus, filmt und fotografiert Christoph beim Vorbeifahren, um dann wieder vorzufahren. Findet sich irgendwo Internet, werden die Videos, die täglich produziert werden, online gestellt. Für private Kommunikation bleibt keine Zeit.

Alexander Karelly
Hinzu kommt, dass die Strecke nicht ausgeschildert ist. Die Fahrt von Timestation zu Timestation gleicht einer Schnitzeljagd. Mit Hilfe eines Roadbooks und Straßenkarten wird die Strecke gesucht. Auf 238 Seiten finden sich auch unzähligen Regeln und Vorschriften, die zu beachten sind. In welchem Abstand wo wann was gemacht werden darf. Ein Missbrauch bringt 10 oder 15 Strafminuten, die dann kurz vor dem Ziel vom Fahrer abgesessen werden müssen. Sechs Strafen bedeuten ein Vorzeitiges Ende.

Alexander Karelly
Christoph hat bereits in der ersten Nacht eine Strafe erhalten. Ein Race-Official hat ihn und das Medienauto gestoppt, weil letzteres ohne aufgeklebtem Warndreieck und mit nur einem Drehlicht unterwegs gewesen sein soll. Das Warndreieck war aufgeklebt, das Drehlicht eine falsche Interpretation einer Regel. Bis der Race Official die Sache allerdings geklärt hatte und Christoph weiterfahren durfte, waren über 20 Minuten vergangen. Nach dieser ersten Strafe musste Christoph die Führung wie erwartet an den Topfavoriten, den Slowenen Jure Robic, abgeben. Der fährt einer Maschine gleich von Anfang an in einem unglaublichen Tempo allen davon. Jure ist für seinen harten Stil und seine Taktik bekannt - immer volles Tempo - keine Pausen - harter Drill. Seine Crew trägt Camouflagegewand und es wird im Befehlston kommuniziert. Andere Fahrer setzen auf einen gemäßigten Start, auf regelmäßige Pausen oder auf ganz genaue Messungen der Körperfunktionen, die dann den Rhythmus vorgeben. "Man kann das Rennen nicht am ersten Tag gewinnen, aber man kann es am ersten Tag verlieren.", erklärt einer der Officials.
Christoph hält sich als einziger Rookie sehr gut im Vorderfeld mit den anderen Profis Dani Wyss aus der Schweiz und Marko Baloh aus Slowenien. Natürlich sind sich er und die Crew bewusst, dass sich da noch vieles ändern kann.
Neben der körperlichen Anstrengung ist das RAAM eine mentale Herausforderung. Die Motivation scheint bei Christoph enorm zu sein – auch noch nach 1.000 Meilen grinst und strahlt er, wenn man an ihm vorbeifährt.

Alexander Karelly
Die Timestation von Taos. Das Ziel des Race Across The West. Der Regen ist stärker geworden. Jemand munkelt etwas von Tornadomeldung. Christoph hat einen starken Einbruch – braucht eine Pause – die erste große Krise - jetzt beginnt das Rennen wirklich.