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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 6. 2009 - 18:19

Fußball-Journal '09-45.

Fakten zur Lage. Wie die neue Große Koalition den heimischen Fußball in neue Untiefen steuert.

Morgen Sonntag startet der Confederations Cup das Vorbereitungs-Turnier auf die WM 2010 in Südafrika. Dort gibt's auch etliche Wolken, aber Hoffnung. Und mit den National-Mannschaften von Italien, Spanien oder Brasilien ist man gut besetzt. Die USA sollte man noch beachten, mit Ägypten und Irak sind zwei kriselnde Kontinental-Meister dabei. Und die Bafana-Bafana muß sich endlich einmal beweisen.

"Die dunkle Wolke der Verzweiflung liegt über diesem Land", sagte Fred Schreiber Mittwoch abend. Und meinte damit in erster Linie die Situation der zunehmenden moralischen Wehrlosigkeit, die die aktuelle gesellschaftspolitische Debatte überlagert. Dass wir beide im Laufe unseres Gesprächs dann auch über Fußball geredet haben, liegt in der Natur der Sache, also unserer Natur. Und es passt, weil sich auch hier zunehmend ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit breitmacht.

Fred ist zugewandeter Münchner, seit Geburt ein Sechz'ger und über den deutschen Fußball sozialisiert. Er hat sich immer auch für das, was hier, in der Wahlheimat passiert, interessiert, verfolgt es und kennt sich aus, aber warm geworden mit dem Austro-Kick ist er nie. Und er meint, es sei ihm angesichts der jüngsten Wirrnisse wieder klar geworden, warum: "Ich habe ein Problem mit der Struktur."

In seinem schönen, bei Piper erschienenen Buch Gebrauchsanweisung für Österreich schreibt Heinrich Steinfest über das Wesen des Fußball-Funktionärs:

"Er besitzt eine vampirartige Mentalität. Er saugt Dinge und Personen aus, um sie gleich drauf wieder aufzupäppeln. Solcherart erntsteht ein Hin und Her der Ausbeutung und Aufzucht.

Der Funktionär versteht sich als Oberhaupt der Familie. Seine eigentliche Aufgabe ist weniger von Bedeutung. Auch seine mögliche Inkompetenz. Zum Vater ist man geboren, dazu braucht man keine Ausbildung in Pädagogik.

Da nun aber unglücklicherweise ein Fußballverein über einen ganzen Haufen von Funktionären verfügt, die alle ihr Blut brauchen, ist die Belastung für den einzelnen Spieler beträchtlich."

Nun ist Fred kein kühler Intellektueller, der Sätze, in denen Worte wie System oder Struktur vorkommen müssen, nur so raussprudelt. Dazu argumentiert er sonst zu konkret, zu direkt, Fred verwendet Begriffe wie "Struktur" nur in echter Notwehr.

Dass das selbst ihm, der dem heimischen Fußball mit einer gewissen Distanz gegenübersteht, die seine Haltung rationaler und unemotionaler macht, an die moralische Substanz rückt, ist ein bedrohliches Zeichen.

Zeichen und düstere Wolken

Natürlich war in Fußball-Österreich alles schon einmal noch schlimmer: Die düsteren Jahre nach Gijon, die Pleiten-Serie nach der Kartnig-Katastrophe. Bloß gab es da immer zumindest einen Teil-Bereich, der funktionierte. Wenn das Team ausließ, war die Liga da oder umgekehrt; oder, wenn - wie ja leider auch oft genug passiert ist - beide darniederlagen, gab es einzelne Highlights, erfreuliche Überraschungen.

Die sind immer noch da, aber nur noch sehr punktuell.

Und die Gesamtstimmung wird durch die verheerende neue Große Koalition von Liga und ÖFB überlagert, deren Kurs in der diese Woche beschlossenen Liga-Reform manifestiert wurde: Es ist ein Kurs der kurzfristigen Interessen, ganz im Sinn der Steinfest-Beschreibung, die hier seitlich rechts zu lesen ist.

Selbst zu Zauder-Friedrich Sticklers Zeiten hatte man wenigstens noch das Grundgefühl, dass dem Stronach-Wahnsinn der Liga ein ausgleichender Faktor entgegenstand. Das ist vorbei, jetzt unterliegt Österreichs Fußball einer Herrschafts-Struktur wie der der Kaczynski-Zwillinge. Wenn der anstehendeParty-Termin im Prater Lusthaus (Thema: 100 Tage ÖFB-Präsidentschaft) dazu führt, dass eine lang geplante Sitzung über die Zukunft des österreichischen Fußballs husch-pfusch durchgezogen wird (samt Verfahrensfehlern), dann ist das Bild der dunklen Wolke durchaus angebracht.

Fakten

Österreich ist die Nummer 70 der Weltrangliste, besser als noch vor einigen Monaten, als man um Platz 90 herumdümpelte. Innerhalb Europas steht das Nationalteam aber unverändert schlecht da: Auf Platz 35 (von 53).

In der WM-Qualigruppe geht es um Platz 4 hinter Serbien, Frankreich und Litauen.
Für die nächste Euro-Qualifikation droht Topf 5.

Aus dem Freilos für die Heim-EM hat Österreich sportlich so gut wie nichts gemacht, vor allem in Hinsicht Nachhaltigkeit ist die Euro versickert wie ein kurzer Sommerregen. Stichwort: Stadienrückbauten.

Die Anstrengungen, den ÖFB-Trainerstab schrittweise an europäisches Niveau anzupassen, werden nach der Euro ebenfalls systematisch zurückgebaut. Man vertraut einem Feuerwehrmann mit Kurzfrist-Anspruch und ohne Vision.

Hier die Info-Site zur Unter 21- EM. ARD/ZDF übertragen die deutschen Spiele, das DSF auch noch ein paar andere mehr live.

Die U21-Euro, die am Montag in Schweden startet, hat sich das durchaus begabte heimische Team nicht qualifiziert, weil die Barrage-Spiele gegen Finnland von einer Parodie auf einen Coach taktisch vergeigt wurden.
Der Verantwortliche wird mit einer Beförderung belohnt.

Die Qualifikation des U17-Jahrgangs für dessen EM ging auch verloren, wiewohl diesem Jahrgang die besten Aussichten seit Jahren zugebilligt werden.

In der UEFA-5-Jahreswertung für 2010/11, die ausdefiniert, wann und wie Österreichs Teilnehmer in die Champions und Euro-League eintreten, findet sich Österreich aktuell auf Platz 20. Die diese Saison erkämpften Punkte werden in der Folge die 7.625 aus der Saison 04/05 ersetzen, dem letzten guten internationalen Jahr. Den Schnitt der vier Saisonen danach hochgerechnet, wird Österreich danach etwa auf Rang 27 durchgereicht werden - weil keine Nationen hinter uns vion einem ergleichbaren Polster zehrt.

Verhindern kann diesen Absturz nur eine gute Europa-Cup-Saison mit z.B. dem tatsächlichem Erreichen einer Gruppen-Phase.

Dagegen arbeiten die heimischen Top-Vereine durchaus heftig: Salzburg ersetzt wieder direkt vor einer entscheidenden Quali sowohl Philosophie als auch Coach gewechselt; Rapid sprengt sich gerade selber in die Luft.

Die Bundesliga verliert sich im Glauben, dass eine geschönte Statistik bessere Qualität bedeutet.

Die verantwortlichen Funktionäre sprengen ohne Not die dritte, halbwegs gut funktionierende Leistungssstufe um die zweite, klinisch tote in künstlichem Koma zu halten, in dem sie nicht einmal Premiere/Sky begleiten wollen. Hauptgrund: Die großen Clubs wollen dort ihre B-Teams parken.

Die heimischen Trainer sind nicht exportfähig: Kein einziger österreichischer Coach ist in einer ansatzweise relevanten Liga unter Vertrag.

Positiva

Der Fußball-Nachwuchs gibt nicht auf.

Ein (von heimischen Trainern, deren Relevanz bereits behandelt wurde) Aufgegebener spielt im internationalen Transfer-Roulette eine Rolle.

Von einzelnen seriös im Nachwuchs-Bereich tätigen Ausbildnern mit zeitgemäßer Moral geimpfte Nachwuchs-Spieler zeigen dann, wenn man sie einsetzt (was in der Liga aufgrund von Gefälligkeiten gegenüber Beratern, Managern und anderen Mitschneidern oft nicht möglich ist), dass sie die alte Garde nicht nur ersetzen, sondern längst übertrumpfen (Pehlivan, Dragovic, Jantscher, Beichler... ).

Fast jeder junge Spieler, der ins Ausland flüchtet, hebt sein persönliches Niveau.

Im ÖFB-Nachwuchs wird nach dem Abgang der alten Garde (Gludovatz, Hitzel) und der populistischen Hereinnahme von Teilzeit-Kräften, die ihren Job nur als Sprungbrett betrachten, nun wieder an einem neuen Gesamt-Konzept gebastelt.

Der Nachwuchs einzelner Traditionsvereine (Sturm, Rapid, Austria, Admira) leistet ebenso wie einzelne Akademien und Leistungszentren (Linz, Salzburg und St.Pölten) grandiose Arbeit.

Aussicht?

Nur: Sich auf die Qualität des Nachwuchses zu verlassen, das funktioniert schon seit Jahren nicht. Wo sich eine Struktur wie die hiesige so verselbstständigt hat, dass die meisten Medien-Beobachter ihre Blödheiten sogar dann einfordern, wenn sie einmal zufällig nicht gegriffen haben (weil sie und auch eine Mehrzahl der Fans den galoppierenden Unfug für wichtig halten - allein aufgrund der Tatsache, das er immer schon da war), wird diese Hoffnung allein zu wenig sein.

Die Liga-Reform wird womöglich an der husch-pfusch-Unfähigkeit der ÖFB-Spitze scheitern - man hat die Aufstiegsregelung nicht im Sinn der Bundesliga (die die Reform noch absegnen muss) bedacht. Da bremsen sich die, die nur den eigenen kurzfristigen Vorteil im Sinne haben, die Funktionäre im Steinfest'schen Sinn, dann selber aus.

Fred will im übrigen erstmals nicht nur zufällig Bundesliga-Spiele anschauen gehen. Finde ich gut und richtig. Einfach weil man nichts aufgibt, was man liebt, an die düstere Hoffnungslosigkeit, die eh schon allzu viel verschlungen hat.