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Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

31. 5. 2009 - 18:26

Urban Art Forms

Von der absoluten Notwendigkeit, sich ohne Rücksicht auf Verluste die Birne weichzumachen.

Na servus.

Das Urban Art Forms Festival

Was haben diejenigen gestern gefroren, denen stundenlanges Durchtanzen aufgrund geistiger (hearst, für was gibt's ein ChEck iT Standl dort drüben!) oder körperlicher (hat jemand im langen und harten Winter schon wieder nix anderes als Pökelfleisch in der Speisekammer gehabt?!) Einschränkungen nicht möglich war. Brrr! Aber auch ein bissi selber schuld. Haha.

Es hat am Pfingstsamstag im Burgenland geschneit. So vom Himmel und so! Echt! Ur kalt!

Es war auf jeden Fall ein Riesenspaß. Bei der gestrigen Cocoon-Nacht hat Sven Väth so lang ausgehalten, dass du sogar den ersten Zug vom Bahnhof Wiesen-Sigleß in der Früh verpasst hast. Immerhin war dann genügend Zeit, sich diejenigen Bilder anzuschauen, an die sich zwar deine Kamera erinnert, aber du nicht.

ausgelassene Partygäste. ein junger mann in Lederjacke reißt die Arme hoch.

Jakob Polacsek

Urban Art Forms Video
Impression vom frühen Samstagabend

Credits:
Matthias Wiedmann (Kamera, Schnitt, Logoanimation)

Das Urban Art Forms Festival in Wiesen war zu seiner Anfangszeit noch ein fast ein reiner Drum'n'Bass-Rave mit ein paar Nebensächlichkeiten für die Abwechslung in den drei Tagen, wie rude in den Postings zur Kraftwerk-Geschichte anmerkt.

Inzwischen entwickelt sich die einstige Mogelpackung zur Kokainüberraschung: Es werden tatsächlich verschiedene Aspekte von Kunstformen abgebildet, die zumindest ihren Ursprung in urbaner Kultur haben. Neben der obligatorischen Drum'n'Bass-Party steigen im Psytrance-Zelt total shanti Goa-Feste und auf der Hauptbühne geben einander verschiedene Spielarten von Techno und elektronische Liveacts das Mikro in die Hand.

Jetzt sind Drum'n'Bass und Psytrance zwar für ihre treue und beinahe sektiererische Anhängerschaft gefürchtet, aber in den letzten Jahren nicht durch besondere Innovation oder bemerkenswerte Fusionen mit anderen Spielarten der (Club-)Kultur aufgefallen. Macht nix: für den aktuellen Wahnsinn haben wir ja zum Glück das Springfestival letzte Woche gehabt.

Es folgen: ungeordnete Beobachtungen zu zwei Tagen Urban Art Forms Festival.

Das Urban Art Forms Festival besitzt ja nicht umsonst einen Parkplatz und einen Campingplatz und die Lizenz zum Sich-(weit weg von den Eltern)-die-Birne-Weichmachen. Da sind die Prioritäten klar.

Ein Mann springt wie ein Frosch in die Luft.

Johannes Rigal

Von der absoluten Notwendigkeit, sich ohne Rücksicht auf Verluste die Birne weichzumachen

Deichkind sind die Antithese zu Kraftwerk. Während gestern stilles und andächtiges Lauschen inklusive traurigem Sinnieren über lang vergangene Aufbruchs- und Fortschrittsfantasien angesagt war, holt uns die Electric Super Dance Band auf den alkoholgetränkten Boden der gegenwärtigen Zukunft zurück.

Arbeit nervt, deswegen schlagen wir Krawall und Remmidemmi. Letzteres passiert als letzte Zugabe, und dass es sich eine Band leisten kann, überhaupt keinen Text zu singen, weil das komplett ausgeflippte Publikum jeden einzelnen Einsatz im Schlaf und jedes Wort richtig aussprechen kann, hab ich überhaupt noch nie erlebt. Ich erinnere mich an Acid-Konfetti-Regen, an Hüpfburg- und Schlauchbootrallyes über (beziehungsweise auf) unseren Köpfen.

Deichkind werfen nicht wie Kraftwerk die Technik in die Waagschale, um dem Körper eins auszuwischen, sondern umgekehrt. Dem konstruktivistischen Ansatz der Mensch-Maschine stellen sie einen infantilen Naturalismus gegenüber: Geschrei, buntes Gewand, ein lustiger Kindergeburtstag. "Hoch die internationale Säufersolidarität! Betäube dich! Lass das Tier in dir raus!"

ein Mann hat die Hände über dem Kopf und streckt die Zunge raus.

Johannes Rigal

Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder:

Goa.

Arthur Einöder / radio fm4

Arthur Einöder / radio fm4

Sven Väth, Digitalism, Extrawelt

Sven Väth checkt in der Nacht von Samstag auf Sonntag einen würdigen Abschluss des Festivals. Und von wegen Arbeit nervt! Hätte klein Sven nicht in der Disco von Papa und Mama Väth schon als Kind ausgeholfen, wer weiß, was aus ihm geworden wäre? Die zweite Nacht feiert sich wesentlich relaxter als die erste.

Eine Diskokugel, die aussieht wie ein Kürbis aus Leinwand.

Arthur Einöder / radio fm4

Heute, Sonntag, steigt in der Passage in Wien übrigens die offizielle Aftershowparty mit Moonbootica. Tickets mit UAF-Bandl um nur 13 Euro.

Tags zuvor, bei Digitalism, war die Endzeitstimmung zwar erheblich heißer am Kochen, aber irgendwie waren ständig äußerst eigentümliche Tanznachbarn rund um mich herum. Vielleicht war ja auch die Effekthascherei im Set von Digitalism Schuld an unkoordinierter Emesis und daran, dass sich Menschen beim Vorbeidrängen immer an deinen sekundären Geschlechtsmerkmalen festhalten müssen, weil sie genau in diesem Moment sonst umzukippen drohen (interessanterweise hauptsächlich, wenn du ein Mädchen bist: warum, muss ich erst herausfinden).

Das Sven Väth Set war da viel angenehmer. In sich wunderbar geschlossen, dezente und sehr kurze Breaks, schöner und purer Techno: ideal, um in den Sonntag hineinzutanzen. Die Hamburger Extrawelt zuvor hat ihren Sound etwas minimaler angelegt, dafür haben die venezianischen Karnevalskostüme der Tänzerinnen auf der Bühne mehr hergegeben als das, naja, zweckmäßige (?) Outfit der VIPs, die sich Onkel Svenne zu seinem Auftritt auf die Bühne geholt hat. Schade nur, dass die meisten angesichts von Kälte und Uhrzeit zu diesem Zeitpunkt schon die dancing shoes gestreckt haben, und der Höhepunkt der Cocoon-Nacht über eine halb leere Hauptbühne geht.

ausgelassene Stimmung in der ersten Reihe. Menschen haben die Hände in der Luft.

Jakob Polacsek

Moguai, Deadmau5

Das Urban Art Forms Festival auf fm4.ORF.at

Eine echte Überraschung war Moguai am Nachmittag. Sein Set hat die einzigen Sonnenstrahlen des Festivals abbekommen, was der Party durchaus gut getan hat. Als er dann auch noch komplett unpeinlich Mariachibläser in sein sehr kompaktes und deepes Techno-Set einbaut, um die Sonne (=Captain Planet?) zu begrüßen, hat der Deutsche mit dem Talent für den Spannungsbogen am Nachmittag mein Herz endgültig erreicht. Wir Tänzer vom Grashügel danken dir hiermit.

DJ Deadmau5 mit seinem Helm. Er steht hinter dem Mischpult.

Jakob Polacsek

Interessant auch, wie Deadmau5 in der Nacht zuvor die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Der Kanadier trägt einen Helm mit überdimensionierten Mickymausohren, was sich beim Mischen wohl als gewisses Handicap erweisen dürfte. Anders als auf seinen Remixes und eigenen Produktionen hält Deadmau5 als DJ nicht viel von Electro House mit zerhackten Bässen und gespenstischen Cut-ups, sondern vertraut auf beinahe trance-artige Sounds.

Und sonst noch?

Meine To-Do-Liste für die kommende Woche:

x) Mein Handy aus dem Burgenland holen

x) Das Dubfire-Set im Mitschnitt von FM4 La Boum de Luxe anhören

Die hässlichen Fotos sind von mir. Die Kraftwerkfotos hat Johannes Rigal gemacht. Die anderen sind von Jakob Polacsek. Vielen Dank!

x) Auto zur Innenreinigung

x) Endlich ein neues Nummernschild besorgen

x) Schuhe wegwerfen

x) Sich mal wieder mehr mit Drum'n'Bass beschäftigen

x) Schlafen