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Ballesterer FM

Artikel aus dem Magazin zur offensiven Erweiterung des Fußballhorizonts.

6. 5. 2009 - 15:53

"Das Lied war überfällig"

Campino im ballesterer-Interview über Bayern-Schmähgesänge der Toten Hosen und Polizeischutz bei Konzerten in Bayern.

Vor zehn Jahren erreichten Bayern-Schmähgesänge dank der Toten Hosen auch die Hitparade. Hosen-Sänger Campino sprach mit dem ballesterer über Wurstladungen von Uli Hoeneß und Polizeischutz bei Konzerten in Bayern.

Campino

FM4

Das Interview von Jakob Rosenberg und David Forster erscheint auch in der neuen ballesterer-Ausgabe Nr. 42 (Mai 2009)

ballesterer Cover, Ausgabe 42

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ballesterer: In "Bayern" singst du, die Ablehnung des FC Bayern München sei die einzige Sicherheit im Leben.

Campino: Ja, aber als Supporter von einem drittklassigen Verein (Fortuna Düsseldorf, Anm.) sind wir wie der Hund, der den Mond anbellt. Ich sehe darin nichts Aggressives. Wir hätten das Bayern-Lied vielleicht nicht gemacht, wenn wir Anhänger von Werder Bremen oder dem VfB Stuttgart wären, die sich mehr auf Augenhöhe der Bayern befinden. Mit Fortuna sind wir ja in keiner Weise eine Konkurrenz für den FC Bayern. Obwohl man uns mit dem Lied nicht ernst nehmen musste, hat die ganze Republik aufgelacht.

Aber war es nicht zu billig, so ein Lied aufzunehmen – immerhin hasst der Großteil der Fußballfans den FC Bayern?

Es war definitiv kein populistisches Lied. Bringt die Single mal raus und geht damit auf Tour, dann werdet ihr sehen, was passiert. In der damaligen Saison waren Hundertschaften von Polizei jeden Abend hinter der Halle, weil sich ständig irgendwelche Hooligans angemeldet hatten, um sich zu revanchieren. Der Angriff auf den FC Bayern München wirkte heftiger, als wenn wir den Papst beleidigt hätten. Da war eine ganz andere Schlagkraft dahinter, und wir haben uns wirklich nicht gerade beliebt gemacht. Man wundert sich, wo überall Bayern-Fans sitzen – beim Radio, beim Fernsehen, bei der Polizei, in jeder Berufsgruppe. Aber es ist ein Lied, das irgendwie überfällig war. Einer musste den Job machen, es hat sich bisher kein anderer gefunden, also haben wir es getan.

Ihr habt euch quasi geopfert?

(lacht) Ja, wir haben uns für die gute Sache ins Zeug gelegt. Dafür müssen wir auch in Kauf nehmen, dass unsere Popularität in Süddeutschland seitdem extrem gefallen ist.

Hat da nicht einmal die Textzeile "wir haben nichts gegen München" geholfen?

Na ja, in München-Stadt sind wir immer noch wohlgelitten, aber im Allgäu und da, wo die meisten Bayern-Fans herkommen, haben sie uns den Gag bis heute nicht verziehen.

Fans des FC Bayern München

APA

Spielt ihr den Song trotzdem, wenn ihr dort auftretet?

Natürlich, da muss man Rückgrat beweisen. Es ist ein Statement, das so lange rausgehauen werden muss, solange dieser Verein gut ist. In dem Moment, wo der FC Bayern schwächeln würde, hätte das Lied auch keine Schlagkraft mehr. Es ist nur gut, solange sie der Primus im eigenen Land sind.

Reicht die sportliche Dominanz als Rechtfertigung, die Bayern zu hassen?

Ich muss einmal klarstellen, dass Fantum immer was mit Unsachlichkeit zu tun hat. Man möchte im Sport nicht immer diese "Möge der Bessere gewinnen"-Haltung haben, das ist doch verlogen. Ich finde auch Hass völlig in Ordnung, solange er auf verbaler Ebene bleibt und als Ventil dient, um Druck rauszulassen. Hassgegner muss es einfach geben, um es interessant zu machen. In Bezug auf den FC Bayern München möchte ich gar nicht sachlich sein. Ich werde jetzt den Teufel tun, darauf hinzuweisen, wo dieser Verein Respekt verdient in Bezug auf Historie und so weiter. Das ist nicht mein Interesse. Das Ende der Fahnenstange ist allerdings erreicht, wenn es um die NS-Zeit geht. Da gibt’s einige Vereine, die sich entschieden fragwürdiger verhalten haben - Düsseldorf inklusive. Der FC Bayern war bei den Nazis verschrien als der "Judenklub" in Deutschland. Welcher andere Klub kann so eine Ehre für sich in Anspruch nehmen?

Hauptsitz Bayern München

ballesterer

Du bist mit den Ex-Bayern Didi Hamann und Markus Babbel befreundet. Ändert der persönliche Kontakt etwas an der Ablehnung der Bayern?

Es gibt dieses Sprichwort: Wenn du deinen Feind behalten willst, dann versuche nicht, ihn kennenzulernen. Ich habe mehrere Menschen getroffen, die zumindest ehemals was mit dem FC Bayern zu tun hatten. Das sind alles nette Leute, was es schwierig macht, die Antipathie weiter so stark zu halten. Ich habe auch Sympathien für Jürgen Klinsmann. Aber deshalb kann ich meine Einstellung zur Institution FC Bayern nicht ändern. Mir ist es allerdings noch nie gelungen, einen ehemaligen Spieler zu überreden, Uli Hoeneß zu dissen. Weder Babbel noch Hamann würden mir selbst im Zustand des schlimmsten Alkoholpegels ein Zugeständnis machen, dass der Typ nicht in Ordnung ist.

Alkohol ist also doch keine Lösung. Würdest du mit Präsident Beckenbauer auf ein Bier gehen?

Beckenbauer hat etwas absolut Unterhaltsames, zum Beispiel mit seinen Wiedergeburtstheorien. Aber er würde mit mir nichts trinken gehen. Er hätte einmal beinahe sogar den Auftritt bei "Wetten, dass …" abgesagt, weil wir dort ebenfalls aufgetreten sind. Da musste ihm erst zugesichert werden, dass ein Treffen mit uns ausgeschlossen sei. Ich bin ihm aber dann später zufällig beim Champions-League-Finale Liverpool - Milan in Athen begegnet, wo wir mit gemeinsamen Freunden zusammengestanden sind. Das war dann schon ganz witzig, da hat er mich so abgebayert: Liverpool hatte verloren und ich habe mich beschwert, dass sie in der zweiten Halbzeit so schicksalsergeben gespielt haben. Da warf er in die Runde: "Ja, jetzt wollen’s alle Trainer sein." Mit den Spielern ist es noch mal eine ganz andere Sache, die können darüber lachen. Markus Babbel hat mir erzählt, dass er mal mit Jeremies zum Training fuhr. Unser Bayern-Lied kam im Radio und er sagte zu Markus: "Du, so schlecht ist der Song gar nicht." Andere Spieler waren aber immer einfach nur scheiße: Effenberg, Matthäus etc. Kahn fand ich immer lustig – mir hat gefallen, wie arrogant er bei Interviews geguckt hat. Der hat den Reportern nie ins Gesicht geschaut, das wollte ich dann eigentlich auch immer so machen, habe es aber nicht durchgehalten.

Weitere Inhalte der neuen ballesterer-Ausgabe:

Uli Hoeneß und der Bluthochdruck

Ilco Naumoski über Geben und Nehmen auf und neben dem Platz

Fanforscher und Politikwissenschafter Jonas Gabler im Interview

Grillwurst "Klaus" und Nils Holgerssons "Krümel"

Wie Teflonritter Sepp Blatter den WADA-Drachen erlegte

Ihr habt ein Anti-Bayern-Lied gemacht. Würdet ihr auch einen Song für die deutsche Nationalmannschaft aufnehmen?

Wir haben Angebote bekommen, für deutsche Sportmannschaften Turnierlieder zu schreiben, aber ich bringe das nicht übers Herz. Im Sportbereich bin und bleibe ich Engländer. Wenn England gegen Deutschland spielt, zweifle ich keine Sekunde, wo ich hingehöre. Das 5:1 von England im Olympiastadion gehört zu den schönsten Tagen meines Lebens, da würde ich so einige Sexabenteuer für eintauschen. Ich kann für den Erzrivalen kein Liedchen schreiben. Aber sogar da verkomplizieren Bekanntschaften die schönsten Rivalitäten. Als Rudi Völler Nationaltrainer war, bin ich ihm einmal begegnet, und er ist auf mich zugekommen und hat gesagt: "Mensch, Campino, das wirst du mir nicht glauben, aber ich muss meinen Kindern jeden Abend vorm Schlafengehen aus eurem Buch vorlesen." Wie sollte ich dem je noch etwas Schlechtes wünschen? Ich war sofort korrumpiert. Vereinnahmt!

Welche rührende Geschichte müsste dir Uli Hoeneß erzählen, damit du das Bayern-Lied nicht mehr spielst?

Bei Hoeneß müssten das schon mehrere Lastwagen mit Wurstladungen sein. Das ist, glaube ich, nicht machbar. Dennoch hoffe ich darauf, dass Uli Hoeneß so lange wie möglich im Geschäft bleibt. Wenn der mal weg ist, wird’s in der Liga blass. Es gibt kein besseres schlecht gelauntes Gesicht als das von Uli Hoeneß, wenn Bayern München verliert. Und das möchte ich mir noch möglichst oft angucken können.

Bonus

Mehr über kleinere Rivalitäten, seine Liebesbeziehung zu Liverpool und den Loser-Kult um den Wiener Sportklub erzählt Campino in der Langversion des Interviews auf www.ballesterer.at