Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""Ohne User wären wir nichts""

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

17. 4. 2009 - 18:50

"Ohne User wären wir nichts"

Ein kleines Gespräch mit Martin Stiksel von last.fm über die Herausforderungen der neuen Musikökonomie

Anlässlich des Gerichtsurteils gegen Pirate Bay (siehe Burstups heutige Story) hab ich mich entschlossen, hier ein Interview mit Martin Stiksel, dem oberösterreichischen Mitgründer von last.fm (und Ex-Kollegen) zu veröffentlichen, das diese Woche auszugsweise in meiner und Sebastian Hofers Profil-Geschichte erschienen ist.
Geführt wurde es zwischen Tür und Angel am 2. April, dem zweiten Tag der G20-Ausschreitungen, im Büro von last.fm, kurz bevor Martin zu einem wichtigen Termin abrauschen musste, daher war für viel medienphilosophischen Tiefgang keine Zeit.

Aber immerhin Zeit genug für ein paar grundsätzliche Klärungen und Antworten auf die von Daddy D unlängst hier geübte Kritik an der geplanten regionalen Gebühr für den Streaming-Dienst von last.fm

Martin Stiksel

Robert Rotifer

Stiksel im Büro

Ihr habt euer Vorhaben, von Kunden außerhalb der Kernterritorien USA, Großbritannen und Deutschland Geld für Streams zu verlangen, wieder zurückgezogen?

Stiksel: Also, zurückgezogen haben wir es nicht, wir haben nur sehr viel Feedback bekommen von unseren Usern, und wir schauen uns die ganze Sache jetzt noch einmal an und auch einige Sachen, die da rausgekommen sind werden wir jetzt auch in nächster Zeit verbessern. Im Prinzip stehen wir aber zu der Entscheidung und werden das durchziehen, das ist nur eine Frage der Zeit.

Wie lässt sich das argumentieren?

Stiksel: Es geht im Prinzip darum, dass wir in England hier mit unserem eigenen Advertising Team und in Amerika mit CBS sehr gut darin sind, genug Werbung einzufahren, um die Künstler dafür zu bezahlen, dass wir ihre Musik spielen, was wir eigentlich schon seit Stunde null tun, und wir stehen auch dazu. Wenn wir Musik spielen, dann muss auch wer dafür bezahlt werden, das ist durchaus klar. Wir haben das auch auf Independent-Künstler angewendet, die selbst bei Last.fm ihre Musik hochladen. Auch die werden im Prinzip für jeden Stream bezahlt bei uns. Und deshalb haben wir auch einen Kostenaufwand. Der lässt sich in manchen Ländern sehr gut über Werbung finanzieren, und in anderen Ländern müssen wir unsere User bitten, dafür zu bezahlen.

Wie viele Leute arbeiten bei Last.fm und wie groß sind die Kosten?

Stiksel: Wir haben siebzig Mitarbeiter, die Kosten teilen sich auf Musiklizenzierungskosten, die Leute zu bezahlen, die hier arbeiten, die Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Aber mit großem Abstand sind die Lizenzkosten für die Musik, die wir spielen, der größte Faktor für uns.

Eine ungefähre Größenordnung?

Stiksel: Kann ich nicht sagen.

Wie hast du persönlich die feindseligen Reaktionen der UserInnen aufgenommen?

Stiksel: Persönlich kann ich mich dazu nicht äußern. Ich selbst benütze Last.fm ab und zu zum Radiohören und zum Musikhören, aber eigentlich viel mehr als Musik-Ressource. Für mich ist Musik mehr als eine MP3-Datei, die man irgendwie anhört. Da geht’s um die Information rundherum, die Musik eigentlich interessant macht. Wie schauen die Künstler aus, was haben die sonst noch gemacht, wo kommen die her? Was sagen die Leute darüber? Wann spielen denn die Künstler wieder live? Das ist für mich mindestens genauso interessant. Ich benütze Last.fm, um die Musik, die ich habe, die CDs, die ich höre, durch den Computer zu spielen und anzuschauen, was da noch an Empfehlungen daherkommt. Wir kontextualisieren sozusagen die Musik, indem wir zusätzlich die ganze Information beisteuern. Viele unserer Leute benützen Last.fm nur zum Scrobblen, also um ihren Musikgeschmack aufzuzeichnen. Unser Problem ist immer gewesen: Da wir Last.fm heißen, glaubt ein jeder, wir sind eine Radiostation, das heißt, wenn wir unser Streaming ein bisschen reduzieren, glauben die Leute, wir schalten Last.fm ab. Tatsache ist, dass wir sehr viele andere Sachen auch noch machen.

Und wenn die UserInnen nun sagen: Wieso sollen wir etwas für Last.fm zahlen? Wir sind doch die, die mit unseren Beiträgen den Inhalt herstellen?

Stiksel: Im Prinzip stimmt es, dass wir die Tools zur Verfügung stellen, mit der die Community sich mitteilen kann, und die Community trägt damit zu einem großen Teil der Last.fm experience bei. Musiklizenzen werden jedoch immer noch von Last.fm getragen, und die ganzen Infrastrukturkosten auch. Natürlich ist unsere Community extrem wichtig, ohne User wären wir gar nichts, was die ganzen Konzertinformationen und andere Informationen bei Last.fm betrifft.
Wir nehmen ja den Leuten Last.fm nicht weg. Die Website ist nach wie vor frei zugänglich. Da gibt’s einige Sachen, die man auch ohne Radio-Streamen drauf machen kann. Unsere Zahlen sagen uns, dass ein Großteil der Leute bei Last.fm nichts mit Musikstreamen am Hut hat. Die ganze Information, die persönlichen Empfehlungen und Features sind nach wie vor gratis für alle zugänglich. Es ist ja nicht so, als würden wir die Website zusperren, ich glaub das wird einfach missverstanden.

Wie groß ist der Druck seitens der CBS, Geld zu machen?

Stiksel: Da wir uns entschlossen haben, Künstler und Plattenfirmen für ihre Musik zu bezahlen, müssen wir Geld einspielen. Wir haben Last.fm nie als Hobby oder Freak-Projekt aufgezogen, das war immer von vornherein ein Business, und ich glaub das ist auch die interessante Herausforderung, vor der wir stehen: Viele Leute können eine Website bauen, das ist kein Problem. Aber eine Website am Laufen zu halten, die so komplexe Wirtschaftsströme verbindet wie Last.fm, ist eine verdammte Herausforderung.

In letzter Zeit war viel von den neuen Wegen der Musikwirtschaft die Rede. Betreten wir gerade eine Phase, wo sich herausstellt, dass sich diese Wege in der Krise nicht wirklich rechnen?

Stiksel: Online-Musik ist auf jeden Fall nicht mehr das neueste Ding. Die gibt es nun wirklich schon lange. Als wir damals begonnen haben, unsere Lizenzen auszuheben, haben wir wirklich zu den Ersten gehört, die sich darum bemüht haben, die richtigen Deals mit den richtigen Leuten abzuschließen. Wir haben uns eigentlich seitdem erhofft, dass das Ganze ein bisschen leichter wird. Transparenter und ökonomisch durchführbarer. Das Problem, das wir jetzt haben, ist dass viele der Vorstellungen der Plattenfirmen, der Lizenzinhaber und der Service-Provider wie Last.fm oder Youtube sich nicht auf der gleichen Ebene bewegen. Da gibt es unterschiedliche Erwartungshaltungen. Wir sind in erster Linie daran interessiert, und die Musikindustrie sollte das eigentlich auch sein, Raten für das ökonomische Überleben solcher legaler Services zu gewährleisten. Alles andere würde bedeuten, dass die Musik-Services gewinnen, die sich nicht für Lizenzen interessieren. Das hat man auch gesehen, wenn man so hohe Eintrittsbarrieren schafft, um in dem Online-Musikmarkt Fuß zu fassen, dann ist das schlecht für den Markt an sich, weil man eigentlich Monopole schafft und nicht einen Wettbewerb. So ist das beim Downloadmarkt passiert. Wir haben jetzt de facto ein Download-Monopol, und das führt auch dazu, dass 95% aller MP3s nach wie vor illegal heruntergeladen werden. Wir laufen Gefahr das auch auf dem Streaming-Markt ähnlich zu erleben. Da werden einige riesige Players übrig bleiben, und dann bedient Piraterie auf der anderen Seite die Leute, die mit den Monopolen nicht zufrieden sind.

Was ist der Weg hinaus dieser Falle?

Stiksel: Dialog. Realistische Modelle, die den Wettbewerb fördern und den Konsumenten die größte Auswahl geben, sodass verschiedene Modelle nebeneinander existieren können.

Wenn man nun Lizenzen zahlt für jedes Produkt, das gestreamt wird, dann wird das Produkt für YouTube oder Last.fm teurer, je erfolgreicher es wird.

Stiksel: Das ist eines der Hauptprobleme, und das hat auch das Internet in der Natur mit sich gebracht. Weil man eben ganz genau beobachten kann, wie oft welcher Stream gehört wurde, hat sich das als Lizenzierungsmodell angeboten. Natürlich ist das fair im Sinne dessen, dass Dinge, die am meisten gehört wurden, auch am höchsten bezahlt werden sollten. Aber auf der anderen Seite hat zum Beispiel normales Radio nie diese Art von Lizenzierungsstruktur. Die haben immer nur einen Prozentsatz von den Einnahmen abdrücken müssen, mit einem gewissen Minimum, das einfach den Aufwand der Lizenz an sich decken sollte. Das Internet ist nun einmal sehr gut vermessbar. Aber das macht das Geschäftsmodell nicht unbedingt leichter.

Was hältst du von Spotify oder Pirate Bay?

Stiksel: Pirate Bay hab ich noch nie benützt, die geben mir keine großartige Information. Spotify ist interessant. Die geben eine gute Lösung, um einfach schnell die Musik zu hören, die man schon kennt. Man kann irgendwas eintippen, und dann spielt der das ab. Die haben auch gleich Scrobbling integriert, aber für mich ist das nach einer gewissen Zeit zu wenig, weil ich daran interessiert bin, mir ein abwechslungsreiches Programm zusammenstellen zu können, auch durch Empfehlungen. Das macht den Charme von Last.fm aus, und das ist auch der große Unterschied zu den anderen Services: Empfehlungen aufgrund des persönlichen Musikgeschmacks.

Ein Hauptargument gegen die regionale Zahlungspflicht bei Last.fm ist, dass das Internet aus Prinzip international sein sollte.

Stiksel: Ja, die Musikindustrie sollte international sein! Das wäre großartig. Die Musikindustrie steckt nach wie vor in diesem Territoriendenken drin, viel schlimmer als die meisten anderen Industrien. Da muss man mitziehen, das sind leider die Vorgaben. Ganz am Anfang, als Last.fm begonnen hat, hat es noch eine internationale Radiolizenz gegeben, aber das ist relativ schnell auseinander gefallen. Und jetzt muss man wirklich in jedem einzelnen Territorium probieren, eine Lizenz zu bekommen, was das ganze extrem komplex macht. Das ist eine der Sachen, die wir schon seit langer Zeit anprangen: Es wird nicht leichter, es wird nicht billiger, es wird nicht realistischer. Und wenn’s blöd hergeht, könnte die Gefahr bestehen, dass irgendwann einmal dem ganzen Sektor die Luft ausgeht.