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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 4. 2009 - 16:20

Journal '09: 3.4.

Über die Wertigkeit von Arbeit, vor allem anhand eines gestrigen Weltklasse-Beispiels von Harald Schmidt.

Es gibt eine Art von Reaktion auf dieses Jahresprojekt "Journal", die mich (schon traditionell) amüsiert: die (selten offen geführte, meist indirekt oder über Mittelsmenschen zu erfahrende) grummelnde Kritik von Menschen aus dem Umfeld (Medien, Musik etc.), die sich gern über das Prinzip des Meinungs-Bloggens an sich erregen und es (unter Zitierung von Details aus den Texten) für sich ablehnen. Das ist deshalb witzig, weil sich mit ihrer Beschäftigung damit ja auch schon der wichtigste Zweck erfüllt hat.

Das geht mir umgekehrt ja genauso: Das, worüber ich kritisch (manchmal ebenso grummelnd) hier (also laut) nachdenke, ist mir (thematisch) wichtig. Dutzendfach wichtiger als das, was mir wurscht ist.

Denn nur das, womit ich mich (ohne Zwang und Not) beschäftige, hat Bedeutung. Weil sie diesbezüglich so verräterisch sind, schätze ich diese Reaktionen also durchaus.
Die jüngste, gestern hinterbrachte, hat mich dann noch aus einem anderen Grund breit grinsen lassen: weil sie nämlich in eine noch weitaus verräterischere Kerbe von undurchdachten Aussagen, wie ich sie in letzter Zeit in ähnlichen Zusammenhängen öfter gehört habe, schlug.

Die (auf einer Social Platform durchgeführte, für mich, als - sehr bewussten - Nicht-Freund, uneinsichtige) Ansage lautete etwas so: Der #§$%&-Blumenau solle doch lieber etwas arbeiten, anstatt 'uns' täglich quasi ungefragt mit Sachen zu behelligen.

Das ist gleich fünffach amüsant:

aus dem oben angeführten Grund, dann weil es so tut, als würde es einen Zwang geben das zu lesen, weil man (in diesem Fall sogar ein Journalist) so tut, als wäre Schreiben keine Arbeit, weil man (im speziellen als im Print Verhafteter) so tut, als wäre eine Web-Veröffentlichung nichts wert, und, zum Drüberstreuen, weil ich diese "Arbeitets gfälligst was, es Rotzpipn!" sonst nur von Anrainern, Personisten im Park und anderen zu Witzfiguren gefrorenen Proponenten einer längst überkommenen Spießer-Welt kenne.

Interessant an dieser Aussage eines zum Bieder-Klischee erstarrten Ex-Rebellen ist nicht so sehr die biografisch-klassische Verelterung seiner selbst (die erwischt irgendwann jeden, grausamerweise), auch nicht die dürftige Argumentation und (heute und hier) nicht einmal die kindische Distinktions-Spielerei mit der Wertigkeit der Medien (das ist eh oft genug Thema), sondern der Umgang mit den Begriff "Arbeit", sobald es nicht um brave Normerfüllung im fordistischen Sinn, sondern um den durchaus lustvollen (postfordistischen) Umgang damit geht, der - im guten Fall - auch die Selbstreflektion miteinbezieht.

Und im Fall der Unterhaltung ebenso wie im Journalismus ist das, nach meiner bescheidenen Ansicht und nach der vieler richtungsweisender Vorbilder, die dringende und nötige Einbeziehung des Standpunkts, der Haltung.

Die digitale Kommunikations-Gesellschaft,

In diesem Zusammenhang (Interaktivität) eine mehr als interessante Weiterführung, ein kluger Schwerpunkt in der aktuellen Furche.

die auf dauernder und fortschreitender Interaktivität basiert, wird nämlich spätestens mittelfristig nicht mehr dem Konstrukt des objektiven Journalismus aufsitzen - wie das ein paar, die von der Praxis dampfwalzenmäßig überrollte Pseudo-Ideale in einem Wachkoma halten, sich noch einreden - sondern (im Wissen darum, dass nichts und niemand objektiv ist, dass jeder seinen Focus speziell legt) die deutliche Ausstellung des Blickwinkels einfordern.

Glücklich, wer das zu antizipieren versteht.

Pech für den, der sich (und auch seine Geschäftsmodelle) weiter hinter Copy-Paste-Übernahmen von scheinbaren Nachrichtenwerten versteckt - das wird schneller austrocknen als der Aral-See.

Die Innensicht ist also für an sich Außenstehende, zumindest die Interessierten (und andere müssen und werden dem Gebotenen nicht folgen) bedeutsamer als die Simulation von Objektivität, die Imitation von originären Nachrichtenflüssen oder die eingeschränkte Weitergabe von Erfahrenem (weil man ja, egal in welchem Bereich, einer ganzen Menge an Off-Limits-Beschränkungen unterliegt - und da in Fallen tappt, die man sich meist selber stellt).
Erst die Öffnung dieser Schleuse zum sozialen Gemeinschafts-Bereich eines Themas bietet echte Information - da aber die journalistische Entsprechung dazu, das sogenannte Hintergrundgespräch diesbezüglich versagt, versagt auch der aktuelle Journalismus-Ansatz. Und versucht sich mit dem altbackenen Verweis darauf, dass diese Öffnung unsolide und überhaupt ja "keine Arbeit" wäre, zu retten.

Schmidt = Gott (wenn er will).

Wie das im Optimalfall funktioniert, zeigte gestern Harald Schmidt vor. In der letzten Schmidt & Pocher-Show (es folgen noch ein paar Best-ofs) thematisierte der Altmeister (und ich würde sagen, dass das improvisiert war) den Abgang von Pocher zu Sat1, um, coram publico, alle möglichen Interna offen durchzusprechen.

Im übrigen tat sich auch beim zeitgleichen Willkommen Österreich ein diesbezüglicher Spalt in die offene Genialität auf: Als Grissemann aufgrund einer unabsichtlich bösartigen Bemerkung der unbedarft netten Silbermond-Sängerin plötzlich seine generelle Interview-Wurstigkeits-Maske stehen ließ und eine gemeine, aber extrem offene und ehrlich gemeinte Frage stellte. Das konnte mehr als die letzten 15 normierten Gespräche zusammen.

Pocher, sonst impro-schwach, war gut beraten nicht zu blocken - und so fand sich ein andächtig und intensiv lauschendes Publikum in einem schnellen, faktenreichen, fast einschätzungsüberladenen Durchlauf deutscher Unterhaltungs-Medien-Politik wieder.

Ich bezweifle, dass viele den beiden in allem folgen konnten (ich kenn mich da ein bisserl aus, und war auch nicht immer sofort im Bilde...) - aber die ungeschönte Ausschilderung der Zustände ihrer Show, der TV-Show-Szene, des ARD, von Sat1, der Produktions-Bedingungen, der inhaltlichen Ansätze, ihrer Einschätzung der Zuspieler, ihr gegenseitiger leiser Spott (der nicht aus Vorsicht, sondern aus gegenseitiger Achtung so mild erfolgte) war schlichtweg atemberaubend.

Und zwar vor allem, weil man wusste, dass man diese hier gerade abgehende Ehrlichkeit sonst eben nicht (oder: viel zu wenig) kriegt.
Der eher zufällig als Gast in dieses medienhistorische Szenario stolpernde Ingolf Lück etwa schloss sich sofort an und bot die beste Performance seiner Karriere, indem er sich dem völlig offenlegenden Diskurs der beiden Gastgeber anschloss und nicht wie sonst bei S&P üblich nur andeutete, sondern auch aussprach, was Sache ist (im Wissen, dass es bei niemandem aus der Branche gut ankommen würde, wenn man derart radikal rundumschlägt und alles verarscht).

Die deutsche Print-Kritik reibt sich in ihren Rezensionen leider eher an einer General-Abrechnung mit dem Format auf und arbeitet sich am "Nazi-Skandal!"-Projekt der "Producers" auf (gut, das kennt man als Österreicher schon und kann es unverkrampfter einschätzen) - das hängt aber wohl damit zusammen, dass die Final-Kritiken schon großteils vorgeschrieben waren und dann nicht mehr so recht an die aus dem Rahmen fallende letzte Show angepasst werden konnten - auch ein schöner Beleg für die Unbeweglichkeit der alten Medien und natürlich einer für den alten Arbeits-Ethos.

Das war großartig,

selbst wenn man dabei nur die Hälfte kapierte. Und auch wenn es im Bewusstsein der letzten Möglichkeit, etwas aus einer bestimmten Konstellation zu machen, geschah.
Das ist ja ein altbekanntes Phänomen. Man kriegt auch bei den letzten Konzerten einer Tour meist die aufregendste und intensivste Live-Show und die ungewöhnlichsten Covers - muss dafür aber auch alle Insiderwitze zwischen Band&Crew in Kauf nehmen.

Den geplanten Ablauf der Sendung, die Norm also, hatten Schmidt (leading) und Pocher (folgend) längst verlassen.
Insofern haben sie auch nicht gearbeitet - wenn man nach der Einstellung unseres anfangs zitierten Bekannten geht.
Die da getätigte Aussage doch gefälligst was (womöglich sogar noch "Anständiges") zu arbeiten wäre hier genauso richtig, wie genauso lächerlich.
Aber das sind Dinge, die digitale Analphabeten, die sich im sozialen, interaktiven Kontext an eine fordistische Definition von Arbeit klammern, noch zu Tausenden auf die Köpfe fallen werden, in den nächsten Jahren. Und das nicht nur, damit ich was zu grinsen habe.