Erstellt am: 5. 1. 2009 - 11:33 Uhr
Sounds of Guitars...
Sound of Guitars
Auch in meine Brust bohrt sich ein Nostalgieschwert, wenn es heißt "Albumerfahrung vs. Trackspotting" oder "Szenen-Übersicht vs. Anything-goes-Myspace-Zeitalter"? Die Jahresbestenlisten sind ad acta gelegt, oder? Hoffentlich. Endlich. Ich hasse sie nämlich.
Letztens auf der Zugfahrt in eine fremde Heimat, beim Warten auf dem falschen Bahnsteig auf den falschen Zug zur späten Zeit, hörte ich "Ball-Hog or Tugboat" von Mike Watt aus dem Jahr 1995. Ein Album mit vielen GastmusikerInnen, unter ihnen: Kathleen Hanna, die sich in einem inszenierten Spoken-Word-artigen Text auf seiner Anrufbeantwortermaschine über den Zustand von Rockmusik auslässt: "I'm not interested in this whole: 'I am a straight white middle-class male rockstar guy but I'm so fucking oppressed I'm a loser baby, why don't you kill me. Yawn. Superfuckingyawn!?'"
Bitter und süß
Erlaubt also kurz ein Ausschweifen ins letzte Jahr, bevor es mit dem Namedropping für 2009 weitergeht: Wir hatten auf alle Fälle Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Sowohl Neil Young als auch Leonard Cohen als auch Bob Dylan haben österreichische Bühnen bespielt.
Letzterer in einer Mehrzweckhalle, Leonard Cohen lud ins Theater ein und Neil Young hat sich vom Festivalzirkus mitreißen lassen und Wiesen beehrt. Nicht zu vergessen die Alben von Metallica, AC/DC und Guns'n'Roses - die haben tatsächlich Chinese Democracy fertiggestellt - von dem Album war doch schon die Rede, als ich nicht einmal gewusst habe, wie man Leggings schreibt. Bitter und süß. The Verve haben sich wiedervereinigt und brav ein Album mit Songtiteln wie "Love is Noise" oder "Judah" veröffentlicht.

Einslive / Thorsten Neuhaus
Oasis sind der Rolling-Stones-Werdung eine Spur näher gekommen und Überproduzent Mark Ronson hat das Kaiser Chiefs Album "Off With Their Heads" produziert. Beck Hansen hat moderne Schuldgefühle vertont.
British Sea Power haben mit dem Albumtitel "Do you Like Rock Music" die zentrale Frage in den Raum gestellt und Elbow haben den Mercury Prize Award aufs Bankkonto überwiesen bekommen. Lightspeed Champion ist währenddessen von einer Lavendel Brücke gefallen. Er war von London nach Omaha, Nebraska unterwegs und ist in Brooklyn gestrandet.
Zweimal Lightspeed Champion
Überhaupt sticht Brooklyn trotz steigender Mietpreise als das MusikerInnen-Mekka hervor. 2007 schielte man noch nach Kanada zu Arcade Fire und Broken Social Scene, über erstere wird heuer eine Dokumentation erscheinen; ein Unterkapitel wird sicherlich dem Unterfangen, eine gigantische Orgel mit auf Tour zu nehmen, gewidmet sein und Broken Social Scene haben sich in alle Einzelteile zerpflückt und veröffentlichen Quasi-Soloalben.
In Brooklyn hat sich's 2008 also abgespielt. Britischer New Rave ist tot, aber das haben wir doch schon gewusst, bevor die NME-Coollisten veröffentlicht wurden. Die Band des Jahres 08? MGMT also.

MGMT
Fünfmal MGMT
Danke MGMT für Oracular Spectacular, aber Gitarrenbands, so hab ich Anfang des Jahres noch gemutmaßt, die werden so klingen wie die Magnetic Fields im letzten Jänner in ihrem Albumtitel versprochen haben: nach DISTORTION! Dort anknüpfen wo Jesus and The Mary Chain aufgehört haben! Jesus And The Mary Chain haben sich doch schon 2007 wiedervereinigt, apropos Shoegazer-Epigonen: nicht zu vergessen: auch My Bloody Valentine meldeten sich 2008 zurück, aber sehne ich mich nach einem nostalgischen Aufwärmen eingefrorener Ur-Suppen oder was? Wo ist also die neue Musik? James Allen soll sie an der Leine spazieren führen, der Hund hört auf den Namen Glasvegas. Yawn?
Nicht schlecht, aber kann ein Gitarrenalbum im Jahr 2008 nicht einfach nach Gitarrenstichen klingen anstatt nach einer Soundtapete, bei der sich mit jedem feuchten Auge ein bisschen mehr von der Wand ablöst: In Oxford bin ich heuer fündig geworden: Nein, Radiohead's "The Bends" wird sich kein zweites mal wiederholen, aber Antidotes von den Foals befriedigt die Suche nach Sturm und Drang-Indie Musik.

Foals
Siebenmal Foals
Auch interessant am Gitarrensektor: Afrobeat-Anleihen, höre zum Beispiel Vampire Weekend. Der Gitarrist der Band, Ezra König, macht genau den hohen Sättigungswert von der Grungewelle dafür verantwortlich, dass sich seine Band den "clean guitar sounds" verschrieben hat und gibt das als Schlüssel zu seinem Erfolg an.
Meine Vermutung, 2008 werde im Zeichen des Grunge Revivals stehen, hat sich übrigens also nicht als wahr erwiesen. Dafür haben die Breeders ein Bilderbuch von einem Album veröffentlicht: Mountain Battles. Und das großartige Sub Pop Label, dessen Visitenkarten den Spruch "going out of business since 1988" ziert, wurde 20 Jahre alt, bescherte uns Bands wie die Fleet Foxes für die Harmoniesuchenden aus der Gitarrensitzecke oder No Age für jene, die mit dem Kopf gegen die Lärmwand anlaufen wollen.
Ob man 2008 allerdings wirklich ein neues Mudhoney unterm Christbaum finden wollte, oder es lieber gegen ein Lexikon umtauscht, das muss jede und jeder für sich beantworten. Einen Fluchtplan bot da die steirische Band Killed By 9V Batteries. Aber das hab' ich schon mindestens 12x im Jahr im Soundpark gepredigt.
Neunmal Killed By 9V Batteries
Zwei Sachen aber vielleicht noch: Man ist immer der oder die zu spät Geborene: Die Songzeile "We ain't born typical" hat da vielleicht die eine oder den anderen mehr über diese Tatsache hinweggetröstet.
Und zum Schluss: David Sitek ist auch nur ein Mensch. Okay, ein Mensch mit Appetit, einem Studio und einer Vision, die um den Gedanken kreist "Mache Musik, so als ob aus allen Richtungen Stecknadeln auf deine Haut prasseln würden" oder unter die Haut im Falle von "Dear Science". Nein, kein Rockalbum für Puristen, denn Puristen, die haben 2008 einfach ausgschissen. Ins neue Jahr hab ich mich schließlich mit energetischen zwei Minuten eines ausklingenden Bulbul-Konzertes geschwitzt. Es kann also nur so gut bleiben.