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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

12. 4. 2016 - 19:00

Zwei umstrittene EU-Richtlinien vor Abstimmung

Sowohl die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Passagierdaten wie die zu "Trade Secrets" stehen auf der Tagesordnung des EU-Parlaments für Donnerstag.

Am Donnerstag stimmt das EU-Parlament nicht nur über die umstrittene Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen ("Trade Secrets Directive") ab, auch die ebenso umstrittene Vorratsspeicherung von EU Flugpassagierdaten (PNR) wurde überraschend auf die Tagesordnung gesetzt. Das geschah zeitgleich mit dem Hearing des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum weitgehend deckungsgleichen EU-Passagierdatenabkommen am 4. April mit Kanada. Das Hearing war für die Vertreter von Ministerrat und Kommission nicht eben günѕtig verlaufen.

Während die Panama-Papiere die Schlagzeilen beherrschten, wurde die "Trade Secrets"-Richtlie auf den Weg gebracht, deren erklärtes Ziel es ist, auch Personen, die in "gutem Glauben" handeln, verklagen zu können.

Die Richtlinie zu "Trade Secrets", die wegen ihrer ebenso vagen wie überbreiten Formulierungen auch an Whistleblower gerichtet ist, hat ein Pendant in den USA. Anfang April passierte der "Defend Trade Secrects Act" den US-Senat und ist nun auf dem Weg durch das Repräsentantenhaus. Wie in Europa wird die Schwelle für Klagen wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen deutlich abgesenkt. Es ist davon auszugehen, dass diese transatlantische Parallelaktion in direktem Zusammenhang mit dem Kapitel über "geistige Eigentumsrechte" im TTIP-Abkommen zu sehen ist.

Ausriss aus dem Dokument zur Umsetzung des Abkommens

EU Council

Bereits seit 2014 fördert die EU-Kommission Projekte in 14 EU-Staaten - darunter ist auch Österreich - zur Umsetzung der Richtlinie, die erst am Donnerstag beschlossen wird. Das obige Dokument stammt aus dem Ministerrat und ist nur als Leak erhältlich.

Strukturell idente Vorratsdaten

Am 8. April 2014 hatte der EuGH die Vorratsdatenspeicherung (VDS) gekippt hat, danach annullierte der Verfassungsgerichtshof in Wien als erstes nationales Höchstgericht die nationale Umsetzung

Der Grund warum die Parlamentarier das Abkommen mit Kanada im Herbst 2014 nicht abgestimmt, sondern direkt an die EuGH verwiesen hatten, war das vernichtende EuGH-Urteil zur Vorratdatenspeicherung im April desselbenen Jahres. Die Erfassung und Speicherung sämtlicher Metadaten aller Bürger aus allen Telefonnetzen war vom EuGH vor allem aufgrund der Totalität der Maßnahme als grundrechtswidrig erkannt und rückwirkend annulliert worden. Der Ansatz aller bestehenden PNR-Systeme aber ist strukturell identisch mit dem der Vorratsspeicherung bei den Telekoms, statt der Metadaten aller Telefonate und SMS werden eben sämtliche Daten zu Flugbewegungen erfasst. Mit fünf Jahren Speicherdauer gehen die PNR-Systeme aber nicht nur weit über die ehemalige Maximalfrist von 24 Monaten für Vorratdaten hinaus. Diese Unmengen an Datensätzen werden auch nicht einfach "auf Halde" gespeichert, sondern sie werden gerastert und mit bestimmten Mustern abgeglichen, wie sie für Reisebewegungen von Kriminellen oder Terroristen (angeblich) typisch sind.

EuGH-Rechtsbelehrung der Kommission

Auch die Vertreterin des EU-Datenschutzbeauftragten hatte bei der Anhörung bestätigt, dass die Daten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen und zur automatisierten Erkennung von Verhaltensmustern verwendet würden. Das berіchtete die Bürgerrechtsorganisation "Digitale Gesellschaft", die Beobachter zur Anhörung nach Luxemburg entsandt hatte. Richter Thomas von Danwitz wies sodann einen Vertreter der Kommission etwas verärgert darauf hin, dass dessen Aussage, die Daten würden nach 30 Tagen "anonymisiert", wahrheitswidrig sei und ließ eine Rechtsbelehrung zum Unterschied zwischen anonymen und pѕeudonymen Daten folgen.

Recital 25 der neuen PNR-Richtlinie

EU-Parlament

In der Richtlinie werden die Daten als "depersonalisiert" bzw. "maskiert" bezeichnet, nach einem halben Jahr können Namen und Adressen duch das operative, niederrangige Personal nicht mehr sofort und "unmaskiert" eingesehen werden. Zur Anzeige wird allerdings nur ein weiterer Eingabebefehl in der Datenbank benötigt.

Knackpunkte der Richtlinie

Sodann zählte von Danwitz ein halbes Dutzend weiterer Punkte des Abkommens auf, die der EuGH offenbar besonders kritisch sieht. Das begann damit, dass die Datenschutzgarantien für EU-Bürger nicht einmal im eigentlichen Vertragstext, sondern nur im Anhang enthalten seien. Ebenso kritisiert wurde, dass die Zulässigkeit von Datenübermittlungen nur nachträglich überprüft werden könne, wie es auch keine Limitationen für den Abgleich der europäischen PNR-Daten mit kanadischen Datenbanken gebe. Auch beim EuGH-Hearing vor einer Woche hatte die Frage nach dem Nutzen und der Verhältnismäßigkeit des PNR-Abkommens zentralen Stellenwert.

Beide sind nämlich - etwas verkürzt gesagt - die Knackpunkte aller einschlägigen Richtlinien und Gesetze, die großflächige Datenerfassungen zum Inhalt haben. Gerade weil eine Vorratsdatenspeicherung alle und jeden rund um die Uhr erfasst, war sie vom EuGH verworfen worden. Die PNR-Richtlinie folgt strukturell exakt demselben Muster, nur dass eben sämtliche Reisebewegungen und -gewohnheiten aller Reisenden samt deren Begleitung erfasst werden. Zentrale Frage für den neuen Anlauf war, wie ein Abkommen zur Vorratsdatenspeicherung von Passagierdaten ausformuliert werden könnte, dass es eben nicht in direktem Widerspruch zum Urteil des EuGH gerät.

Recital 33 der PNR-Richtlinie

EU-Parlament

Da unter den Mitgliedsstaaten keine Einigung bestand, ob auch alle Reisebüros, Charterveranstalter etc. in die Speicherpflicht genommen werden, wird eine solche Maßnahme den Mitgliedsstaaten eben freigestellt

"Trade Secrets" als Teil von TTIP

Die zweite, umstrittene Richtlinie zu "Trade Secrets" ist nur scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht. 2011 wurde die internationale Anwaltskanzlei Baker und MacKenzie mit einer Untersuchung und dem Grundgerüst für eine Richtlinie beauftragt, die seit 2013 in Arbeit war und nun aus dem Hut gezaubert wurde. In den USA wurde eіn Vorläufergesetz namens "Protecting American Trade Secrets and Innovation Act" 2012 in Kraft gesetzt, die nunmehrige Neuauflage sieht ein USA-weit gültiges Bundesgesetz vor, das für den "Missbrauch von Geschäftsgeheimnissen" Schnellverfahren vorsieht, um Gegenmaßnahmen einleiten zu können, noch bevor Daten an wen auch immer weitergegeben werden können.

Für die Annahme, dass diese transatlatische Parallelaktion in engem Zusammenhang mit den Verhandlungen über das Kapitel "geistige Eigentumsrechte" im TTIP-Abkommen steht, sprechen auch zwei Konsultationen der Kommission zum selben Thema. Am Freitag endet die Eingabefrist zur Konsultation zur Modernisierung und Durchsetzung des "Rechts auf geistiges Eigentum, die Konsultation zur Modernisierung der "ePrivacy"-Richtlinie ist gerade angelaufen. In der Regel folgen auf solche Konsultionen binnen eines halben Jahres oder etwas mehr entsprechende Novellen zu Richtlinien und Verordnung.

Fazit und Ausblick

Demnach stehen für Herbst 2016 oder das Frühjahr 2017 neue Debatten an. Die schlechte Nachricht dabei ist, dass diese beiden heiklen Novelle vor allem unter dem Aspekt behandelt werden, das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA möglichst rasch abschließen zu können.