Erstellt am: 5. 3. 2016 - 10:35 Uhr
Jeanne Added
Ich verwechsle manchmal die französischen Städte Reims und Rouen miteinander, obwohl es da eigentlich nichts zu verwechseln gibt. Rouen befindet sich in der Normandie, also nahe des Atlantischen Ozeans, und ist der Ort, an dem einst die legendäre Freiheitskämpferin Jeanne d´Arc am Scheiterhaufen verbrannt wurde. Reims wiederum liegt im Norden des Landes, mehr in der Mitte als in der Nähe eines Meeres, und ist die Hauptstadt des Champagner - und jene Stadt, woher eine andere Jeanne kommt: Jeanne Added, ihres Zeichens faszinierende Synthpop-Songschreiberin.
Jeanne Added nennt ihr jetzt endlich erschienenes Debütalbum "Be Sensational". Wenn wir nun von diesem Titel überleiten hin zur Tatsache, dass Jeanne Added und ihre Musik in der Tat sensationell sind, dann ist das zwar etwas einfallslos, aber schließlich kann es nicht oft genug gesagt werden, wie toll diese Künstlerin und ihre Musik sind. Die Single "A War Is Coming" erschien schon letztes Jahr, zusammen mit zwei weiteren Stücken, nämlich "It" und "Miss It All", und hat in der Zwischenzeit noch an Dringlichkeit zugelegt.
Jeanne Added: "I´m a bit late here as war is here already. But actually, the song is about how you can be stuck in your head and how the world is big outside and you should get out and not be stuck in your head."
Alle drei Songs finden sich nun auch auf dem Debütalbum von Jeanne Added, die ausschließlich Englisch singt, und die auch keine dieser lieblichen französischen Frauenstimmen hat. Nein, Jeanne Added ist keine klassische französische Pop-Sängerin à la Vanessa Paradis, vielleicht aber eine Art große Schwester von Christine & The Queens. Letztere singt zwar auf Französisch, aber lässt das allzu Hübsche auch meist vor der Tür. Und wie Christine & The Queens hat auch Jeanne Added Zeit in London verbracht, jedoch nicht in dunklen Musikclubs, um den Street Vibe der Stadt zu inhalieren, sondern um an der Royal Academy Of Music zu studieren.

Naive
Jazzgesang?
Davor war Jeanne Added am Konservatorium in Paris und belegte das Fach Jazz-Gesang, und noch davor lernte sie, zuhause in Reims, das Cello. Das alles hat der mittlerweile Mittdreißigerin aber den Rock´n´Roll nicht ausgetrieben. "Ich habe immer schon Rockmusik gehört", erklärt Jeanne Added fast entschuldigend in Interviews. Der Jazz hat sie bloß ein wenig aufgehalten, ihr ganz eigenes Ding zu machen. "Als Jazzsängerin interpretierst du meist die Lieder anderer Leute", sagt Jeanne Added, und etwas Wehmut schwingt mit, wenn sie darüber spricht, dass es länger gedauert hat, bis sie endlich ihre wahre Stimme gefunden hat.
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Bereits vor fünf Jahren aber hat Jeanne Added ein erstes Mini-Album veröffentlicht, samt einem deutschsprachigen Song ("Liebe"), einem Prince-Cover ("Little Red Corvette") und ihrer Ode an London: "The Ballad Of Camden Town". Im selben Jahr, 2011, wurde Jeanne Added von der französischen Band The Do - sie singen ebenfalls auf Englisch - auf Tour eingeladen. Dass Dan Levy von The Do schließlich das Album von Jeanne Added produzierte, war also fast naheliegend.
Peaches meets Patti Smith? Ein weiterer Name, der in Zusammenhang mit Jeanne Added immer wieder fällt, ist Anne Clark. Die Britin ist eine recht oft zitierte Synth-Pop-Legende mit Hang zum Dunklen in der Musik. Nicht nur die Liebe zur Poesie, und der ähnliche Haarschopf, mögen beide Frauen verbinden, auch dieses dunkel Zornige, dem Jeanne Added frönt, wie keine andere Synthpopperin es heute tut. Da kommt das Französisch-Sein von Jeanne Added durch, die Kompromisslosigkeit, die französischer Kunst meist stärker innewohnt als angelsächsischer.
Dass Englisch nicht die erste Sprache von Jeanne Added ist, gibt ihr zusätzlich eine Extra-Kraft, damit umzugehen, wie es ein(e) Muttersprachige vielleicht nicht tun würde. Sprich: gelegentlich trägt Jeanne Added vielleicht zu dick auf, etwa im düsteren Epos "Night Shame Pride", einer klaustrophobischen Ode an die Nacht: "Night is here and my madness has begun", singt Jeanne Added. " I will die and I will live again".
Soko-Territorium? Inhaltlich ja, verpackungstechnisch nein. Aber die Schlagzeugerin von Jeanne Added - Anne Paceo - spielte früher mit Soko. Die komplette Band von Jeanne Added besteht aus Musikerinnen. Sie selbst bedient den Synthesizer oder hat den Bass umgehängt, Gitarre gibt es keine bei Jeanne Added, aber der Bass ist ja schließlich auch eine Gitarre.
Jeanne Added ist mehr als eine angesagte Electropopperin. Der klassische Song an sich ist die Essenz ihrer Musik, auch wenn ein Stück wie "Back To Summer" die fast schon hedonistische Elektronikerin zelebriert, vom Sound her und auch vom Inhalt: "My body. my soul, turn into gold as long as I keep dancing. The body next to mine starts to shine.Love is all around, growing with the sound."
Meine Songlieblinge am Album von Jeanne Added sind "Lydia" und der Titelsong "Be Sensational". Ersterer ist eine eloquente Verliebtheits/ Beziehungsabhandlung, wo Jeanne Added rappt "My little bonecracker, my little painkiller, my little backstabber, my braincrusher, my little starwatcher, my spellcaster, my little flycatcher, my little firestarter, my little streetfighter, my little blooddrinker, my little lie-teller, lie-teller, lie-teller, you´re killing me, Lydia, you´re peeling off my skin, can´t you see, Lydia, I´m about to give in".
Der Tielsong, "Be Sensational", beginnt, als ginge es auf einen Doom-Rock Dancefloor, oder als ob gleich ein Duett für ein neues Editors-Album anstünde, ist dann aber die zarteste Versuchung. Nun denn, ohne weitere disruptive Elemente kommt der Titelsong zwar nicht aus, aber das wäre dann auch nicht Jeanne Added. "Be Sensational", ein Meisterwerk.