Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wozu Nippes?"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

24. 2. 2016 - 17:35

Wozu Nippes?

Die Welt schaut großteils weg, aber heute Abend werden die Brit Awards fast nur an das weiße Britannien vergeben, was für einigermaßen viel Protest sorgt. Berechtigt aber trotzdem fehlgeleitet, wie dieser Unbetroffene findet.

Aus der Reihe „Alter Mann versteht die Pop-Welt nicht mehr ganz, aber Bernie Sanders hört ihr ja auch zu, und der ist noch viel älter, also sag ich jetzt einmal was“:

Lange ist es her, dass mich irgendjemand aus Österreich zum letzten Mal auf die Brit Awards angesprochen hat.
Früher einmal, Ende der Neunziger, Anfang der Nuller war sowas einen Einstieg in der Morning Show wert. Die kuriose Zeit relativ kurz nach Britpop halt, als in der Popkultur zeitweilig ein sozialdemokratischer Glaube an das Unterwandern der Institutionen grassierte.

Jetzt dagegen weiß ich nicht einmal mehr, ob's da drüben bei euch wen interessiert, dass es heuer hier unter dem Hashtag #britssowhite Proteste gibt, weil keine nichtweißen Brit_innen und schon absolut keine Grime Artists nominiert sind.

Implizit besagt das wohl, dass die Brits ein genauso verzerrtes, geweißtes Bild der britischen Realität vermitteln wie der Rest des Hauptabendprogramms, was vom Überraschungswert her an sich ja mit dem Auffinden von Bärenkot im Wald konkurriert.

Aber immerhin war es Channel Four News gestern einen langen Beitrag mit Studiogespräch wert, der durchaus spannend sein und in der einzig richtigen Schlussfolgerung hätte enden können, dass nämlich eine patriotisch motivierte, als saubere Familienunterhaltung abgehaltene Selbstbelobhudelung der Musik“industrie“ mit jeglicher unsere Aufmerksamkeit verdienender, weil Konsens herausfordernder Form von Popkultur sowieso nicht zusammengehen kann.

Leider ließen sich die Studiogäste Krept & Konan stattdessen deprimierenderweise vom wohlmeinenden Moderator dazu hinreißen, zu beteuern, dass der Erfolg ihrer Musik ihresgleichen ermögliche, ein Leben „on the straight and narrow“, also im legalen Bereich, zu führen.

Auch das kann schon sein, Gratulation an alle, die – im Gegensatz zur begüterten, gesangsgeschulten Gap Year-Genossenschaft der weißen britischen Pop- bis Indie-Rock-Szene – tatsächlich aus dem Gemeindebau kommen und genug Geld mit Musik verdienen, um sich Alternativen wie den Drogenhandel zu ersparen.

Nur will man sich ausgerechnet von einem bekoksten Haufen Pfortenhüter_innen des Mainstreams dafür auf den Rücken klopfen lassen?

Krept & Konan gestern in den Channel 4-Nachrichten.

Channel Four

Wäre diese Form der Anerkennung nicht in Wahrheit das Ende der eigenen Glaubwürdigkeit, gerade für ein von den Ermöglichungsmechanismen der Industrie tatsächlich unabhängiges Genre wie Grime?

Und ist das nicht genau die Sorte Thema, die sich zum Tugendwettstreit selbst unbetroffener Privilegierter via Boulevard (Lily Allen vs. James Bay) eignet, ganz zu schweigen von gönnerhaften Gesten wie der Kanye Wests, der letzten Februar zum selben Anlass seine unterrepräsentierten britischen Kollegen mit auf die Bühne holte?

Dies fand zumindest Dizzee Rascal, und der versteht – im Gegensatz zu mir, der einzig das Prinzip erkennt – wohl was von dieser Szene, selbst wenn er mittlerweile im hübschen Chislehurst wohnen soll.

Allerdings, in der immer noch von Mainstream-Vertrieben abhängigen, monopolisierten Welt des Films, wo die Vorbild-Aktion #oscarssowhite herkam, ist das was unausweichlich Anderes, da kommt man ohne Gütesiegel der Academy vielleicht nicht so weit.

Aber wozu braucht Popkultur Nippes fürs Einbauregal (inklusive der vor 20 Jahren aus demselben Ärgernis wie dem heutigen als Alternative zu den Brits gegründeten MOBO Awards für "Music of Black Origin", die offensichtlich wenig geändert haben)?

Wann und warum haben wir das einreißen lassen, und wieso ließ ich mich seinerzeit Jahr um Jahr selber dafür einspannen – noch dazu immer mit semi-ironischem Unterton, oh, ich bekenne mich schuldig...

Tatsache ist: Die Bands, die ich mag, haben – bis auf erwähnte, verblendete Ausnahmeperiode in den 1990ern – eigentlich nie einen Blumentopf gewonnen. Und wenn, dann hätten wir das nicht einmal bemerkt (selbst das aus dem gleichen Grunde zutiefst peinliche Statuettchen des NME symbolisierte mit seinem ausgestreckten Mittelfinger wenigstens pro forma einen Scheißdrauf-Geist).

Wo bleibt die gesunde Arroganz, frage ich mich bei jeder dieser nun regelmäßig ausbrechenden Award-Kritiken, die leider nur zu gut in eine Welt passen, in der Empowerment immer nur Zugang zur Chef-Etage statt Entmachtung der Chef-Etage meint.

In eine Welt, in der die progressive Seite (man kann auch „Linke“ sagen, muss aber nicht) lieber unter Aufwendung beträchtlicher Energien um Repräsentationsrechte bettelt als selbst alternative Strukturen zu errichten, ja in der sie die einst ihr bzw. der relevanten Popkultur gehörende Rolle der Rebellion, sogar Subversion, brandgefährlicherweise den Reaktionären überlässt.

Das, so viel muss ich zugeben, ist der Punkt, der mir als einem, der Pop als Ausdruck seiner Zeit sieht, tatsächlich nahe geht. Und deswegen halte ich – auch wieder als selbst nicht Betroffener – eine #britssowhite-Forderung wie die nach einer Diversity-Analyse der Brits-Jury nicht nur für irrelevant, sondern auch für Komplizenschaft mit der eigenen Verarschung.

Und falls jetzt hier jemand darauf hinweist, dass FM4 selbst einen Award ausschreibt: Dieser Widerspruch ist mir wohl bewusst, und jetzt, wo ihr das erwähnt – alter Mann spricht mit sich selbst – fällt mir ein, dass ich eine Version dieser Beschwerde schon einmal anlässlich einer Award-Empfehlung auf diesen grauen Seiten verfasst habe.

„Egal, da waren viele hier eh noch nicht geboren, sag ich's halt noch einmal“, denkt sich Bernie Sanders in so einem Fall, und recht hat er.

Public Service Announcement: Adele wird was gewinnen, hab ich gehört.